„Die Gastronomie in Stockach ist vergleichsweise unterentwickelt.“ Dieses Urteil fällt Jochen Fecht. Er stammt aus Stockach, hat hier Koch gelernt und ist neues Mitglied des Narrengerichts. Zuvor war er jahrelang im Riva und im San Martino in Konstanz als Sternekoch tätig. Er kennt die Stadt und ihre Gastronomie, hat aber auch den externen Blick von außen – und steht mit seiner Meinung nicht alleine da.

Jochen Fecht ist ein ehemaliger Sternekoch und berät inzwischen Gastronomen.
Jochen Fecht ist ein ehemaliger Sternekoch und berät inzwischen Gastronomen. | Bild: Ulrike Sommer

Wer in Stockach etwas essen oder trinken gehen möchte, hat dafür augenscheinlich immer weniger Möglichkeiten. Vor allem, wenn man klassisch deutsche Küche bevorzugt. Gab es einst noch Linde, Paradies, Adler, Fortuna und Goldener Ochsen, sind inzwischen nur noch die beiden letztgenannten mit klassisch deutscher Küche übrig. Zuletzt sorgte dies an der Fasnacht sogar für fiese Sketche. Steht Stockach im Vergleich wirklich besonders schlecht da? Und wenn ja, warum ist das so?

Zwei Wirte über die Gründe des Gastro-Sterbens

Boris Graf betreibt seit vielen Jahren die Nellenburger Talstation, die zuvor seine Eltern schon führten. Er kennt die Zeiten, als es in Stockach noch zehnmal so viele Restaurants gegeben hat wie jetzt, sagt er. Dennoch glaubt er, Stockach sei kein Sonderfall. So gehe es vielen kleinen Städten. Auch Philipp Gassner vom Goldenen Ochsen, ein weiteres Urgestein der Stockacher Gastro-Szene, glaubt, dass andere Städte ähnliche Probleme haben. Dennoch sind beide der Meinung, dass Stockach besondere Schwierigkeiten hat.

Eine große Rolle spielt für sie der Bodensee. „Städte wie Überlingen, Radolfzell oder Bodman-Ludwigshafen haben ganz andere Voraussetzungen als wir. Dort ist abends eine ganz andere Frequenz in der Stadt. In Stockach ist ab 19 Uhr auf der Straße nichts mehr los, da ergeben sich leere Gaststätten von alleine“, sagt Philipp Gassner.

Philipp Gassner vom Goldenen Ochsen sieht Stockach vor allem aufgrund seiner Lage im Nachteil. Städte direkt am See locken mehr an, ...
Philipp Gassner vom Goldenen Ochsen sieht Stockach vor allem aufgrund seiner Lage im Nachteil. Städte direkt am See locken mehr an, weiter entfernte gelegene Städte haben hingegen weniger Konkurrenz, sagt er. | Bild: Mario Wössner

Zudem seien am Bodensee nicht nur Touristen unterwegs, sondern auch die Einheimischen. „Aus Stockach fährt man hingegen schnell mal für ein Abendessen an den See, aus Bad Saulgau, Donaueschingen oder Tuttlingen kommt man hingegen nicht so einfach an See“, zieht er den Vergleich mit anderen Kleinstädten. Stockach sei nun einmal eine Wohnstadt. „Wir haben das Pech, nahe am See zu sein, ohne direkt dran zu liegen“, fasst er das Dilemma aus seiner Sicht zusammen.

Heute spiele der See für Gäste eine größere Rolle, das Ausgehverhalten der Menschen habe sich geändert. „Die Menschen drängen immer mehr an ohnehin schon beliebte und bekannte Orte“, berichtet Gassner. Eine Rolle spielten dabei auch die sozialen Medien. Es gelte: Aussicht schlägt Inhalt. Deshalb habe sich das Problem in den vergangenen zehn Jahren verschärft.

Der Bodensee – Fluch oder Segen?

Etwas differenzierter sieht Boris Graf von der Talstation die Rolle des Sees. „In der Hauptsaison zieht der Bodensee mehr Menschen an, als sich dort wohlfühlen können. Dann profitieren auch wir im Hinterland.“ Er beklagt jedoch, dass Stockach heute weniger vom Seetourismus profitiere als früher. „Ein großer Einbruch kam für Stockach durch die Autobahn an den Bodensee, weil dadurch weniger Autos durch die Stadt müssen“, sagt Boris Graf.

Für Boris Graf von der Nellenburger Talstation ist der Bodensee Flucht und Segen zugleich für die Stockacher Wirte. Er sieht Stockach ...
Für Boris Graf von der Nellenburger Talstation ist der Bodensee Flucht und Segen zugleich für die Stockacher Wirte. Er sieht Stockach ohnehin nur als ein Beispiel für einen generellen Trend. | Bild: Mario Wössner

Für Graf ist Stockach nur ein Beispiel für einen generellen Trend. „In kleinen Städten und Dörfern wird es immer schwieriger“, berichtet er von Gesprächen mit Kollegen innerhalb der Dehoga, also des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands. Die Menschen seien mobiler und eher bereit, zum Ausgehen weitere Wege in eine Großstadt in Kauf zu nehmen. „Wenn man fürs Kino oder zum Shoppen nach Singen oder Konstanz muss, isst man dort auch gleich noch zu Abend“, führt er aus.

Gastro-Experte kritisiert mangelnde Einkaufsmöglichkeiten

Für Berater Jochen Fecht liegt genau hier das Problem. Es wolle niemand in Stockach eine Wirtschaft betreiben, weil es an Handel fehle. Der Einzelhandel sei bei Blumhof, Wassmer und Hertle außerhalb angesiedelt. Die Oberstadt locke zu wenige Menschen an, weshalb Kneipen und Wirtschaften leer bleiben. „Und dann entsteht ein Kreislauf: Es fehlt an Leuten, Wirtschaften schließen, das Image der Stadt leidet, es kommen noch weniger Menschen und weitere Wirte müssen zumachen“, sagt er.

Stadt, Wirte oder Eigentümer: Wer kann Abhilfe verschaffen?

Doch wie lässt sich die Situation in Stockach verbessern? Jochen Fecht sieht vor allem die Stadt in der Pflicht. „Der einzelne Wirt, Händler oder Verpächter kann nichts tun. Das geht nur im Kollektiv und muss von der Stadt vorangetrieben werden. Es braucht ein Konzept für die Oberstadt, das über ein paar Begrünungen hinausgeht, ansonsten stirbt sie aus“, warnt er. Stockach müsse wieder zur Einkaufsstadt werden.

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Die Verwaltung könne laut Fecht helfen, wenn es beispielsweise um Pachtverträge bei städtischen Gebäuden, um Parkgebühren oder die Gewerbesteuer geht. Zudem könnten Hauseigentümer bei der Pacht entgegenkommen, und Einzelhändler und Gastronomen sich bei Konzepten besser abstimmen.

Etwas anders sehen das die beiden Stockacher Wirte. Ochsen-Wirt Philipp Gassner nimmt die Stadt in Schutz: Die Innenstadt sei schön und die Verwaltung initiiere schon viel, mehr könne man als Wirt nicht erwarten. Auch Boris Graf sagt, die Stadt habe nur bedingt Möglichkeiten, einzugreifen. „Aber vielleicht könnte man abends eine längere Bestuhlung erlauben oder bei Neubauten subventionieren, wenn diese sich zur Einrichtung einer Gastronomie verpflichten“, sagt er.

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Die Wirte selbst könnten hingegen auf lange Öffnungszeiten und Außengastronomie setzen und auf Google und in den sozialen Medien präsent sein, so Graf. An eine Besserung glaubt er dennoch nicht, da es für Neulinge kaum möglich sei, eine Finanzierung zu bekommen. Zudem gebe es keine Räumlichkeiten. Ehemalige Wirtschaften seien inzwischen Wohnraum, Investoren setzten bei Neubauten auf andere Nutzungen.

Stirbt die Gastronomie in Stockach aus?

Doch was bedeutet das für die Zukunft? Gassner hofft darauf, dass der Status Quo gehalten werden kann. Jochen Fecht sieht hingegen schwarz. „Ich bin kein pessimistischer Mensch, aber ich fürchte, es wird eher schlechter, wenn die Stadt nicht handelt, weil sich eine solche Tendenz immer weiter verstärkt“, warnt er.

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Etwa optimistischer blickt Boris Graf von der Nellenburger Talstation in die Zukunft. Zwar sagt er: „Ich denke, dass es die klassische deutsche Gastronomie über kurz oder lang schwierig haben wird, sich zu halten.“ Dennoch glaubt er, dass sich einzelne traditionelle Gaststätten in einer Stadt von Stockachs Größe immer halten können.

Schwieriger werde es auf den Dörfern. Graf erklärt: „Die brauchen noch mehr Kundschaft von außerhalb, weil das Dorf alleine eine solche Gaststätte nicht ernähren kann.“