Uwe Reich-Kunkel

Am Sonntag zünden wir eine weitere Kerze auf unserem Adventskranz an, zuerst im Gottesdienst. Gleiches tun meine Frau und ich dann zuhause, und wir singen dabei „Wir sagen euch an den lieben Advent“. Ein liebgewonnenes Ritual in der Adventszeit. Demnächst hole ich meine Erzgebirgsengel aus dem Karton; über unserem Eingang hängt gelb leuchtend ein Herrnhuter Stern. Die meisten von uns werden besondere Rituale zu Festzeiten und -tagen pflegen, sei es aus religiösen Gründen oder aus Familientradition. Ich merke in diesem Jahr, dass mir diese Rituale besonders wichtig sind und ich sehr viel bewusster die Feiertage angehe. In dieser Zeit der Pandemie mit den vielen Unsicherheiten und auch Bedrohungen gibt auf einmal das Anzünden der Kerzen auf dem Adventskranz ein wenig Sicherheit. Wenigstens diese Momente kann mir die Pandemie nicht nehmen. Gerade weil manche Rituale zeitlos sind, sind sie in Zeiten der Unsicherheit und Unruhe Zeichen der Beständigkeit. Als würde sich in einem dunklen Zimmer die Türe öffnen und ein Lichtstrahl durch den Türspalt den Raum erhellen.

Viele Katastrophen in der Welt

„O Heiland, reiß den Himmel auf“, heißt ein altes Adventslied. Der Titel des Liedes bezieht sich auf eine Bibelstelle im Alten Testament. Bei Jesaja heißt es: „Reiß doch den Himmel auf und komm herab, sodass die Berge vor dir beben!“ Als wäre der Himmel verschlossen! Ein Gedanke, der für mich kaum auszuhalten und doch nachvollziehbar ist. Ich sehe die Bilder von den geflüchteten Menschen an den europäischen Außengrenzen – Spielbälle der großen Politik, die Bilder von Natur- und Umweltkatastrophen, von den Opfern von Kriegen und Gewalt in vielen Teilen der Erde, und nicht zuletzt die Bilder von übervollen Intensivstationen und überforderten und müden Pflegekräften angesichts einer unberechenbaren Pandemie und planlosen Politik.

„Warum lässt du uns in die Irre gehen, sodass wir deinen Weg verlassen, Herr? Warum machst du unser Herz so hart, dass wir keine Ehrfurcht mehr vor dir haben?“ (Jesaja 63, 17) „Kannst du bei all dem ruhig zusehen, Herr? Warum schweigst du und demütigst uns so sehr?“ (Jesaja 64, 11) Auch ich kenne diese Fragen aus meinem Leben, dieses Gefühl der Ohnmacht und der Hilflosigkeit angesichts von Nöten und Katastrophen. Die Unsichtbarkeit und das Schweigen Gottes macht jedem, der nach Gott fragt, zu schaffen.

Gott hat in Christus den Himmel über unserer Welt geöffnet

„O Heiland, reiß den Himmel auf“ – In unser Leben fällt nun der Lichtstrahl von Advent und Weihnachten, ein Strahl der Ewigkeit in die Dunkelheit unserer Welt. Angesichts der Finsternis in unserer Welt, in unserem Leben, ist die Botschaft, dass Gott in Christus den Himmel über unserer Welt geöffnet hat, ein unglaublicher und unfassbarer Zuspruch des Trostes, der uns Hoffnung und Mut schenken kann: Ich brauche angesichts der Katastrophen in der Welt keine Angst zu haben. Ich darf mich geborgen wissen in Gottes Hand. Enttäuschungen, Sorgen und Leid bleiben mir nicht erspart. Aber ich darf wissen, dass in all dem auch Gott zugegen ist. Dieses Wissen trägt mich.

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In diesem Wissen zünde ich eine weitere Kerze auf dem Adventskranz an. Ich hole meine Erzgebirgsengel aus dem Karton und erfreue mich am gelb leuchtenden Herrnhuter Stern. Gott sei Dank!