Anna-Lena Bormann entspricht einem Trend, der noch vor wenigen Jahren undenkbar war: Die 17-Jährige macht eine Ausbildung in der Landwirtschaft. Und obwohl der Beruf des Landwirts auch heute noch mit vielen Klischees beladen ist, erfreuen sich die Landwirtschaftlichen Berufsschulen in den vergangenen Jahren immer größerer Beliebtheit.

Das beobachtet auch Andreas Deyer. Er ist nicht nur Anna-Lena Bormanns Chef auf dem Altschorenhof bei Mühlingen, sondern auch Vorsitzender der Arbeitgeber aus den 14 Grünen Berufen im Berufsbildungsausschuss des Ministeriums für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz (MLR) Baden-Württemberg.

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Seit den 80er Jahren immer weniger Azubis

„Seit den 80er Jahren sind die Ausbildungszahlen in der Landwirtschaft stark gesunken und haben sich dann für etwa zehn bis 15 Jahre auf einem niedrigen Niveau eingependelt“, sagt Deyer. Doch seit drei bis vier Jahren erlebe die Ausbildung plötzlich einen Aufschwung.

„Wir haben inzwischen rund 30 Prozent mehr Berufsschüler als noch vor wenigen Jahren. Die Berufsschule in Freiburg musste dieses Jahr sogar Bewerber ablehnen“, berichtet der Landwirt. Und noch etwas ist neu: Während früher die meisten Landwirtschafts-Azubis selbst auf einem Bauernhof aufgewachsen sind, kommen heute zwei Drittel von ihnen aus Elternhäusern, die nichts mit der Landwirtschaft zu tun haben.

Auch Berufsschulen verzeichnen Trend

Diesen Trend bestätigen auch Tina Gaiser und Frauke Giebler-Schubert, beide Lehrerinnen am Berufsschulzentrum (BSZ) Radolfzell, wo angehende Landwirte den schulischen Teil ihrer Ausbildung absolvieren können.

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Die Anmeldezahlen am BSZ Radolfzell haben sich ihnen zufolge zum Teil sogar verdoppelt. „Wobei man auch sagen muss, dass dies von Jahr zu Jahr schwankt. Im Vergleich zu vor fünf Jahren kann man dies aber auf jeden Fall bestätigen“, so Gaiser.

„In Sachen Digitalisierung braucht sich die Landwirtschaft hinter anderen Branchen nicht verstecken“ Andreas Deyer, Landwirt ...
„In Sachen Digitalisierung braucht sich die Landwirtschaft hinter anderen Branchen nicht verstecken“ Andreas Deyer, Landwirt aus Mühlingen | Bild: Rau, Jörg-Peter

Doch woher kommt diese Entwicklung? Ein möglicher Grund ist für Andreas Deyer, dass sich das Berufsbild des Landwirtschaft in den vergangenen Jahrzehnten drastisch verändert hat. „In Sachen Digitalisierung braucht sich die Landwirtschaft hinter anderen Branchen nicht verstecken“, sagt Deyer.

Umschwung auch durch Pandemie

Inzwischen funktioniert auch auf dem Bauernhof vieles digital. Vom autonomen Melkroboter bis hin zur App, die Hilfestellung bei Düngemengen gibt. Gaiser und Giebler-Schubert machen noch weitere Entwicklungen aus, die den Trend zur Ausbildung in der Landwirtschaft befeuert haben.

So seien insbesondere während der Pandemie die Anmeldezahlen im Vergleich zu allen anderen Ausbildungsberufen gestiegen. „Vielleicht kann man es damit erklären, dass dieser Beruf zu den sicheren und notwendigen gehört. Die Bedeutung der Nahrungsmittelsicherung ist in den letzten Jahren wieder in den Fokus gerückt und damit auch der Beruf, der hier maßgeblich beteiligt ist“, so Giebler-Schubert.

Digitalisierung hilft auch auf Berufsmessen

Die Digitalisierung hat indes auch bei der Werbung um neue Azubis geholfen, berichtet Andreas Deyer. Inzwischen arbeite man mit der Firma „Dein erster Tag“ zusammen, die es ermöglicht, mittels einer Virtual-Reality-Brille und einem 360-Grad-Film einen lebensnahen Einblick in den Beruf zu bekommen.

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Anna-Lena Bormann hat das nicht gebraucht für ihre Entscheidung. Zuerst wollte sie eine Schreinerlehre machen. Nach einem Praktikum wusste sie aber, dass dieser Job nichts für sie ist. „Ich wollte mehr draußen sein“, sagt sie im Gespräch mit dem SÜDKURIER. Da sie im Freundeskreis Kontakte zur Landwirtschaft hatte, habe sie angefangen, in ihrer Freizeit auf einem Hof zu arbeiten.

Die Eltern waren skeptisch

„Das hat mir sehr gut gefallen“, betont sie. Mit den Klischees, die mit ihrem Beruf zusammenhängen, wurde sie zwar immer wieder konfrontiert, abgeschreckt hat sie das jedoch nicht. Auch ihre Eltern hatten anfangs Vorbehalte. „Sie haben mich gefragt, ob ich mir nicht was anderes überlegen will“, sagt Bormann, Auch weil sie befürchtet haben, dass man in dem Beruf nicht viel verdient.“ Doch ihre Entscheidung stand fest und sie habe sie bis heute nicht bereut, betont sie.

Anna-Lena Bormann bei den Kälbchen auf ihrem Ausbildungsbetrieb dem Altschorenhof.
Anna-Lena Bormann bei den Kälbchen auf ihrem Ausbildungsbetrieb dem Altschorenhof. | Bild: Dominique Hahn

In ihrer Realschulklasse war sie damit aber trotzdem eine Exotin. „Von knapp 30 Leuten aus meiner Klasse haben nur zwei nach der Schule eine Ausbildung angefangen. Alle anderen wollten das Abitur nachholen“, berichtet Bormann.

Übrigens: Ihre jetzigen Berufsschulklasse besteht zur Hälfte aus Frauen. Auch das ist ein Novum an landwirtschaftlichen Berufsschulen.

Viele kommen nicht von eigenem Hof

Merkt man den Berufsschulklassen an, dass viele der Azubis nicht mehr von einem elterlichen Betrieb kommen? Die beiden Lehrerinnen sehen dies eher als Bereicherung. „Schüler ohne elterlichen Betrieb kennen andere Betriebe, in denen sie oft mithelfen. Sie bringen eher die Abwechslung in die Klasse. Im Schulalltag habe ich nicht das Gefühl, dass was aufgefangen werden muss. Wenn der Wille und die Motivation von Seiten der Schüler vorhanden ist, dann bestehen diese mit sehr guten Noten“, so Gaiser.

Die beiden Lehrerinnen, wie auch Andreas Deyer freuen sich auf jeden Fall über den neuen Zuspruch für die Ausbildung zum Landwirt. „Wir begleiten junge Leute bei der Ausbildung in einem der schönsten Berufe. Wir versuchen sie dafür zu wappnen, dass sie nach vorne blicken und Chancen erkennen und nutzen“, betont Gaiser.

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Und ihre Kollegin Frauke Giebler-Schubert fügt hinzu: „Landwirte kombinieren so viele Berufe in einem, das macht den Alltag abwechslungsreich und interessant. Wir freuen uns, dass so viele junge Menschen sich wieder dieser großen Aufgabe stellen und spüren das auch in der Leistungsbereitschaft. So macht es allen Beteiligten Spaß.“