Er muss da nicht durch. Er will da durch. Der älteste Sohn des in Hohenfels getöteten 46-Jährigen sitzt im Landgericht Konstanz nur wenige Meter entfernt von dem Mann, der am 16. Januar in das Haus seines Vaters eingedrungen sein soll. Der ihn und seinen Bruder mit einem Beil attackiert und seinen Vater damit getötet haben soll.

13-Jähriger will antworten

Seine Zeugenaussage hat der 13-Jährige gemacht, er hätte den Saal verlassen können. „Du könntest jetzt gehen“, sagt der Richter. Doch der Junge will bleiben. Er will Antworten. Will verstehen: Wie es so weit kommen konnte. Warum der 36-jährige Angeklagte „so was gemacht hat“.

Doch der ist ruhig, scheint in sich gekehrt. Schon am ersten Prozesstag sagt der 36-jährige Tatverdächtige kaum ein Wort. Am zweiten zeigt er kaum eine Regung, als Tatortfotos mit Blutspritzern und großflächigen Feldern voller Blut an die Wand projiziert werden. Oder als von schwersten Schädelverletzungen bei den beiden Jungs und ihrem getöteten Vater die Rede ist.

Der Angeklagte beim Prozessauftakt im Landgericht. Er n soll in Hohenfels-Liggersdorf einen 46-Jährigen getötet und dessen zwei Söhne ...
Der Angeklagte beim Prozessauftakt im Landgericht. Er n soll in Hohenfels-Liggersdorf einen 46-Jährigen getötet und dessen zwei Söhne schwer verletzt haben. | Bild: Hanser, Oliver

Zeugen beschreiben ihn als unauffällig und freundlich. „Überaus freundlich“, sagt der Vater des 46-Jährigen. Mit dem Tatverdächtigen hat der ältere Herr vor ein paar Jahren oft gearbeitet. Weil der Angeklagte bei seinem Sohn angestellt war und sich im Gartenbau als tüchtiger Helfer erwiesen hat, habe er dem 36-Jährigen angeboten auch bei sich, in einem Tiefbaubetrieb, auszuhelfen.

Auf den Baustellen habe er den Angeklagten dann als „Mann weniger Worte“ erlebt, wohl auch der Sprachbarriere wegen. Denn: Der 36-jährige Rumäne spricht kaum Deutsch. Am Gericht ist ihm deshalb eine Dolmetscherin beigeordnet. Und doch habe er den Angeklagten auch als jemanden erlebt, der auf die Menschen zuging, sie sofort mit einem Handschlag begrüßte, keine Berührungsängste hatte und sich über Kontakt freute.

Vier Diebstähle und ein Verdacht

Ähnlich beschreibt ihn eine Nachbarin des Getöteten. Der Tatverdächtige sei „ein schaffiger Kerl“ gewesen, „immer fleißig, immer freundlich“. Als er aufgefordert wird aus seinem Leben zu erzählen, bleibt der 36-Jährige vage. Viele Details – so auch das Alter seiner Eltern – weiß er nicht mehr. Wo ihn die Erinnerung im Stich lässt und wo er womöglich nicht antworten will, bleibt unklar.

Prozessauftakt im Landgericht Konstanz. Ein damals 35-jähriger Mann soll in Hohenfels-Liggersdorf einen 46-Jährigen getötet und dessen ...
Prozessauftakt im Landgericht Konstanz. Ein damals 35-jähriger Mann soll in Hohenfels-Liggersdorf einen 46-Jährigen getötet und dessen zwei Söhne schwer verletzt haben. | Bild: Hanser, Oliver

Als Kind eines Busfahrers und einer Reinigungskraft sowie Köchin, sei der 36-Jährige mit zwei Schwestern in Rumänien aufgewachsen. Sein Schulabschluss sei vergleichbar mit einem mittelmäßigen Fachabitur. Sein letzter Job in der Heimat: Eine Anstellung an einer Tankstelle.

Was ihn 2011 nach Deutschland zog? Auf die Frage des Richters kann oder will der Tatverdächtige nicht wirklich antworten. Er sagt nur: „In Friedrichshafen hatte ich einen Bekannten, der mir einen Job besorgt hat.“ Eine Anstellung in der Firma des Getöteten. Und es klingt, als wollte er in Deutschland sein Glück versuchen.

Regungslos im Gericht

Ob es ihm gutgegangen sei? Ob er sich wohlgefühlt habe am Bodensee? Der 36-Jährige nickt nur – fast teilnahmslos. Doch er verschweigt auch Teile seines Lebens in Deutschland: Deutlich wird das, als im Gericht sein Vorstrafenregister vorgelesen wird. Da ist von Körperverletzung in zwei schweren Fällen die Rede und von vier Diebstählen. Alles Ladendiebstähle in Supermärkten und Kleidungsläden, alles Diebstähle im Bereich von 20 bis 70 Euro.

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Auch im Betrieb des Getöteten sei der Verdacht aufgekommen, der Angeklagte könnte stehlen. Zweimal kommt das vor Gericht zur Sprache. Als der 13-Jährige Sohn des Gartenbauers und dessen Großvater aussagt. Nur unterscheiden sich die Schilderungen an einer Stelle: Während der Junge sagt, dem Angeklagten sei nach den Diebstahlvorwürfen gekündigt worden, heißt es vom Vater des Getöteten: Der 36-Jährige „hat sich selbst gekündigt“.

Was treibt einen zu einer solchen Tat?

Was bleibt ist ein Verdacht im Raum und die Frage, was den Angeklagten dazu getrieben hat, mutmaßlich einen Menschen zu töten und zwei Kinder so schwer zu verletzen. Hatte er Schulden? War er arm? Kam er mit seinem Geld nicht zurecht? Richter Arno Hornstein stellt diese Fragen – auch, weil sie wichtig sind, um zu verstehen, warum der Tatverdächtige überhaupt ins Haus des 46-Jährigen eingedrungen ist.

Schließlich vermutet die Staatsanwaltschaft, dass er aus Habgier gehandelt hat. Schließlich – so sagt einer von acht Polzisten, die während der ersten beiden Tage vor Gericht aussagen – habe man in der Nähe des Leichnams Geldscheine am Boden verteilt gefunden. Und schließlich seien vor dem Tresor im Keller zahlreiche Schlüssel gefunden worden, so als hätte jemand nach dem richtigen gesucht, den passenden aber nicht gefunden.

Der Angeklagte lebte isoliert

Doch wie so oft während der ersten Verhandlungstage erhalten weder Hornstein noch die Familie des Getöteten eindeutige Antworten. Der 36-Jährige hatte weder Schulden, sagt er, noch laufende Kredite – und im Grunde auch keine laufenden Verträge. Er will nur seinen Mietvertrag und keine anderen Verträge oder Kosten, auch keinen Handyvertrag gehabt haben. Abzüglich von Miete und Nebenkosten seien ihm noch gut 900 Euro zum Leben geblieben, sagt er.

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Zeugen zeichnen vor Gericht das Bild eines isolierten, abgekapselten Mannes. Der 36-Jährige soll anfangs in einer Mitarbeiterwohnung gelebt haben. Doch: „Es gab Probleme, er hat sich mit den anderen nicht verstanden, ist ausgezogen“, sagt der Vater des Ermordeten. Auf die Frage des Richters, was er vor seiner Inhaftierung in der Freizeit gemacht habe, sagt der Angeklagte: „Ich habe für mich gekocht. Ich habe mich auf die Arbeit vorbereitet.“ Von Hobbys und Erlebnissen spricht er nicht. Auch nicht von Freunden.

Denn: Die würden in Rumänien leben.

Prozessauftakt im Landgericht Konstanz. Hier nimmt in der Mitte gerade der vorsitzende Richter Arno Hornstein im Schwurgerichtssaal Platz.
Prozessauftakt im Landgericht Konstanz. Hier nimmt in der Mitte gerade der vorsitzende Richter Arno Hornstein im Schwurgerichtssaal Platz. | Bild: Hanser, Oliver

Was bleibt ist die Frage nach dem Warum. An den ersten Gerichtstagen kann sich das niemand so recht erklären. Vielen geht die Tat noch immer nahe. So sagt ein 28-jähriger Polizist im Zeugenstand: „Es war nicht die erste Extremsituation für mich. Aber es war sehr intensiv, weil ich kurz davor Vater geworden bin.“ Und: „Diesen Schrei – als die Lebensgefährtin des Toten kam und aufgeklärt wurde – den höre ich heute noch.“

Zigarettenkippen im Bad

Was die Polizei vor Ort entdeckte? Neben all dem Blut, dem Beil, einem Messer, mit dem der Angeklagte sich selbst verletzt haben soll, sprechen die Beamten auch von Arbeitshandschuhen sowie Socken über den Schuhen des 36-Jährigen. Er habe wohl keine Spuren hinterlassen wollen. Auch hätten sie zwei Zigarettenkippen im Bad gefunden, die dem Angeklagten zugeordnet werden konnten. Er dürfte nach der Tat noch dort geraucht haben.