Torsten Lucht und Albert Bittlingmaier

Nach dem Bürgerentscheid zum Bau von drei Windkraftanlagen im Tengener Ortsteil Watterdingen beginnt für das Singener Energieversorgungsunternehmen Solarcomplex die Kernarbeit des Genehmigungsverfahrens. In einem ersten Schritt zählt dazu die Ausarbeitung eines Pachtvertrags für die Nutzung des städtischen Geländes, des Weiteren sind Fachbehörden und Verbände zu Auswirkungen auf Mensch und Natur zu hören. Dazu gehören unter anderem Daten und Einschätzungen zur Verschattung, zum Schall und Siedlungsabstand oder etwa zu den Folgen für Flora und Fauna.

Windpark auf Eis gelegt

Was die Tücken von Genehmigungsverfahren anbelangt, hat man bei Solarcomplex einige Erfahrung. So musste das Unternehmen die Pläne für den zwischen Donaueschingen und Hüfingen gelegenen Windpark „Länge“ auf Eis legen, bis auf Weiteres ruhen außerdem die Überlegungen zu Anlagen auf dem Kirnberg bei Steißlingen.

Im Fall des geplanten Windparks „Brand“ bei Watterdingen hat Jörg Dürr-Pucher allerdings ein gutes Gefühl. Der Leiter der Projektentwicklung bei der Solarcomplex AG ist zuversichtlich, dass „wir uns bei Fragen wie dem Abstand zur nächsten Siedlung und Einflüssen wie Schall oder Verschattung auf der sicheren Seite bewegen“. Entscheidend für ihn ist, dass die Bürger – anders als beim Windparkprojekt Länge – vor dem Bauantrag eingebunden wurden.

Bild 1: Nach Bürgerentscheid will Solarcomplex Tengener Windpark-Bau vorbereiten – Frust in Watterdingen und Stetten
Bild: Schönlein, Ute

Über Ergebnis überrascht

Jörg Dürr-Pucher hat das Ergebnis des Entscheids dabei in doppelter Weise überrascht. Erstens hätte er nicht mit einer Wahlbeteiligung von knapp 50 Prozent gerechnet, was in etlichen Gemeinden sogar bei Bürgermeisterwahlen nicht erreicht werde. Und nachgerade sprachlos habe ihn gemacht, dass zwei von drei Wählern des Bürgerentscheids für die Verpachtung des Geländes zum Zwecke des Windparkprojekts gestimmt haben. „Das ist etwa so, wie wenn der VfB Stuttgart mit 2:1 bei Bayern München gewinnt“, scherzt das Vorstandsmitglied.

Das könnte Sie auch interessieren

Nicht zu Scherzen aufgelegt ist Jörg Dürr-Pucher dagegen bei der derzeitigen Platzierung des Landkreises Konstanz in Sachen Energiewende. Der Anteil regenerativ produzierter Energie liege bei 18 Prozent und damit weit hinter den Werten in Land (28 Prozent) und Bund (rund 46 Prozent). Die Stadt Tengen allerdings schneidet bestens ab. Sie ist kreisweit die einzige Gemeinde, die die Windkraft nutzt.

Das könnte Sie auch interessieren

Und sollten zu den drei Anlagen bei Verenafohren drei weitere bei Watterdingen gebaut werden, dann liegt Tengen mit seinen rund 5000 Einwohnern bei der Nutzung erneuerbarer Energien allein durch die Windkraftnutzung deutlich im Energiewende-Übersoll. Denn bei Verenafohren ist laut Dürr-Pucher langfristig von der Produktion von 20 Millionen Kilowattstunden pro Jahr auszugehen, was mit den berechneten 30 Millionen Kilowattstunden des Windparks Brand eine Summe von 50 Millionen Kilowattstunden ergibt. Statistisch gesehen könnte damit der private Energiebedarf von 50.000 Menschen gedeckt werden.

Jörg Dürr-Pucher hofft, dass sich die Politik des Landkreises mit dem neuen Landrat Zeno Danner und dem neuen Kreistag ändert. Er sieht Potenzial für drei bis sechs weitere Windkraftanlagen im Landkreis und misst dabei dem Bürgerentscheid in Tengen eine Initialwirkung bei. „Da passiert was“, sagt er, „die Leute spüren, dass man auch persönlich etwas für die Energiewende tun und Veränderungen hinnehmen muss.“

Kritische Töne aus Watterdingen

Eine Gesetzmäßigkeit in der Debatte um die Windkraft allerdings dürfte Bestand haben. Mit der optischen Nähe von Windkraftanlagen wächst der Widerstand, was sich deutlich am Ergebnis des Tengener Bürgerentscheids im Ortsteil Watterdingen zeigt (siehe Grafik). Der Naturschutzwart Hans-Leo Zepf, der bestens mit den Örtlichkeiten im Gebiet Brand vertraut ist, spricht deshalb von Unfairness. Er ist der Meinung, dass man die Befragung auf Watterdingen und den zur Nachbarstadt Engen gehörenden Ortsteil Stetten hätte begrenzen sollen. Er bezweifelt, dass die optischen Einschränkungen auf den Hegau und Einflüsse auf Mensch und Natur von Leuten ohne Ortskenntnisse beurteilt werden können.

Auch die Bürgerinitiative Hegaublick bezieht durch einen der Sprecher, Siegfried Münzer, kritisch Stellung: „Eine Verlegung des dritten Windrades halten wir für keinen geeigneten Kompromiss, da die Gefahr besteht, dass dort aus wirtschaftlichen Gründen auch mehrere Windkraft-Anlagen gebaut und die bestehenden auf Leipferdinger Gemarkung aufgerüstet werden. Dann wäre Stetten mitten im Windpark„, befürchtet Münzer.

Bürgerinitiative will kämpfen

„Der Standort Brand erfüllt nicht die Voraussetzungen für industriellen Windkraftanlagen. Dort befinden sich Biotope, ein Wildkorridor, ein Wasserschutz- und Landschaftsschutzgebiet, ein Premiumwanderweg, Erholungswald und Milane“, so Münzer. Die Bürgerinitiative werde sich verstärkt organisieren zum Erhalt der Hegaulandschaft: „Wir wollen alle rechtlichen Möglichkeiten nutzen, das Projekt in der geplanten Form zu stoppen.“