Der Atem stockte den protestierenden Landwirten, den Gästen des grünen Neujahrsempfangs und den Landes- und Bundespolitikern, die sich mit einer wütenden, zornigen, ja teilweise hasserfüllten Menge, konfrontiert sah. „Ich habe zwei Jobs, vier Kinder, stehe jeden Morgen auf. Wo soll ich noch sparen?“, bewegte sich eine Frau, die als Beruf Fleischereiverkäuferin angab, schreiend auf Minister Manne Lucha zu. „Ihr macht uns kaputt“, schleuderte sie dem dienstältesten deutschen Gesundheitsminister entgegen, der ruhig blieb. „Ich kann nicht mehr atmen“, kam die völlig aufgebrachte Frau kurz vor Lucha zum Stehen. Dieser setzte zur Gegenrede an und sprach davon, dass man sich den „Kropf leeren müsse“, was ihm heftigste Reaktionen einbrachte.
Heftigste Vorwürfe gegen Politik und Politiker

Die Politik suche im Dialog mit den Verbänden nach Lösungen und ergänzte, dass in einer Demokratie jeder Protest erlaubt sei. „Wir sind die Steuerzahler“, schallte es aus der Menge zurück, verbunden mit der Ankündigung, dass bei der nächsten Wahl die Quittung für die aktuelle Politik folgen werde.
Bundestagsabgeordnete Reinalter stellt sich auch der Menge

Auch die grüne Bundestagsabgeordnete Anja Reinalter stellte sich der wütenden Menge und minutenlang gab es heftige Wortgefechte zwischen Protestierenden und Politikern, wobei auch persönlich beleidigende Äußerungen zu hören waren. Immer wieder gab es lautstarke Vorwürfe, die Lucha und Reinalter entgegen geschleudert wurden und immer wieder gab es besonnene Personen, die eine Eskalation verhinderten. Dass die Landwirte nicht in die Halle gelassen wurde, obwohl der Neujahrsempfang der Kreisgrünen als „öffentlich“ angekündigt worden war, klärte Grünenvorstandsmitglied Ina Schulz im SÜDKURIER-Gespräch auf. Im Vorfeld war Jedermann eingeladen, musste sich aber vorher anmelden und nur jemand, der auf dieser Namensliste registriert war, die vor dem Eingang kontrolliert wurde, durfte hinein.
Heftiger Empfang für Minister Manne Lucha

Letztlich einigten sich die Kreisgrünen mit den Demonstranten, die ihre Kundgebung offiziell angemeldet hatten, darauf, dass eine vierköpfige Delegation den Besuchern die Anliegen der Landwirte vorbringen kann. Tobias Waldenspul, Schweinehalter aus Bingen, machte den Anfang und deutlich, dass es um Subventionen, aber auch um den Erhalt des ländlichen Raumes geht. Die Landwirte seien vom Handel abhängig und eine ausufernde Bürokratie erschwere das Leben. Er müsse jedes einzelne Fass Gülle dokumentieren, das er ausbringe: „Das ist nicht mehr normal.“ Für diese Feststellung gab es Beifall, ebenso seine Aussage, dass man doch regional produzieren wolle.
Protest gegen grüne Politik
Eine Kollegin ergänzte, dass man den Landwirten sogar das exakte Datum vorschreibe, wann sie zu pflügen hätten. Notwendig sind nach Überzeugung von Waldenspul deshalb EU-einheitliche Produktionsstandards, um das Überleben der deutschen Landwirtschaft zu sichern. Der Pfullendorfer Andreas Paul thematisierte die medizinische Versorgung im ländlichen Raum und im Kreis Sigmaringen. Krankenhäuser dürften nicht auf Gewinn fokussiert sein und müssten wieder in die öffentliche Hand. „Ihr müsst uns zuhören und ihr könnt jetzt handeln“, wandte er sich leidenschaftlich an die Politikvertreter. Mit den aktuellen Steuerrekordeinnahmen könnte man im Land gut leben, schlussfolgerte Paul, dass man deshalb nicht zuviel Geld ins Ausland tragen dürfe.
Polizei schützt den Eingangsbereich der Stadthalle

Während ihre Berufskollegen im Stadthallenfoyer die Anliegen des Bauernstandes vorbrachten, lugten etliche Landwirte immer wieder interessiert durch die Fensterscheiben. Die Polizei sicherte derweil die Tür, dass kein Unbefugter reinkommt. Denn ein Sensor war kaputt, sodass die Tür nicht verschlossen werden konnte.
Aber alles blieb friedlich-schiedlich und der grüne Kreisrat Lothar Braun-Keller übernahm dann die Initiative. Während drinnen der Empfang mit Festreden abgehalten wurde, diskutierte er mit den Landwirten. Braun-Keller ist Biolandwirt und kennt die Sorgen seiner Berufskollegen. Der Pulk um ihn wurde immer enger, die Stimmung hellte auf und nach dem Ende des offiziellen Teils waren nur noch einige Dutzend Landwirte vor der Halle. Diese machten sich dann mit ihren Traktoren laut hupend auch auf den Heimweg.