Siegfried Volk und Jürgen Witt

Im vergangenen Jahr forderte eine Grippewelle tausende von Todesopfern in Deutschland. Gleichzeitig entbrannte eine heftige Diskussion, warum bei Vorsorgeimpfungen von den Krankenkassen nur der Dreifachwirkstoff bezahlt wurde, obwohl es schon einen Vierfachwirkstoff gab, der nach Expertenangaben auch wirkungsvoller war. Stolz verkündeten dann die Kostenträger, dass die Versicherten sich in diesem Grippewinter zur Vorbeugung mit dem Vierfachwirkstoff impfen lassen können. Allerdings hören derzeit viele Menschen, die sich impfen lassen wollen, die Aussage: „Wir haben keinen Impfstoff.“

Keine Online-Bestellung erlaubt

Auch im Kreis Sigmaringen ist der Impfstoff absolute Mangelware. „Wir können nichts dafür“, erklärt Apotheker Rainer Hinger, der mit der Hinger-Siegle OHG in Pfullendorf die Central-Apotheke und die Apotheke im Gesundheitszentrum am Obertor betreibt, das übliche Prozedere. Die heimischen Ärzte ordern, basierend auf den Erfahrungswerten der vergangenen Jahren, bei den Apotheken den Impfstoff, die diese wiederum von den Herstellerfirmen beziehen. „Die Ärzte haben, auch mit Blick auf die letztjährige Grippewelle, frühzeitig und rechtzeitig bestellt“, sagt Apotheker Hinger, dass es einen regelrechten „Run“ auf den Grippeimpfstoff gab, so dass die Produzenten überfordert waren. Wobei es in Deutschland nur noch drei Unternehmen gibt, die diesen Wirkstoff herstellen. Die Konsequenz – seit Mitte Oktober hat Apotheker Hinger keinen Impfstoff mehr bekommen.

Eine Online-Bestellung ist für diesen Wirkstoff gesetzlich verboten. Also wollte der Pfullendorfer sein Glück im Ausland versuchen, wozu allerdings eine Genehmigung des Regierungspräsidiums nötig ist. Erst wenn diese Behörde bei der Versorgung einen Notstand feststellt, dürfen die heimischen Apotheken im Ausland nachfragen. Das Regierungspräsidium rief den Notstand aus, allerdings gab es auch in Frankreich keinen Grippeimpfstoff. Gestern erhielt Rainer Hinger dann einen Telefonanruf aus Tübingen, dass man doch noch gewisse Mengen von Impfstoff gefunden habe, die jetzt an die Apotheken verteilt würden. Übrigens verbietet die deutsche Gesetzeslage den heimischen Apotheken üblicherweise, sich gegenseitig zu beliefern. Wenn beispielsweise ein Dienstleister in Pfullendorf ein Medikament nicht mehr vorrätig hat, kann er nicht einfach beim Kollegen in Gammertingen nachfragen, ob dieser ihm mit einer Packung aushelfen könnte.

Die aktuelle Mangelsituation ist für Roland Beierl, Geschäftsführer der AOK Bodensee-Oberschwaben nicht nachvollziehbar. Im SÜDKURIER-Gespräch hat er kein Verständnis, dass nach den vielen Grippetoten 2017 und der heftigen Debatte um den Vierfachimpfstoff die Pharmaindustrie ihre Produktion nicht an die zu erwartende höhere Nachfrage angepasst hat.

Dem öffentlichen Gesundheitsdienst ist der aktuelle Mangel an Versorgung mit dem Impfstoff gegen die saisonale Influenza (Grippeimpfstoff) bekannt, teilt Susanne Haag-Milz, Fachärztin für öffentliches Gesundheitswesen und Leiterin des Fachbereichs Gesundheit im Landkreis Sigmaringen, auf SÜDKURIER-Anfrage mit.

„Die Herstellung von diesen Impfstoffen ist komplex und zeitaufwändig, es dauert etwa sechs Monate, bis das fertige Produkt zur Verfügung steht“, erläutert die Fachärztin. Die Planung der zu produzierenden Menge an Grippeimpfstoff würde sich am Bedarf der letzten Saison, also 2017, orientieren. Laut Informationen des Paul-Ehrlich-Institutes wurden für die diesjährige Grippesaison zirka 16,7 Millionen und damit eine Millionen mehr Impfstoffdosen bereitgestellt, als im vergangenen Jahr. Offenbar wurden diese bereits zum jetzigen Zeitpunkt abverkauft, sodass der Impfstoff nicht mehr überall erhältlich sei, sagt Susanne Haag-Milz: „Im Landkreis Sigmaringen wird uns dies von vielen Apothekenbetreibern einheitlich so berichtet.“

"Die Verteilung von Impfstoffen ist nicht durch die Aufsicht einer Behörde geregelt, sondern wird allein von Angebot und Nachfrage ...
"Die Verteilung von Impfstoffen ist nicht durch die Aufsicht einer Behörde geregelt, sondern wird allein von Angebot und Nachfrage reguliert. Daher wissen wir auch nicht, ob und gegebenenfalls wo derzeit noch Grippeimpfstoffe in Arztpraxen oder Apotheken vorrätig sind", sagt Dr. Susanne Haag-Milz, Leiterin des Sigmaringer Gesundheitsamtes. | Bild: Tobias Kolbeck

Die Gründe für diesen Versorgungsengpass seien sicherlich vielfältig, bemerkt die Ärztin. Erfreulicherweise aber sei die Impfbereitschaft in der Bevölkerung wohl aufgrund der ausgeprägten Grippewelle 2017/18 kräftig gestiegen, viele Menschen wollen sich offensichtlich dieses Jahr auch früher in der Saison impfen lassen, als dies in den Vorjahren der Fall gewesen sei. Ein Zusammenhang mit der erstmaligen Verfügbarkeit des tetravalenten, also Vierfach- Influenza-Impfstoffes als Kassenleistung käme ebenfalls als Begründung für die Ist-Situation in Frage. „Dieser bietet Schutz gegen vier Virusstämme, also einen breiteren Schutz als der bislang übliche Dreifach-Impfstoff. Schließlich kann auch eine unterschiedliche Bestellpraxis zu einer ungleichen Verteilung von Impfstoffvorräten führen“, analysiert die Sigmaringer Gesundheitsleiterin die augenblickliche Notlage allerorten.

Behörde führt keine Aufsicht

„Die Verteilung von Impfstoffen ist nicht durch die Aufsicht einer Behörde geregelt, sondern wird allein von Angebot und Nachfrage reguliert. Daher wissen wir auch nicht, ob und gegebenenfalls wo derzeit noch Grippeimpfstoffe in Arztpraxen oder Apotheken vorrätig sind“, erläutert die erfahrene Ärztin, dafür nicht zuständig zu sein. Ihr Tipp: Wer sich impfen lassen möchte, sollte in der Apotheke oder beim betreuenden Arzt vor Ort nachfragen, ob oder gebenenfalls ab wann wieder dieser von den Gesundheitsämtern wärmstens empfohlene Impfstoff zur Verfügung stehe. In gewissen Mengen scheint zumindest der Dreifach-Impfstoff derzeit im Großhandel noch verfügbar zu sein.

Impfung macht später noch Sinn

Die Grippeaktivität befände sich derzeit in der Bundesrepublik noch auf niedrigem Niveau – „das heißt, die alljährliche Grippewelle hat noch nicht begonnen“, sieht die Fachärztin vom Gesundheitsamt keinen Anlass zur Panik in der Bevölkerung. Meist würden die Erkältungskrankheiten in den ersten Wochen des neuen Jahres im stärkeren Maße auftreten. „Die Grippeimpfung wird daher nach wie vor empfohlen, vor allem für ältere Menschen, chronisch Kranke und Schwangere, die ein erhöhtes Risiko für einen schweren, komplizierten Verlauf einer Influenza-Erkrankung haben“, sagt die Ärztin, die für die Vorsorge zudem wertvolle Tipps zur Hygiene (siehe Infokasten) parat hat. Auch die Impfung von medizinischem Personal in den Arztpraxen sei zum Schutz der betreuten Patienten besonders wichtig. Und: Die Impfung sei auch zu einem späteren Zeitpunkt immer noch sinnvoll.