Zupacken können muss man, Kraft braucht man und auch die Ausdauer ist von Bedeutung. Allesamt Voraussetzungen, die Klemens Leute und Kevin Hirling mitbringen. Ihr Handschlag besitzt die Kraft eines Schraubstocks. Und das ist auch nötig, denn die zwei jungen Männer sind die Kletterbue der Stockacher Zimmerergilde. Wenn am Schmotzigen Dunschtig der Narrenbaum gesetzt ist, klettern sie hinauf und lösen in luftiger Höhe – rund 15 Meter über dem Boden – das Sicherungsseil. Dann steht er frei, und die Menge jubelt. "Dort oben hat man einen Ausblick wie sonst niemand", erzählt Kevin Hirling, 24, schmunzelnd. "Eine durchaus exklusive Lage", ergänzt Klemens Leute, 27, lachend.
Jahr für Jahr wechseln sich die beiden Freunde ab – seit 2012. Diesmal klettert Kevin Hirling, aufgewachsen in Stockach, den Narrenbaum empor. Bisher ging diese Form der gelebten Tradition stets gut. Und das ist kein Zufall: Bereits sechs Wochen vor dem Schmotzigen beginnen sie damit, sich auf den einen Moment vorzubereiten. "Dann trainieren wir ein Mal in der Woche, klettern unseren zwölf Meter hohen Trainingsbaum hinauf, Zug um Zug", erklärt Klemens Leute, der aus Eigeltingen stammt. "Das gibt uns die nötige Sicherheit für den finalen Auftritt."
Die zwei Freund sind leidenschaftliche Narren. Beide haben ähnliche Voraussetzungen dafür in die Wiege gelegt bekommen. Kevin Hirlings Vater, ebenfalls Zimmerer, nahm seinen Sohn in frühester Kindheit mit auf die Fasnet. Und auch in Klemens Leutes Adern fließt närrisches Blut. Sein Onkel, Altehrenmeister Kurt Elsner, erklomm als erster Kletterbue der Zimmerer den Stockacher Narrenbaum. Trotz ähnlicher Hintergründe war der Werdegang ein anderer. Denn während Kevin Hirling bereits beinahe sein ganzes Leben in der Gilde verbracht hat, stieß Klemens Leute erst im Alter von 21 Jahren hinzu.
"Für mich gibt es kein Leben ohne die Zimmerer", erzählt Hirling stolz. Neben der Leidenschaft für die Narretei bringen die zwei auch die passenden körperlichen Voraussetzungen für ihre wichtige Kletteraufgabe mit. Sportlich sind sie, "die Technik ist aber letztendlich entscheidend", erklärt Klemens Leute. Aber nicht nur die Technik ist wesentlich. Ebenfalls bedeutend, so erzählen die beiden, sei die passende Bekleidung: eine dicke Hose, drei Pullover und drei Paar Socken. "Sonst kann es schmerzhaft werden", weiß Leute aus Erfahrung.
Trotz schmerzhafter Aussichten sehnt das Duo den großen Tag herbei. Dass sie stets zu zweit unterwegs sind, liegt dabei nicht nur in ihrer Freundschaft begründet: "Falls einer von uns ausfällt, kann der andere für ihn einspringen", erklärt Kevin Hirling. Vorgekommen ist das bisher nicht. Vorbereitet sein wollen sie dennoch auf ihre nicht ganz ungefährliche Aufgabe. "Man hat Respekt, Angst ist an dieser Stelle aber fehl am Platz", so Hirling. Wenn es dann endlich losgeht, schießt das Adrenalin in den Körper, auch wenn sie mit einem Seil gesichert sind, und gibt den beiden den letzten notwendigen Schub. "Und wenn man dann oben hängt und das Seil durchtrennt hat", freut sich Hirling schon, "dann kann man den Augenblick und den Ausblick auch mal für einen kurzen Moment genießen."
Die Zimmerergilde
Seit 1881 existiert die Althistorische Zimmerergilde zu Stocken. Sie ist eine von fünf Gliederungen des Hohen Grobgünstigen Narrengerichts und übernimmt bei der Fasnet unter anderem das Setzen des Narrenbaums. Die Mitglieder der Zimmerergilde – in Stockach 39 an der Zahl – sind dabei verschiedenen Ständen zugehörig: dem Meister, dem höchsten Stand und Rang, gefolgt vom Polier, den Gesellen sowie den Herrenlehrbuben. Bei den Jungzimmerern sind jene organisiert, die noch noch nicht volljährig sind. (lre)