Wie kommen Karbatschen aus Stockach nach Oslo? Und wofür werden die langen Peitschen, die eigentlich in der schwäbisch-alemannischen Fasnacht eingesetzt werden, dort verwendet? Die Antwort auf die erste Frage ist ganz einfach: Der Stockacher Seilermeister Bernhard Muffler bekam einen Anruf aus Norwegen.
"Das kam für mich aus heiterem Himmel", erzählt er rückblickend. Doch der Kontakt habe gehalten und man sei miteinander ins Geschäft gekommen. Besonders überrascht wirkt Muffler im Gespräch trotzdem nicht, auch wenn der Osloer Auftrag für ihn natürlich besonders war. Denn größtenteils liefert er seine Karbatschen in die Fanachtsregion – doch im Zeitalter von Internet-Suchmaschinen ist vieles möglich.

Zum Beispiel, dass man im fernen Norwegen auf eine Stockacher Seilerei kommt, um Karbatschen zu bestellen. Gebraucht werden die Peitschen in einem Stück des norwegischen Nationalballetts, das 2020 auf die Bühne kommen soll. Darin sollen die Tänzer Karbatschen schwingen – eine Idee der Choreografin des neuen Stücks, die selbst einmal Ohren- und Augenzeugin eines Auftritts von Karbatschen-Schnellern war. Und Muffler berichtet, dass die Tänzer sich offenbar eine anspruchsvolle Aufgabe gestellt haben: "Sie wollen im Dreiertakt schlagen, das ist viel schwieriger als ein Zweiertakt, bei dem es hin und her geht."
Eigentlich sei seine Mission mit der Lieferung der Peitschen erledigt gewesen, sagt Muffler. Doch gefragt war dann auch jemand, der den Balletttänzern den Umgang mit dem ungewohnten Requisit theoretisch und besonders praktisch erklärte. Er sei daraufhin seine Kundenkartei durchgegangen und relativ rasch auf die Pfullendorfer Schneller gekommen, sagt der Stockacher Seiler.
Pfullendorfer Schneller fährt als Trainer nach Norwegen
Thomas Spähler ist in der dortigen Schnellergilde praktisch unverzichtbar. Er schwingt seit Jahrzehnten die Karbatsche und holte im vergangenen Jahr die Stadtmeisterschaft. Der Pfullendorfer Schneller wurde vom Management des Osloer Nationalballetts als Trainer ausgewählt, und so machte sich Thomas Spähler in Begleitung seiner Ehefrau Birgit auf den Weg nach Norwegen.
Nach einigen Übungsstunden im verspiegelten Ballettraum mit den fünf Tänzern ging es auf die Bühne, wo viele Verantwortliche warteten, von Choreografie und Kulissenbauern bis zu den Musikern. Unter anderem wurde die Lautstärke der Karbatschenschläge gemessen, verbunden mit der Frage, ob das Schnellen überhaupt mit der Akustik des Saals in Übereinstimmung zu bringen ist.

Letztlich stimmten alle dem bislang einmaligen Experiment zu, und waren von den Vorführungen des Pfullendorfer Schnellers sichtlich angetan. Voll des Lobes ist Spähler über seine fünf Schüler, die sehr schnell den Umgang mit der Karbatsche verinnerlicht hätten. Angetan war das Ehepaar auch von der Herzlichkeit des gesamten Ensembles. Sie hätten eine Mitarbeiterkarte erhalten, mit der sie sich in allen Räumen des Opernhauses, der Bühne des Nationalballetts, umsehen konnten. „Wir wurden behandelt, als wenn wir seit vielen Jahren dabei wären“, schwärmt Spähler.
Feuer gefangen hat der sportbegeisterte Schneller aus Pfullendorf auch für das Ballett, nachdem er und Ehefrau Birgit eine Aufführung des Stücks „Der Nußknacker“ von Peter Tschaikowski besuchen durften. „Das war ein fulminantes Erlebnis, einfach fantastisch“, erzählt Thomas Spähler. Und eine Einladung zur Premierenvorstellung 2020, wenn durch das Osloer Opernhaus die Karbatschen schnellen, haben sie auch schon bekommen. Und der Stockacher Seiler Bernhard Muffler? Der war zwar noch nicht in Oslo, um sich anzuhören, wie seine Karbatschen auf der Bühne des Opernhauses klingen. "Aber vielleicht fahre ich mal hin", sagt er.
Peitschen und Schnellen
Das Schnellen mit Karbatschen ist eine Tradition an verschiedenen Orten der schwäbisch-alemannischen Fasnacht. In unserer Region sind die Hochburgen Pfullendorf und Überlingen. Das Seil der Peitsche werde konisch gesponnen, berichtet Seiler Bernhard Muffler, also in Form eines sehr langen Kegels. Dadurch beschleunige sich die Bewegung, die der Schneller mit der Hand macht, zum Ende des Seils hin, so Muffler.
Der typische Knall kommt durch Überschall zustande. Der Schneller schwingt dazu die Karbatsche über dem Kopf in eine Richtung, dann dreht er seinen Körper mit in die Richtung des Schwungs, um dann, wenn die Karbatsche sich schon fast hinter ihm befindet, sie mit ganzem Körpereinsatz in die entgegengesetzte Richtung zu ziehen. Die Kunst beim Schnellen ist, durch ausgefeilte Technik die Karbatsche mit wenig Kraft zu bewegen und einen möglichst lauten Knall herbeizuführen. (eph/siv)