Es fängt an zu piepsen und plötzlich geht es um Leben und Tod: Diese Situation war für Peter Mayr fast ein halbes Jahrhundert lang Alltag. Der Stockacher war der erste Notarzt im Landkreis Konstanz und bis Frühjahr 2023 im Einsatz. Dabei hat er viele Leben gerettet, aber auch extrem herausfordernde Situationen erlebt. Im Gespräch mit dem SÜDKURIER erzählt er, warum er trotz allem auch mit 72 Jahren noch nicht ganz in den Ruhestand gehen will.
Am Anfang seiner Laufbahn als Notarzt war Peter Mayr noch ohne Blaulicht unterwegs. „Damals gab es noch nicht mal die Bezeichnung Notarzt“, erinnert er sich. Die ersten 15 Jahre sei er im Landkreis Konstanz in dieser Position allein auf weiter Flur gewesen und habe Einsätze bis zur Schweizer Grenze gefahren.
Früher gab es keine extra Fahrzeuge
Und das alles mit seinem privaten Auto. „Notarztfahrzeuge wie heute gab es damals noch nicht“, so Mayr. Und auch wenn die Notärzte inzwischen im weiß-roten Auto mit Blaulicht und Martinshorn zur Einsatzstelle fahren, Mayr hat bis zum Schluss auf sein Privatauto gesetzt. Allerdings hat er irgendwann zumindest die Genehmigung bekommen, dieses ebenfalls mit Blaulicht und Martinshorn auszustatten. „Dadurch war ich einer von wenigen Notärzten in Baden-Württemberg, die es geschafft haben, die Hilfsfrist von 15 Minuten in 98 Prozent der Fälle einzuhalten“, sagt Mayr.
Im Raum Stockach war der Notarzt mit dem schwarzen BMW bekannt, schließlich habe er hier bis vor wenigen Jahren im Alleingang 95 Prozent der Notarzteinsätze gefahren, sagt er. Bei durchschnittlich fünf Einsätzen pro Tag komme er auf rund 85.000 Einsätze als Notarzt, rechnet er vor.
Geburten waren immer besondere Momente
Wie viele Menschenleben er in dieser Zeit gerettet hat, das kann er nicht beziffern. Doch zweifellos waren das die schönsten Momente seiner Dienstzeit. „Wenn man in den ersten zehn Minuten richtig entscheidet und damit den Betroffenen vor weiterem Schaden bewahren kann, dann ist das unglaublich schön“, sagt Mayr. Auch Geburten im Rettungswagen seien immer besondere Momente in seiner Dienstzeit gewesen.
Schnelle Entscheidungen treffen zu können und spontan zu reagieren, das sei ohnehin die wichtigste Eigenschaft für einen Notarzt. „Im Gegensatz zu fast allen anderen ärztlichen Tätigkeiten hat man hier nicht die Chance, mit einem Kollegen Rücksprache zu halten oder in der Fachliteratur nachzuschlagen“, erklärt Mayr. Doch auch diese Herausforderung habe ihn immer gereizt. Das sei ein Grund, weshalb er die Aufgabe in den ersten zehn Jahren zum Nulltarif gemacht habe. „Bezahlt wurden die Einsätze anfangs nicht. Aber der Auftrag, Menschen helfen zu können, hat mir Spaß gemacht“, sagt Mayr.
Doch natürlich gab es auch viele schwere Momente. Für Mayr sei es immer besonders traurig gewesen, wenn junge Menschen betroffen waren. „Besonders früher gab es noch ganz oft sehr schwere Verkehrsunfälle, bei denen man einfach nicht mehr helfen konnte. Dabei sind auch viele junge Menschen zu Tode gekommen“, sagt Mayr nachdenklich.
Darüber ärgert sich sogar ein Notarzt
Doch man erlebe in 47 Jahren als Notarzt auch allerhand Kurioses. So habe ihn mal jemand gerufen, der am folgenden Tag in den Urlaub fahren wollte und dringend ein Mittel gegen Durchfall brauchte. „Da habe ich mich dann schon auch geärgert“, so Mayr. Denn dafür gibt es Notfall-Apotheken.
Doch wie ist es, über Jahrzehnte hinweg an 365 Tagen im Jahr und rund um die Uhr in Bereitschaft zu sein? „Man lernt damit zu leben und umzugehen“, sagt Mayr und fügt hinzu: „Ich bin ein Mensch, der wenig Schlaf braucht. Vier Stunden reichen mir.“ Klar habe es auch Situationen gegeben, in denen die Notrufe gestört haben. Beim gemütlichen Familienessen im Restaurant etwa. „Aber der Notfall geht vor“, sagt Mayr.
Seine Praxis führt er weiter
Seit einem guten Jahr hat er nun die Einsatzjacke an den Nagel gehängt. Fehlt da nicht etwas? „Wenn ich einen Entschluss gefasst habe, dann stehe ich auch dazu. Außerdem bin ich ja nicht ganz weg von der Medizin. Meine Arztpraxis bleibt weiter in Betrieb und das wird sich auch in den kommenden Jahren nicht ändern. Ich bin gesund und fit und habe Spaß an meiner Arbeit. Aber die Notarzt-Arbeit überlasse ich jetzt gerne auch den jüngeren Kollegen“, sagt der 72-Jährige lächelnd.
Lächeln müsse manchmal noch seine Frau, weil er trotz des Notarzt-Ruhestands manche Gewohnheiten bis heute nicht ablegen kann. „Ich lege mir immer noch die Kleidung neben das Bett und könnte mich in Windeseile im Dunkeln anziehen“, sagt er.
Verband sieht Zentralisierung von Kliniken problematisch
Mittlerweile habe sich viel geändert im Vergleich zu seiner Anfangszeit. Inzwischen sind etwa die Krankenhäuser stärker bei der Bereitstellung von Notärzten einbezogen. Auch das Krankenhaus Stockach sei hierfür ein wichtiger Stützpunkt.
Der Verband der Ersatzkassen (VDEK) blickt vor dem Hintergrund der voranschreitenden Zentralisierung von Krankenhäusern besorgt auf die Zukunft der Notarztversorgung. Die Zentralisierung der Krankenhäuser sowie die weitere Entstehung von Klinikverbünden, die unter gleicher Trägerschaft stehen, würden die flächendeckende Notarztgestellung erschweren, heißt es in einer Mitteilung des Verbands aus dem April 2024.
Aus Sicht des VDEK ist die notärztliche Versorgung in Baden-Württemberg aber zumindest derzeit „im Vergleich zu anderen Bundesländern vorbildlich“, heißt es in der Mitteilung. Fast jedes Krankenhaus im Land besitze einen Notarztstandort. Des Weiteren seien auch einzelne niedergelassene Ärzte an der Notarztversorgung beteiligt. So wie Peter Mayr es fast fünf Jahrzehnte lang war.