Es klang nach einer guten Nachricht, als im Gemeinderat die Werte einer Feinstaubmessung der Dekra am Nellenburger Hang in Stockach vorgestellt wurden. Denn im Durchschnitt lagen die Ergebnisse mit wenigen Ausnahmen im Rahmen der gesetzlichen Grenzwerte. Für einige Anwohner ist das allerdings bei Weitem kein Grund, tief durchzuatmen. Sie verfolgen schon seit Jahren die Entwicklung der Luftqualität mit eigenen Messgeräten und beklagen, dass es immer wieder zu absoluten Spitzenwerten bei der Feinstaubbelastung komme.

Als Verursacher sehen sie die Alu Stockach. Doch dort beruft man sich auf die Einhaltung strenger Vorgaben und verweist auf zahlreiche andere Feinstaubquellen in der Umgebung.

Gesundheitsgefahr lange unterschätzt?

Die Spitzenwerte sind für die Anwohner nicht das einzige Problem. Sie sehen die gesetzlichen Grenzwerte an sich als überholt an. Dabei berufen sie sich auf Daten der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Tobias Bösing, einer der betroffenen Anwohner, ist Internist in einer Stockacher Praxis. „Seit 2015 nehmen die Studienlage und die Menge der Forschungsliteratur zu den gesundheitlichen Auswirkungen von Feinstaub zu“, erklärt er. Vor diesem Hintergrund werde deutlich, dass die Gesundheitsgefahr, die von Feinstaub ausgehe, in der Vergangenheit unterschätzt worden sei.

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Wurde der Feinstaub zu lange unterschätzt?

Werner Hammon, ein weiterer Anwohner, bringt es so auf den Punkt: „Dem Gesetzgeber wird in Stockach zwar genüge getan, aber den Bürgern ist damit nicht geholfen.“ Immerhin werde die Gesetzeslage derzeit überarbeitet. Um die künftigen, niedrigeren Grenzwerte, die ab 2030 gelten sollen, auch weiterhin erfüllen zu können, müsste in Stockach schon jetzt nachgebessert werden, so Bösing.

Eine der privaten Messstationen am Nellenburger Hang.
Eine der privaten Messstationen am Nellenburger Hang. | Bild: Tobias Bösing

Laut Daten der WHO steigt bereits ab einer Feinstaubkonzentration von fünf Mikrogramm pro Kubikmeter Luft die Mortalität, also die Anzahl der Sterbefälle in einem bestimmten Zeitraum bezogen auf die Gesamtanzahl der Individuen, um vier Prozent. Zur Einordnung: Die gesetzlichen Grenzwerte liegen bei 25 und 40 Mikrogramm pro Kubikmeter, je nachdem welche Größe die Feinstaubpartikel haben. Es wird dabei unterteilt in PM10, Partikel mit einem Durchmesser von 10 Mikrometer, und in PM2,5 – Partikel mit einem Durchmesser von weniger als 2,5 Mikrometer. PM ist die Abkürzung für Particulate Matter, zu deutsch: Feinstaub.

In Stockach liegt die mittlere PM2.5-Belastung bei elf Mikrogramm pro Kubikmeter und die mittlere PM10-Belastung bei 16 Mikrogramm pro Kubikmeter. Hier kommen allerdings die Spitzenwerte ins Spiel: „Was wir messen, sind Spitzenwerte bis fast 1000 Mikrogramm“, sagt Bösing.

Das Problem mit Durchschnittswerten

Das macht den Anwohnern Sorgen. „Die Gesundheit interessieren Tagesmittelwerte nicht“, sagt Agnes Thümmel. Sie ist die dritte Anwohnerin, die zum Gespräch mit dem SÜDKURIER gekommen ist. Ihr Mann Sebastian verdeutlicht das Problem: „Wenn ich am Stockacher Bahnhof aussteige und fünf Minuten bis zu meinem Haus laufe, dann kann es sein, dass ich gerade in dieser Zeit die Maximalbelastung einatme. Da nützt mir der Tagesmittelwert nichts.“

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Gerade in den Monaten Oktober bis März treten aufgrund der Wetterlage häufiger Spitzenwerte auf. Das belegen die Messungen der Anwohnergruppe. „Das Dekra-Gutachten ein unheimlicher Gewinn, denn der Vergleich der Daten zeigt, dass unsere Messungen im Wesentlichen korrekt sind“, sagt Bösing.

Die Alu Stockach im Verdacht

Doch woher kommen die Spitzenwerte? Die Gruppe sieht die Alu Stockach als Verursacher und verweist in diesem Zusammenhang auf die bläuliche Wolke, die immer wieder über dem Firmengelände zu sehen ist und je nach Wetterlage in die Stadt hinein zieht. „Die Produktionsprozesse in einem solchen Betrieb passen zu den periodisch auftretenden Spitzenwerten“, sagt Werner Hammon, der früher selbst im Bereich Forschung und Entwicklung bei einem Aluminium-verarbeitenden Betrieb in der Region tätig war.

Blauer Dunst zieht im Talkessel Richtung Stockach.
Blauer Dunst zieht im Talkessel Richtung Stockach. | Bild: Agnes Thümmel

Karsten Borneck, Geschäftsführer der Alu Stockach, streitet nicht ab, dass das Unternehmen Feinstaub ausstößt. Dass die Alu allein für die Belastungsspitzen verantwortlich sei, stellt er aber in Frage: „Es gibt um uns herum noch viele andere Feinstaubquellen, unter anderem das enge Straßennetz, von dem Stockach umgeben ist“, sagt Borneck. Auch das nahegelegene Blockheizkraftwerk und das Kieswerk, die in der gleichen Windrichtung liegen wie die Alu, seien aus seiner Sicht mögliche Quellen von Feinstaub.

Was es mit dem blauen Dunst auf sich hat

Schon in der Vergangenheit hat das Unternehmen mehrfach darauf verwiesen, dass die Filterkapazität stark ausgebaut worden sei und das, was das Werk nach oben verlässt, im Wesentlichen Wasserdampf sei. „Wasserdampf ist nicht blau“, entgegnet Anwohner Werner Hammon. Karsten Borneck bleibt indes dabei. Wasserdampf könne je nach Standpunkt und Lichtbrechung verschiedene Farben annehmen, sagt der Geschäftsführer der Alu Stockach.

Er fügt aber auch hinzu: „Wenn der Ofen zu stark befüllt wird, dann kann es kurzfristig passieren, dass es stärker raus raucht. Das passiert aber höchstens noch ein- bis zweimal im Jahr.“ Früher sei dies öfter vorgekommen, dank digitaler Steuerung habe man die Befüllung aber besser im Griff.

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„Insgesamt hören wir nicht auf, unsere Anlagen zu optimieren. Wir haben ein großes Interesse daran, dass die Menschen in Stockach mit uns zufrieden sind, und wir wollen, dass die 110 Mitarbeiter, die bei uns arbeiten, erhobenen Hauptes durch die Stadt laufen können“, sagt Borneck. Er verweist darauf, dass es Familien gebe, die seit Generationen im Betrieb arbeiten. Gesundheitliche Vorbehalte würden vonseiten der Mitarbeiter nicht an ihn herangetragen.

Zudem betont Borneck, dass der Abgasstrom des Schornsteins vom Regierungspräsidium Freiburg überwacht werde. „Würden wir die hier vorgeschriebenen Grenzwerte überschreiten, müssten wir mit empfindlichen Strafen rechnen“, sagt Borneck. Bislang sei das aber noch nie vorgekommen

Blauer Dunst Video: Agnes Thümmel

Anwohner wollen Netzwerk aufbauen

„Wir sind nicht gegen die Alu Stockach, sondern für ein Recht auf saubere Luft“, betont indes Tobias Bösing. „Wir möchten eine sachliche Diskussion anstoßen. Das gesundheitliche Interesse der Stockacher Bevölkerung muss im Zentrum stehen“, so Bösing weiter. Deshalb will die Gruppe die Luftqualität weiter überwachen und sucht dafür noch Mitstreiter. „Die Messung der Dekra war viel wert, aber sie kann nur der Anfang sein“, so Bösing.

Informationen zu den aktuellen Messdaten und zur Unterstützung des Messnetzwerks gibt es auf der Internetseite www.luftinfo-stockach.de. „Wir hoffen außerdem auf die weitere, kontinuierliche Unterstützung durch die Bürgermeisterin und den Gemeinderat mit Blick auf die 2030 zu erfüllenden Vorgaben der EU-Richtlinie“, betont Bösing.