Der erste Tag der Stockacher Narren in Berlin hatte es mit der Verhandlung am Abend in sich. Ähnlich wie am Schmotzigen Dunschtig in Stockach gab es schon eine Woche früher amüsante Wortgefechte. Beklagt war jedoch keine Person, sondern ein Thema: „Schwaben Bashing“ oder „Wie richtig umgehen mit den Schwaben in Berlin“ vorstellte. Den Ticker mit allen Erlebnissen von Donnerstag und Freitag gibt es hier.
Ex-Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, wohnhaft in einer Villa in Berlin-Dahlem, und der frühere Grünen-Bundestags-Fraktionschef Rezzo Schlauch, Stockacher Laufnarr und bekennender Schwabe von Kopf bis Fuß, vertraten die Parteien bei der Veranstaltung in der Landesvertretung von Baden-Württemberg.
Schon draußen war das Hohe Grobgünstige Narrengericht zu Stocken präsent, denn die Veranstaltung wurde an die Fassade projiziert. Die Stockacher erwarteten zwar viele Besucher, doch es kamen immer noch mehr, sodass im Saal dichtes Gedränge herrschte. Unter den Gästen waren neben Ministerpräsident Winfried Kretschmann rund 50 Abgeordnete. Auch Andreas Jung (CDU) und Lina Seitzl (SPD), zwei der drei Vertreter aus dem Landkreis Konstanz, waren dabei. Später kam der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl (CDU) dazu.
Nach einer ersten Note mit dem Gedenken an die Opfer des Erdbebens in der Türkei und Syrien sowie des Kriegs in der Ukraine begann die närrische Sitzung. Die Verhandlung nahm ihren gewohnten Gang: Hans Kuony (Roland Drews) und Narrenschreiber Marcel Reiser kamen zu Wort, bevor der Narrenrichter Jürgen Koterzyna vorstellte.

Fürsprech lobt Ex-Bundesgesundheitsminister
Jens Spahn sei ein „typischer Berliner, erläuterte Fürsprech Michael Nadig: „42 Jahre alt, wertkonservativ, verheiratet, ungedient, westdeutscher Migrationshintergrund.“ Er habe Herz und Schnauze am rechten Fleck – im Gegensatz zu den schwäbischen Integrationsverweigerern. Hier regten sich närrische Buh-Rufe aus dem Publikum. Nadig lobte Jens Spahn auch, weil er im Gegensatz zu manch anderen Politikern eine solide Bankausbildung und ein erfolgreiches Studium vorweisen könne sowie eine bemerkenswerte Karriere in der Bundespolitik gemacht habe. „Er ist einer, mit dem man immer rechnen muss: in the Länd, in der CDU und in Berlin“, rief der Fürsprech den Zuhörern zu.
Dafür sei Rezzo Schlauch ein bekennender Schwabe mit Schwertgosch, ein gestählter Pfarrerssohn, konterte Verteidiger Wolfgang Reuther. Schon öfter sei er als Schwabe Anfeindungen ausgesetzt gewesen und habe daher Verständnis für seine Landsleute im Berliner Exil.
Spahn beklagt das Schwabylon Berlin
Beide Politiker traten gut vorbereitet auf. Jens Spahn fragte: „Was haben die Schwaben je für uns Berliner gemacht? Sie haben diese Stadt kulturell auf den Kopf gestellt. Sie haben eine funktionierende Metropole zum Schwabylon Berlin gemacht.“ Dabei seien die Badener froh, dass die Schwaben in der Hauptstadt wohnten und Baden nicht zu einer Spätzle-Kolonie gemacht hätten. Dann würde Maultasche statt Redefreiheit gelten, so Spahn.
Auch mit der Fasnacht wäre es vorbei, unkte der Bundestagsabgeordnete. „Straßenputzen statt Gassenfasnacht, Besenstiel statt Narrenbaum, Jetzetzle statt Narro“ wären die Folge. Badnerland in Schwabenhand – das wäre „The End of the Länd“.
Ein Schwabe im eigenen Haushalt
Bevor die Schwaben in die Hauptstadt gekommen seien, sei Berlin eine „tadellos funktionierende und pulsierende Weltstadt“ mit drei wunderbaren Flughäfen gewesen. Heute verstopften Lastenräder die Straßen. Mit den Maultaschen habe der Abstieg begonnen, machte Spahn klar. Dass er mit einem Schwaben verheiratet sei, zeige, dass nicht alles schlecht sei, was aus Schwaben komme. „Ja, es gibt auch Beispiele gelungener Integration, aber das sind Einzelfälle. Und es klappt nur mit starkem persönlichem Einsatz, bekräftigte er.
Dann stichelte der CDU-Politiker in Richtung der Grünen und vor allem gegen Rechtsanwalt Rezzo Schlauch. Ob dieser wohl am Ende noch den Pflichtverteidiger von Wolfgang Kubicki vor dem Stockacher Narrengericht geben werde? Auch zu Cem Özdemir, den Schlauch an diesem Abend vertrat, hatte er sich Gedanken gemacht. Dieser tauge als Paradebeispiel für gescheiterte Schwaben-Integration in Berlin.
Als Vegetarier habe Özdemir noch keine Currywurst oder einen echten Döner gegessen, er halte Herta für eine Wurst und Union Berlin für eine Volkspartei der Mitte. Dabei sind beide Fußballvereine der Bundesliga. Die Berliner Eisbären (Eishockey-Team) wolle er zurück in die Arktis bringen. Gerüchten zufolge schlafe Özdemir bei offenem Fenster, um den Ruf zum Ministerpräsidenten in Baden-Württemberg zu hören – in Zeiten der Energiekrise sei das jedoch unverantwortlich, auch wenn man sich ja über jeden Schwaben freue, der Berlin wieder verlässt.

Spätzle-Day im Bundestag?
Rezzo Schlauch machte gleich klar, die volksnahe, effiziente und Streit befriedende Rechtsprechung des Stockacher Narrengerichts könne der Justiz in Berlin nur gut tun. Ob Jens Spahn allerdings überhaupt bevollmächtigt sei, als Westfale die Berliner zu verteidigen, stellte er in Frage. Er verteidige „ein braves, friedliebendes und liberales Volk“. „Schwaben Bashing“ sei so aufregend und überraschend wie die Steuer- und Verkehrspolitik der FDP, polterte er.
Viele fürchteten sich vor einer schleichenden Schwabenisierung Berlins. So könne aus Berlin am Ende „The Cäpital“ werden, drohte er. Und anstelle eines Veggie-Days gebe es dann einen Spätzle-Day in den städtischen Kantinen und im Bundestag.
Schlauch sprach von den Vorurteilen wie „überdurchschnittlichem Kinderreichtum und dadurch nachhaltiger Überfremdung der indigenen Berliner Bevölkerung“ sowie dem Beharren auf der Kehrwoche. Aber er wies auch ernsthaft auf Missstände hin: „Die Probleme dieser Stadt sind gravierend andere und sind nicht auf schwäbischem Boden gewachsen, sondern das Ergebnis von jahrzehntelanger interfraktioneller Unfähigkeit.“
Berliner hätten offenbar ein Problem mit Menschen, die auch mal etwas zustande brächten. „Wir machen Berlin besser“, beharrte er. Die Schwaben seien die dringend benötigte Einwanderung von Fachkräften. Und sie hätten weniger Probleme mit der Tatsache, dass sie Berlin seit Jahren mit den in Baden-Württemberg erwirtschafteten Steuern am Laufen halten, wenn damit sichtbar etwas Vernünftiges gemacht würde.

Grobgünstiges Urteil verlangt Integrationskurs
Nach der Beratung des Hohen Gerichts erging das Urteil. Es beinhaltet einen verpflichtenden Integrationskurs, einen jährlichen Abgeordneten-Austausch am Bodensee mit Andreas Jung als Betreuer. Auch sollten beide Streitparteien als Wahlhelfer für die anstehende Wahlen zum Abgeordnetenhaus und der zwölf Bezirksverordneten-Versammlungen abgestellt werden.
Dieses sei eher günstig als grob, sofort zu vollstrecken und es sei kein Widerspruch möglich, so der Narrenrichter. Als erstes Zeichen der Verständigung und des guten Willens wurden Jens Spahn und Staatssekretär Rudi Hoogvliet zu Laufnarren geschlagen.