Wer am vergangenen Dienstag zufällig über die Wiesen zwischen dem Naturschutzgebiet Bodenseeufer und dem Naturschutzgebiet Schanderied gelaufen ist, wunderte sich vermutlich etwas. Denn dort konnte man eine kleine Gruppe Menschen sehen, die gebannt, teils mit Ferngläsern und sogar mit Teleobjektiv ausgestattet, eine Ackerfläche beobachtete. Und das, obwohl dort abgesehen von ein paar Störchen nicht viel zu sehen war – zumindest auf den ersten Blick nicht.

Dabei gab es dort etwas ganz Besonderes zu sehen: Fünf Kiebitze watschelten auf dem Acker herum oder flatterten auch mal. Das freute die Teilnehmer der kleinen Exkursion, zu welcher das Umweltzentrum Stockach an diesem wonnig-warmen Frühlingsnachmittag geladen hatte, denn die Kiebitze sind das Ergebnis eines Wiederansiedlungsprojekts.

Projekt startete im Jahr 2017
Das Projekt der Wiederansiedlung des Kiebitzes hatte seinen Anfang bereits im Jahr 2017. Damals verständigten sich das Umweltzentrum, das Nabu-Bodenseezentrum und der Erlenhof, der landwirtschaftliche Betrieb des Pestalozzi Kinder- und Jugenddorf Wahlwies, darüber, dass eine solche Maßnahme wünschenswert sei. Mit Unterstützung der Stadt Stockach wurde die Idee zur Realität und bereits im Jahr 2020 konnte das Projekt auf einer ersten Fläche nahe Espasingen starten. Seit 2022 wird es im Großen Ried bei Espasingen auf dem beinahe neun Hektar großen Flurstück 955 fortgeführt.

Bereits im Februar 2022 wurden dort offene Wasserflächen und kurzrasige Nahrungs- und Bruthabitate geschaffen sowie Gehölze zurückgenommen. Der laut Sabrina Molkenthin, der Leiterin des Umweltzentrums, „ein wenig heikle Vogel“ benötigt nämlich offene und feuchte Landschaften als Brutgebiete. Dass der Vogel auch ein Weilchen braucht, um sich für ein bestimmtes Gebiet zum Brüten zu entscheiden, kann man daran sehen, dass es bis jetzt noch keine Brutversuche gegeben hat.
Es werden jedoch regelmäßig Kiebitze auf der Fläche gesichtet, so wie am Dienstag. Einer der Vögel startete sogar diverse Angriffsflüge über die Fläche, bei denen er sogar einen Storch attackierte und sich lautstark über einen entspannt fischenden Reiher aufregte. Eine Augenweide für die Zuschauer, die eine wahre Flugshow erleben konnten, denn der Kiebitz ist ein echter Kunstflieger mit seinen Sturzflügen und Pirouetten. „Es ist toll, wenn der sich aufregt“, erklärte Sabrina Molkenthin, „denn das zeigt, dass er die Fläche als sein Revier sieht.“
Vor 50 Jahren noch heimisch, nun fast ausgestorben
Noch vor 50 Jahren war der Kiebitz fast überall in Deutschland auf Feldern und Wiesen als Brutvogel anzutreffen. Die Bestände sind in den vergangenen Jahrzehnten jedoch dramatisch eingebrochen und so gilt heute der Kiebitz in Baden-Württemberg als vom Aussterben bedroht – steht also auf der „Roten Liste“. Allein am Bodensee war der Brutvogelbestand zwischen 1980 und 2010 um mehr als 80 Prozent zurückgegangen.
Doch es gibt Hoffnung: Während ihres Frühlingsdurchzugs rastet diese Art fast alljährlich in der Espasinger Niederung. In der Vergangenheit konnten immer wieder Balzflüge beobachtet werden – allerdings bisher ohne längeren Verbleib im Gebiet und leider auch ohne Bruterfolg. Im Jahr 2021 war es aber auf einem Maisacker direkt neben dem Mooshof zu Bruten mehrerer Kiebitz-Paare gekommen.
Mit einer geringen Entfernung von nur etwa 1000 Metern Luftlinie zur Espasinger Niederung ist es also absolut nicht unwahrscheinlich, dass auch die extra für den Kiebitz geschaffene Fläche vom Kiebitz bebrütet wird, erklärte Malte Bickel. Er ist zuständig für das Artenschutz-Programm im Regierungspräsidium Freiburg und hält die Projektfläche für sehr vielversprechend.
Rinder helfen im Ansiedlungsgebiet
Mittlerweile wird die von der Stadt Stockach mit einem Weidezaun versehene Fläche übrigens von Rindern des Erlenhofs beweidet. Sie sorgen dafür, dass das Gras nicht zu hoch wird, dass Staudenflure entstehen und dass die offenen Wasserstellen offen bleiben. Sollte es zu Brutversuchen kommen, würden die Nester der Bodenbrüter zusätzlich durch einen Elektrozaun geschützt werden, besonders gegen Räuber wie den Fuchs.
Eine Gefahr, dass die Rinder in die Nester treten, bestünde nicht. Denn dann würden sich die Kiebitze ungemein aufregen und die Rinder vertreiben, erklärte Exkursionsleiter Hanns Werner, welcher ehrenamtlich für das Umweltzentrum Stockach und den Nabu tätig ist.
Unter den Teilnehmern der Exkursion war auch Wilderich Graf von Bodman, der sich als Hobby-Ornithologe bezeichnet. „Ich bin in Möggingen aufgewachsen, da bleibt das nicht aus“, fügte hinzu. Wie alle Beteiligten hoffe er, dass sich die derzeit anwesenden Vogelpaare endlich zum Brüten entschließen mögen. „Wir geben die Hoffnung nicht auf“, äußerte sich Sabrina Molkenthin, „und wenn er nicht in diesem Jahr brütet, dann eben im nächsten.“