Ein Haus auf dem Gustav-Hammer-Platz? Ja, das gab es bis 1972. Wo heute der Brunnen ist und zwei Mal in der Woche der Stockacher Wochenmarkt stattfindet, stand das alte Kaufhaus. Aufgrund seiner Nutzung im Zweiten Weltkrieg wurde es auch „Das braune Haus“ genannt und wurde diesen Namen nie mehr los.


Genau diese geschichtliche Belastung bedingte, dass niemand es kaufen oder nutzen wollte, erzählt Alt-Bürgermeister Franz Ziwey, der im Jahr 1969 zum ersten Mal gewählt wurde. „Das braune Haus stand unter Denkmalschutz.“ Doch er habe den Abriss veranlasst. „Die Leute hat es gestört“, sagt er. Denn es sei auch viele Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg immer noch „Das braune Haus“ genannt worden, weil es die Machtzentrale der NSDAP für die Raumschaft gewesen sei.
Genehmigung für den Abriss
Ziwey erklärt, dass er damals den Petitionsausschuss des Landtags angerufen habe. „Die kamen dann und haben es sich angeschaut. Ich habe ihnen gesagt, dass es niemanden gebe, der das Haus renovieren wollen würde.“ Es sei auch keinem zumutbar gewesen, es als Denkmal zu renovieren. „Der Abriss wurde dann genehmigt“, fasst der Alt-Bürgermeister zusammen.
Hubert Kunicki, der damals im Stadtrat war, wohnt in der Kaufhausstraße. In seiner Kindheit sei die Kaufhausstraße die Hintergass gewesen, erzählt er. Er erinnert sich noch, wie im Kaufhaus in der Zeit des Dritten Reichs das Parteiheim war und wie später der Abriss ablief.


Der Stadtrat habe sich Anfang der 1970er überlegt, was mit dem Haus passieren solle. Die Stadt habe es dem Petitionsausschuss, der kam, sogar für eine D-Mark angeboten. „Aber sie wollten es auch nicht“, sagt Kunicki. Das sei der Beweis gewesen: Niemand wollte es haben.
Tägliche Fotos vom Abriss
Beim Abriss habe die ganze Nachbarschaft geschaut, erinnert sich Hubert Kunicki. Die Arbeiten hätten etwa einen Monat gedauert, erzählt er: „Ich habe jeden Tag Fotos gemacht.“ Jemand habe Holzsäulen mitnehmen wollen. Diese Balken seien dann lange auf einer Deponie in Rißtorf gelagert worden. Heute seien zwei davon an einem Gasthaus in einem Radolfzeller Ortsteil, weiß er.
Nach dem Abriss entstanden auf dem Platz Parkplätze, die die Stadt dringend brauchte, so Kunicki. Es sei auch darüber gesprochen worden, eine Tiefgarage unter dem Platz zu bauen.
„Es wäre eine Chance gewesen, aber es war kein Geld da“, sagt Kunicki. In der Oberstadt habe es damals noch viele Geschäfte gegeben, die es in der Unterstadt nicht gab.

Heute stehen auf dem Gustav-Hammer-Platz ein Brunnen und der größte Teil des Platzes ist dem Markt sowie Veranstaltungen vorbehalten. Es gibt nur noch wenige Autostellplätze am Rand.
Aber etwas ist vom Kaufhaus doch noch in der Stadt geblieben: Hubert Kunicki hat einen großen Bund mit allen Schlüsseln.
Serie und Kontakt
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Viele Nutzungen des Gebäudes
- Das Kaufhaus wurde im Jahr 1737 gebaut und hatte im Lauf seiner Geschichte verschiedene Nutzungen. So schrieb Hans Wagner im Buch „Aus Stockachs Vergangenheit“, dass kein Gebäude in der Stadt „auch nur annähernd einem solchen Wechsel in seiner Benutzung unterworfen worden wäre“. Das Kaufhaus war Korn- und Haberhaus, Quartier für Militär, Warenhaus für jüdische Händler, Abstellraum für Feuerlöschgeräte, Markthalle, Heimatmuseum und mehr. Auch Schulräume waren im 18. und 19 Jahrhundert darin untergebracht. Während der NS-Zeit war das alte Kaufhaus die Zentrale der NSDAP für die Raumschaft und hatte deshalb bis zum Abriss den Namen „Das braune Haus“.
- Platz und Straße: Laut dem Buch „Stockach im Zeitalter der Weltkriege“ war ein früherer Name des Platzes Wilhelm-Gustloff-Platz. Im Dritten Reich war es üblich, Straßen und Plätze nach Nationalsozialisten umzubenennen. Zum Zeitpunkt des Kaufhaus-Abrisses habe der Platz Gustav-Hammer-Platz geheißen, erzählt Hubert Kunicki. Die älteren Bewohner der Kaufhausstraße nennen sich heute noch Hintergässler, da die Straße einst die Hintergasse war.
- Heimatmuseum: Die Handwerksmeister Gustav Hammer und Hermann Muffler hatten sich in den 1930er-Jahren für ein Heimatmuseum eingesetzt. Dieses entstand in den 1950ern im Kaufhaus. (löf)