Das Stockacher Rathaus war eigentlich nie als Rathaus geplant. Es entstand Ende 1960er-Jahre als Landratsamt des Landkreises Stockach, der bis zur Kreisreform 1972/73 existierte. Das Gebäude mit der ungewöhnlichen Architektur war ein Versuch, wenige Jahre vor der Kreisreform noch das Ruder herumzureißen und die Kreisverwaltung in Stockach zu halten.

Der als Landratsamt geplante Komplex war eine der größten Baustellen in der Stadt und sollte als Ersatz für den Altbau dienen, in dem die Ämter bis dahin untergebracht waren: Das ehemalige "Zum weißen Kreuz" am Marktplatz, in dem im Jahr 1770 Prinzessin Marie-Antoinette übernachtet hat. "Die räumliche Unterbringung des Landratsamtes beschränkte sich bisher auf das Amtsgebäude des früheren Bezirksamtes Stockach und eines hauptsächlich für die Dienststellen der Kreisverwaltung im Jahre 1955 gekaufte und für den damaligen Raumbedarf gerade noch ausreichenden Grundstücks", beschrieb der damalige Landrat Viktor Freiherr von Gleichenstein im Grußwort der Festschrift zur Eröffnung des neuen Landratsamts im Jahr 1969. Über das neue Gebäude schrieb er darin: "Mit einer in Gestaltung und Zweckmäßigkeit ausgezeichneten Konzeption der Architektin haben Ingenieure, Unternehmer und Handwerker eine hervorragende Arbeit geleistet."

Die erwähnte Architektin war Friederike von Wolff aus Konstanz. Ihr Entwurf setzte sich 1966 in einem Wettbewerb gegen 43 andere durch. Ein Jahr später waren Planung und Ausschreibung fertig und der Kreis vergab die Aufträge mit einer Gesamtsumme von rund 3,4 Millionen D-Mark. Baubeginn war im Februar 1968, das Richtfest fand noch im selben Jahr statt. Die Bauzeit betrug 18 Monate und die Einweihung war im Januar 1970.

"Sie waren schon am Bauen, als ich Stadtrat geworden bin", erzählt der 84-Jährige Hubert Kunicki, der von 1968 bis 1980 Gemeinderat in Stockach war. Er habe die Arbeiten immer mitverfolgt und schaue auch heute gerne noch zu, wenn neue Gebäude entstehen. "Der ausgehobene Grundriss war für uns ein Rätsel. Wir konnten uns noch nicht vorstellen, was es wird." Heute würde so nicht mehr gebaut, sagt er über die ungewöhnliche Architektur des Gebäudes.

Es sei überall bekannt gewesen, dass der Landkreis Stockach vor dem Ende stand, aber es gab die Hoffnung, ihn mit dem neuen Gebäude zu retten. Bei der Eröffnung sei jedoch klar gewesen, dass das Gebäude über kurz oder lange leer stehen würde. Scherzweise sei das Landratsamt in der Stadt "Grab des unbekannten Beamten" genannt worden, erzählt Kunicki.

Es habe dann Überlegungen gegeben, was in das Gebäude hineinkommen könnte, aber alle seien gescheitert. Der Stadtrat habe zum Beispiel an die Regierung in der damaligen Bundeshauptstadt Bonn geschrieben, dass das neue Gebäude ideale Voraussetzungen für eine Forschungsanstalt sei, erzählt Kunicki. Diese hätte Wissenschaftler in Seenähe locken können. Schließlich kam aber die Idee auf, das Stockacher Rathaus vom Altbau mit Glockentürmchen in der Hauptstraße in den leeren Ex-Landratsbau in der Adenauerstraße zu verlegen. Und so kam es dann auch. Das Stockacher Rathaus ist heute noch dort. Kunicki findet es etwas schade, dass das Rathaus aus dem Stadtkern heraus genommen wurde und dann nicht mehr im Herzen der Stadt war. Im alten Rathaus war in späteren Jahren die Sparkasse und heute darin sind verschiedene Geschäfte, Arztpraxen und Wohnungen.