Da geht ein braver Bürger zum nahegelegenen Wertstoffhof, um seinen sorgsam getrennten Müll fachgerecht zu entsorgen. Bevor er sein Altpapier in den schon vor dem Schredder stehenden Container entleert, wirft er erst einmal einen Blick hinein und sieht dort ein großes Buch mit einem ungewöhnlich erscheinenden Einband. Er denkt: „Das muss ich mir mal näher ansehen“. Er klettert in den Papiercontainer hinein und fischt das schon halb unter Papier und Kartonagen verschüttete Buch heraus, das schon durch sein außerordentliches Format heraussticht.

Der Bürger ist Rupert Drüner, wohnt in Tuttlingen und ist beim Erklettern des Containers beinahe 82 Jahre alt. Einem Mitarbeiter des Wertstoffhofs entgeht die sportliche Leistung des Seniors nicht und er fragt ihn, was er denn da im Container zu tun beabsichtigt. „Ich hab hier drin ein Buch gesehen, da wollte ich fragen, ob ich das mitnehmen darf“. Ein verschmitztes Lachen überzog Drüners Gesicht in einem Gespräch mit dem SÜDKURIER, als er erzählte, was der Mitarbeiter des Wertstoffhofs ihm geantwortet hatte: „Sie haben ja Altpapier gebracht, da können Sie gerne auch wieder Altpapier mitnehmen.“
Wieder im Auto hat der Tuttlinger seinen Fund näher betrachtet und stellte fest, dass ihn seine Ahnung, dass das was Besonderes sein müsse, nicht getrogen hatte. In seinen Händen hielt er eine Lutherbibel aus dem Jahr 1736. „Wer schmeißt denn eine Bibel weg?“, ist der erste Gedanke des gläubigen Christen. Und mehr noch, eine solche Ausgabe von historischem Wert? „Das hat in einem Altpapiercontainer nichts zu suchen. Dies ist der falscheste Ort für eine Bibel“, sagt Drüner.
Drei Jahre ist es jetzt her, dass der ehemalige Heeresflieger der Bundeswehr am Standort Neuhausen ob Eck diesen kostbaren Fund aus dem Abfall barg. Nun hat er die erstaunlich gut erhaltene Bibel mit Ledereinband bei der Hauptversammlung des Vereins „Freunde der Erzabtei St. Martin zu Beuron“ dem Erzabt des katholischen Beuroner Klosters, Tutilo Burger, übergeben.
Das Vorwort der Lutherbibel ist von „Herrn Friedrich Caspar Hagens, Hochfürstl. Brandenburgisch-Bayreuthischen Consistorial-Raths, Ober-Hof-Prediger, auch Pafloris primarii und Superintendentens daselbst“ verfasst, einem lutherischer Theologen, gestorben am 13. April 1741, Mitglied des Konsistoriums, Hoflehrer und Superintendent in Bayreuth. „Hier ist die Bibel in den richtigen Händen“, sagte dennoch Rupert Drüner, als er sein Fundstück dem Erzabt überreichte.
Tutilo Burger war ebenso fassungslos wie der Schenkende, der auch drei Jahre nach der überraschenden Bergung dieser historischen Bibel noch immer nach Worten ringt, wegen der Absicht, ein solches Werk zu zerstören. „Ich freue mich, dass es noch Menschen gibt, die nicht nur ein solches Buch zu schätzen wissen, sondern auch wissen, was das Wort Gottes bedeutet“, sagte der Erzabt, als er die Versammlung über die soeben erfolgte Schenkung unterrichtete. Die rund 150 Anwesenden reagierten mit Rufen und spontanem Applaus. Es sei egal, welche Ausgabe des Wortes Gottes genutzt werde, so der Erzabt, Hauptsache, es werde genutzt und verstaube nicht im Bücherregal oder werde gar im Container entsorgt.
„Gott sei Dank“, sagte Drüner, der als Hubschrauberpilot 1969 einen Absturz mit einem französischen Hubschrauber des Typs „Alouette“ überlebt hat, „war ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort, sonst gäbe es diese Heilige Schrift nicht mehr“. Für Drüner ist ein scheinbarer Zufall wie diese Entdeckung kein Ereignis, dass einem ohne Grund „zufällt“ und er ist dankbar, „dass ich es war, der die Bibel finden durfte“. Es sei ihm ein Bedürfnis gewesen, dieses im doppelten Wortsinn „gewichtige“ Buch dem Kloster zu übergeben, wo „es ganz sicher wertgeschätzt wird“, meint Rupert Drüner. Er war aufgrund eines schweren Schlaganfalls vor zwei Jahren, der ihm die Sprache und die Gehfähigkeit geraubt hatte, nicht bei den vergangenen Versammlungen der „Freunde der Erzabtei St. Marin zu Beuron“ anwesend. Seit 1997 sei er Mitglied im Förderverein des Klosters. Nach langer Reha und erfolgreicher Behandlung sei er glücklich und froh, wieder „auf den Beinen“ zu sein, an der Versammlung teilnehmen zu können und der Lutherbibel an einem angemessenen Platz gebracht zu haben.