Mehr als 30 Interessierte schlossen sich der Sonderführung des Kurators Uwe Degreif durch die Ausstellung „Künstlerinnen im Landkreis Sigmaringen im 20. Jahrhundert“ im Meßkircher Schloss an. Sie erfuhren, warum in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts so wenige Künstlerinnen zu finden sind und welche Voraussetzungen es brauchte, um als Frau den künstlerischen Weg einzuschlagen. Dabei bezog Degreif stets das Publikum in die Überlegungen mit ein.
Orte für die Präsentation fehlten
Für das Kunstschaffen braucht es unbedingt auch Orte, an denen Kunst präsentiert werden kann, wie beispielsweise Galerien, Museen, öffentlichen Gebäude. Der Mangel an solchen Örtlichkeiten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Landkreis Sigmaringen habe dafür gesorgt, dass Kunstschaffende in die Städte ausgewichen seien, wie der Kunsthistoriker Uwe Degreif ausführte. Dabei hatten es Frauen aufgrund der fehlenden Emanzipation deutlich schwerer als Männer. „Künstlerinnen galten als Ehefrauen mit einer künstlerischen Neigung“, beschrieb Degreif das Nicht-ernst-Nehmen der weiblichen Talente und las die Todesanzeige der 1952 verstorbenen Künstlerin Luise Hoff vor, in der es vorwiegend um ihren Jahre zuvor verstorbenen Ehemann und dessen Verdienste ging, was ein erstauntes, leicht entsetztes Lachen des Publikums hervorrief.
Erst Ende der 80er und Anfang der 90er Jahr hätten sich die Frauen im Landkreis beruflich mit der Kunst befasst, meist im Rahmen eines Lehramtsstudiums, denn im ländlichen Raum habe es keinen direkten, eigenständigen Weg zur Kunst gegeben. 1947 öffnete zwar die Galerie Fähre in Bad Saulgau, doch sie blieb Jahrzehnte der einzige Ort im Landkreis, wo Kunst präsentiert werden konnte.
Autodidaktischen Künstlerinnen mit hohem Niveau
„Hätten wir nur Künstlerinnen für die Ausstellung gewählt, die ein Studium absolvierten, dann wären viele herausgefallen“, berichtete Uwe Degreif. Doch auch die autodidaktischen Künstlerinnen haben ein hohes Niveau erreicht, so der Kunsthistoriker. Aber einmal ins Rampenlicht gestellt, habe das bei einigen Frauen zu starker Selbstkritik und Zweifeln geführt, wie er am Selbstbildnis von Lucie Hassa erklärte, auf dem die Künstlerin sehr nachdenklich blickt. Auch die Selbstbildnisse der anderen Künstlerinnen zeigen zumeist einen reflektierenden, manchmal traurigen Gesichtsausdruck.

Die Frauen haben sich darüber hinaus anderen Werkstoffen zugewandt wie Ton, Stoff und Faden. „Sie haben eine hohe Sensibilität im Umgang mit textilen Materialen entwickelt“, konstatierte Degreif, wie beispielsweise Edith Kösel, die traditionelle christliche Motive mit Stoff und Faden neu wiedergibt.

Faszinierende Herangehensweise
Eine singuläre und ebenso faszinierende Herangehensweise an ein christliches Thema erklärte Uwe Degreif anhand der Arbeit „Gesichtsfeld (10 Abrollungen)“ von Schwester Pietra Löbl. Die Künstlerin rieb ihr eigenes Gesicht auf zehn Eisenplatten ab, was je nach Druck und Bewegung ein unterschiedliches Abbild hinterließ, das ich durch Oxidation mit den Jahren immer stärker abbildet. Ein Hinweis auf Gottes Schöpfung, wie Degreif interpretierte.

Die Künstlerin Ursula Mross beschrieb an ihrer Arbeit „Briding“ den Entwicklungsprozess zu einem fertigen Bild. In diesem abstrakten Bild bilden Linien die Brücken zwischen verschiedenen Farbflächen. „Verbindungen und Begegnungen interessieren mich bis heute“, erklärte sie. Sie werde oft gefragt, ob sie auf Holz male, da ihr Bilduntergrund eine materielle Textur hat. Sie verriet, dass sie zuerst zehn bis 15 Schichten auf die Leinwand aufträgt, bevor der eigentliche Malprozess beginnt. Manchmal zeichne sie die Linien in die nasse Farbe, bei „Briding“ habe sie das Cutter-Messer benutzt, um Linien zu ziehen.
Ein Bild ist nicht wiederholbar
Oft denke man, es sei einfach, abstrakt zu arbeiten. „Doch glauben Sie das nicht“, erklärte Degreif nachdrücklich. Die Künstlerinnen und Künstler müssten dabei ihrer Intuition vertrauen und meist sehr schnell arbeiten. So ein Bild sei nicht wiederholbar, was Ursula Mross bestätigte. „Wann sind Sie mit einem Bild zufrieden“, fragte eine Besucherin. Das sei ein ganz kritischer Punkt, erklärte die Künstlerin. Sie verändere auch immer mal wieder ihre Bilder. „Und manchmal komme ich auf eine vorherige Variante zurück“, beschrieb sie den Entstehungsprozess.
Degreif ermunterte das Publikum zu eigenen Interpretationen und Sichtweisen. „Es gibt nicht den Punkt, den man als Betrachter erreichen muss“, betonte er. Ab dem 20. Jahrhundert sei das offene Betrachten immer wichtiger geworden, was er als einen Prozess der Demokratisierung empfinde. „Sie schaffen sozusagen das Kunstwerk nochmals neu“, erklärte er und erhielt viel Applaus für seine Ausführungen.
Öffnungszeiten
Die Ausstellung „Künstlerinnen im Landkreis Sigmaringen im 20. Jahrhundert“ ist noch bis zum 26. Juni in der Kreisgalerie im Meßkircher Schloss zu sehen. Die Galerie ist freitags bis sonntags sowie feiertags von 14 bis 17 Uhr geöffnet. Eine weitere Sonderführung mit Uwe Degreif gibt es am Sonntag, 26. Juni, um 15 Uhr. Zu den Bedingungen und Hürden weiblichen Kunstschaffens spricht Uwe Degreif am Sonntag, 29. Mai, um 15 Uhr, mit den Künstlerinnen Susanne Baur, Hendrike Kösel und D.A. Marbach.
Weitere Information:
www.landkreis-sigmaringen.de/kreisgalerie