Ein riesiger Besucherandrang bescherte der Ausstellungseröffnung in der Kreisgalerie im Schloss einen großen Erfolg und offenbarte den Bedarf, weibliche Kunstschaffenskraft aus dem Verborgenen ins Rampenlicht zu holen. „Künstlerinnen im Landkreis Sigmaringen im 20. Jahrhundert“ heißt die Ausstellung, die Landrätin Stefanie Bürkle und die Kuratoren Edwin Ernst Weber und Uwe Degreif am Sonntag in der Kreisgalerie des Meßkircher Schlosses eröffnet haben.

Lucie Hassas Selbstbildnis ist eines von 80 ausgestellten Werken unterschiedlichster Machart, die 27 Künstlerinnen des Landkreises ...
Lucie Hassas Selbstbildnis ist eines von 80 ausgestellten Werken unterschiedlichster Machart, die 27 Künstlerinnen des Landkreises Sigmaringen in den Jahren von 1915 bis 1999 geschaffen haben. | Bild: Susanne Grimm

Weit mehr als die 100 angemeldeten Interessierten lauschten den hochinteressanten Ausführungen von Kurator Uwe Degreif, der in mühseliger Kleinarbeit mit Unterstützung durch den Kreisarchivar Edwin Ernst Weber Künstlerinnen des Landkreises Sigmaringen im Zeitraum von 1915 bis 1999 ausfindig gemacht hat. Ein ganzes Jahrhundert weiblichen Kunstschaffens im Landkreis wollte er abbilden, berichtete er, wurde aber rasch auf den Boden der Tatsachen geholt.

Frauen über ihren Mann definiert

Uwe Degreif, Kurator der Künstlerinnenausstellung, hat bei der Eröffnung einen packenden Einblick in die Entwicklung der weiblichen ...
Uwe Degreif, Kurator der Künstlerinnenausstellung, hat bei der Eröffnung einen packenden Einblick in die Entwicklung der weiblichen Kunst im Landkreis Sigmaringen gegeben. | Bild: Susanne Grimm

Allein in der ersten Hälfe des Jahrhunderts habe er mit Ursula Fürst und Innocentia Hummel gerade mal zwei heimische Künstlerinnen ausfindig machen können. Der Kreisarchivar habe dann noch Luise Hoff und Luise Albrecht „aus der Versenkung geholt“, wie Degreif fast sarkastisch sagte. Auch bis Ende der 1950er Jahre kamen gerade mal zwei weitere Frauen dazu, was ihn zu dem Schluss führte, bildende Kunst sei eine überwiegend städtische Ausdrucksform. In akribischer Feinarbeit hat Degreif zwölf Gründe oder „Befunde“, wie er es nannte, gefunden, die allesamt in unterschiedlichster Form auf die „männliche Monokultur“ in allen Bereichen zurückzuführen sei. Es war üblich, dass Frauen in der Regel über ihren Mann definiert worden sind, was deren Schaffen immer in den Schatten der Männer geraten ließ.

Die ausstellenden Künstlerinnen mit Landrätin Stefanie Bürkle (links), Kurator Uwe Degreif (3. von rechts) und den beiden ...
Die ausstellenden Künstlerinnen mit Landrätin Stefanie Bürkle (links), Kurator Uwe Degreif (3. von rechts) und den beiden Instrumentalisten Anne Dietrich und Christoph Hüllstrung (rechts). Sie sorgten für die musikalischen Momente. | Bild: Susanne Grimm

Beschämende Beispiele

Degreif benannte ein krasses Beispiel anhand der Todesanzeige der Malerin und feinsinnigen Künstlerin Luise Hoff. In deren Nachruf sei mehr über die Verdienste ihres Mannes zu erfahren gewesen als über das Schaffen der Verstorbenen. Diese Aussage verursachte zur Recht unruhiges Gemurmel im Saal. Oder die Feststellung Degreifs, dass der seit 1952 vergebene hochdotierte Kulturpreis der Oberschwäbischen Elektrizitätswerke mit bis heute 25 Preisträgern gerade mal zwei Frauen aufweist. „Das ist beschämend“, beurteilte der Kurator diese Tatsache. Aber dem sei noch die Krone aufgesetzt worden, indem die beiden Frauen – 1952 Maria Caspar-Filser und 1989 Romane Holderried-Kaesdorf – jeweils nur zusammen mit ihren Ehemännern geehrt wurden. Die eigenen Leistungen der Künstlerinnen haben die Juroren, die sich aus von Kulturamtsleitern, Archivaren und Experten der Staatsgalerien beratenden Landräten zusammensetzten, wohl nicht als ehrwürdig empfunden.

Zeiten haben sich geändert

„Aber die Zeiten haben sich geändert“, sagte Degreif mit Blick zur Landrätin, „ich bin mir sicher, dass sich Landrätin Bürkle für eine dritte Frau als Preisträgerin einsetzen wird“. Er gab seiner Hoffnung Ausdruck, dass sich die ausstellenden 27 Künstlerinnen in den Ausstellungspräsentationen angemessen gewürdigt fühlen. Er war sich auch sicher, dass es im Landkreis noch viel mehr begabte Frauen gibt, deren künstlerisches Schaffen aufgrund ihrer Mehrfachbelastung als Mutter, Ehefrau und Berufstätige zum großen Teil auf der Strecke geblieben ist. Denn noch immer ist die freischaffende, eigenständig lebende Künstlerin im ländlichen Raum, dazu noch mit eigenem Atelier, die große Ausnahme. Einen Umschwung im Wahrnehmen von heimischen Künstlerinnen habe es erst gegeben, nachdem Amtsträger Kunst für ihre Amtstuben erwarben und öffentliche Ausstellungen durchgeführt worden sind.

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Des Kurators fünfter Befund lautete: von der öffentlichen Hand geförderte Kunstausstellungen gibt es erst ab Mitte der 1970er Jahre! Eine einzige Ausnahme bildete Saulgau mit der städtischen Galerie namens „Fähre“. Dies sei der einzige Ort im Landkreis gewesen, „um der Kunst der Gegenwart begegnen zu können“. Allerdings hatten es auch hier die Künstlerinnen schwer. Jedoch wurde im „urbansten Ort des Kreises“ 1981 der Kunstverein Saulgau gegründet, der bis heute aktiv sei und überwiegend von Künstlerinnen mit Leben erfüllt werde. Erst seit dieser Zeit gab es vom Kreis organisierte Kunstausstellungen, die regelmäßig stattfinden, 1986 eröffnete das Ehepaar Weydemann die Galerie in Ostrach, ab 1991 kam der Verein „Alter Schlachthof“ in Sigmaringen dazu und die Steinscheuer in Pfullendorf. Drei Jahre später eröffnete die Galerie Wohlhüter in Leibertingen-Thalheim. Es sei auffallend, welche Dynamik die Entwicklung im künstlerischen Bereich seither genommen habe, wobei diese nach Degreifs Befund überwiegend durch akademisch ausgebildete Künstlerinnen über Lehrtätigkeiten an Schulen und Bildungseinrichtungen in die Bevölkerung getragen worden ist.