Einige Wahlwieser Bürger, die sich der biologisch-dynamischen Landwirtschaft verbunden fühlen, machen sich Sorgen um die Landschaft rund um den Erlenhof. Grund ist die Ausweisung einer über 100 Hektar großen Fläche für Agri-Photovoltaik, kurz Agri-PV. Künftig könnte dort eine Doppelnutzung der Fläche erfolgen: Solarmodule könnten Sonnenenergie speichern, während darunter weiterhin Obstbäume kultiviert werden.

Karl-Hermann Rist, Betriebsleiter des Erlenhofs, Mitglied im Ortschaftsrat Wahlwies und Gemeinderat Stockach (Grüne) sprach nun mit ihnen am vergangenen Mittwoch vor Ort über ihre und seine Bedenken.

Er sagte, Ende 2023 seien als „Hinterlassenschaft“ von Alt-Bürgermeister Rainer Stolz in großem Umfang Ausweisungen von Industrie- und Gewerbegebieten und eben dieser Flächen in Wahlwies für Agri-PV erfolgt. Diese Themen befänden sich in der Pipeline, seien aber noch nicht genehmigt. Er vermute, Stolz habe seiner Nachfolgerin „möglichst viele Entwicklungsfelder“ offenhalten wollen.

Welche Folgen hat die Agri-PV für Landwirte?

Die Erzeugung regenerativer Energien werde sehr stark gefördert. Rist nennt große Freilandflächen-PV-Anlagen, die in der Region entstanden sind oder kommen werden. „Diese Flächen gehen der landwirtschaftlichen Nutzung erstmal verloren, aber sie bieten die Möglichkeit, kurzfristig Energie zu gewinnen und sind nach 20 oder 30 Jahren relativ einfach zurückzubauen. Wenn dort vorher konventioneller Ackerbau stattfand, ist das ökologisch betrachtet kein Nachteil“, so Rist.

Bei Agri-PV ist er jedoch skeptisch: „Ich glaube, das nach außen getragene Motiv ‚Wir wollen Bauern helfen‘, wird nicht ziehen. Man rettet keine Bauern damit“, sagte er den Bürgern. Eine landwirtschaftliche Nutzung parallel zu Solarmodulen sei schwierig, wenn Steine im Boden lägen, die beim Durchfahren dagegen fliegen könnten.

„Es gibt aber Modelle, die sich halbwegs mit landwirtschaftlicher Nutzung vertragen, das will ich nicht in Abrede stellen. Ob der Nebeneffekt wie Schutz vor Sonnenbrand durch Beschattung zutrifft und ob durch Schutz vor Regen weniger gespritzt werden muss, weiß man noch nicht so richtig“, so Rist.

Flächenauswahl willkürlich und falsch?

Rist hält die Flächenausweisung für willkürlich und falsch. „Aus meiner Sicht wären Hangflächen viel wichtiger, wenn es wirklich darum geht, Bauern zu helfen, als ebene Flächen, die vielfältig für Obstbau, Ackerbau oder Viehzucht nutzbar sind“, erklärte er.

Einer der zentralen Gründe, warum diese Fläche ausgewiesen worden sei, sei die Nähe zum Industriegebiet Hardt und die Trasse, die die Stadtwerke Stockach dann eventuell erschließen werde. Die Stadtwerke seien noch nicht Eigentümer des Stromnetzes hier, kauften aber sukzessive Stromnetze von EnBW auf.

Das könnte Sie auch interessieren

Rist verwies bezüglich der Flächenauswahl auf ein Argument im Gemeinderat: Vor Wahlwies sei sowieso schon alles voll mit Hagelnetzen und Gewächshäusern. „Diese Haltung finde ich befremdend. Wenn es irgendwo schon nicht schön aussieht, muss man gucken, dass es besser wird“, kritisiert er. Dem Vorschlag der Bürger, PV-Anlagen entlang der Autobahn aufzubauen, entgegnete er, dies sei durch die Ausweitung des Industriegebiets ausgeschlossen worden.

Anwohner sorgen sich um das Landschaftsbild

Einwohnerin Annegret Meyer sorgte sich um das idyllische Landschaftsbild. Rist beruhigte sie: „Wenn ich als Eigentümer es nicht will, kann mir keiner Agri-PV aufs Feld stellen. Auch Pächter genießen in der Regel Schutz über eine gewisse Zeit.“

Zudem beschrieb er die finanzielle Situation konventioneller Obstbauern als katastrophal. „Welche Landwirte haben die Möglichkeit, in so eine relativ teure Anlage zu investieren, wenn sie wirtschaftlich am Rand stehen?“, fragte er. Es werde Investoren geben, die die Möglichkeit nutzen, wenn sie für sie wirtschaftlich ist. Wenn es auch ihnen einen wirtschaftlichen Vorteil bringe, würden die konventionellen Landwirte Agri-PV zustimmen.

Das könnte Sie auch interessieren

Zur Haltung des Pestalozzi Kinder- und Jugenddorf erläuterte der Erlenhof-Betriebsleiter: „Unserem Obstbau geht es auch schlecht. Wir stehen jedes Jahr vor der Entscheidung, zuzumachen. Auf ackerbaulich genutzten Flächen werden wir nichts machen. Wenn, dann auf obstbaulich genutzten Flächen – ich würde lügen, wenn ich das ausschließe.“ Die meisten Obstbauflächen seien jedoch Pachtflächen. „Alles was relativ nah am Hof ist, gehört uns. Ein paar Meter weiter ist Pachtfläche.“

Kritik an Kommunikation der Stadt und des Gemeinderats

Ein Gesprächsteilnehmer schlug vor, PV-Module anstelle der Hagelnetze aufzubauen. Auf der ausgewiesenen Fläche gibt es allerdings wenig Obstbau und entsprechend wenig Hagelnetze. Die Gruppe war sich daher einig, dass das Kinderdorf durch seine Flächen mit Grünland, klassischem Ackerbau mit extrem vielseitiger Fruchtfolge, über 300 Streuobstbäumen und der Ermöglichung vom Grünen Band Wahlwies eine ökologisch wertvolle Landschaft geschaffen hat. Es sei nicht egal, was hier passiert.

Das könnte Sie auch interessieren

Rist, der wie Ortsvorsteher Udo Pelkner Mitglied des Gemeinderats in Stockach ist, sagte zum Informationsfluss über die mögliche künftige Flächennutzung: „Nicht einmal die Ortschaftsräte in Wahlwies haben es gewusst, weil die Leute, die im Stadtrat sind, ihre Kollegen nicht informiert haben.“

Ziel der Anwohner ist nun, wie vor Ort klar wurde, Aufmerksamkeit zu schaffen, sich zu vernetzen und mit dem Umweltzentrum zusammenzutun. Außerdem wollen sie Bürgermeisterin Susen Katter zu einem Flurgang einladen. Für Friedel Lehmann steht fest: „Dass Wahlwies durch die Tatsache, ein Teil von Stockach zu sein, bedroht ist, als Einspeiser von Energie benutzt zu werden – da muss man sich empören. Das hat mit Ökologie nichts zu tun.“