Ein mildes Urteil gab es für eine junge Unfallfahrerin: Richter Dr. Rouven Kuschnereit verurteilte im Amtsgericht Sigmaringen die Frau aus Meßkirch wegen wegen grob fahrlässiger Verkehrsgefährdung zu einer Geldstrafe von 250 Euro. Zeitlich abgelaufen und daher Makulatur war der von ihm verordnete einmonatige Einbehalt des Führerscheins. Insgesamt war die Frau seit zweieinhalb Monaten nicht mehr im Besitz ihres Führerscheins.

Gefährliches Überhölmanöver

Gemäß ihrer eigenen Angaben war die junge Frau Mitte Dezember des vergangenen Jahres mit einer in Sigmaringen abgeholten Beifahrerin im Auto früh morgens unterwegs zur gemeinsamen Ausbildungsstätte. Da diese nur leichte Verspätungen toleriert, seien sie wohl etwas in Eile gewesen, schilderte die junge Frau dem Gericht. Hinter dem Ortsausgang von Hettingen hatte sie zum Überholen eines Sattelzugs angesetzt, als ihr plötzlich und unverhofft in der lang gezogenen Rechtskurve ein Lastwagen entgegenkam. Beim Versuch, wieder einzuscheren, war es zur Kollision mit dem entgegenkommenden Fahrzeug gekommen, mit einem glimpflichen Ausgang ohne verletzte Personen. Für alle Beteiligten vor Gericht stand außer Frage, dass sie bei diesem Verkehrsunfall den Beistand eines großen Schutzengels hatte.

Beim Prozess galt es nun herauszufinden, welche Intention ihre Fahrlässigkeit an diesem Morgen im Straßenverkehr hatte. Staatsanwältin Lydia Moor hielt ihr die Dramaturgie mehrfach vor Augen, dass es zu einem Frontalzusammenstoß hätte kommen können, die junge Frau bedenkenlos und unverantwortlich ihr und anderer Leib und Leben riskiert hätte.

Polizeibeamter beschreibt die Unfallstelle

Ein 59-jähriger Beamter vom Polizeiposten Gammertingen, der die unfallträchtige Strecke aus dem Eff-eff kennt, bestätigte dem Gericht, dass Autofahrer an dieser Stelle vom Prinzip her dazu neigten, „ins Blaue“ zu überholen und den bestehenden toten Winkel dabei nicht ins Kalkül zögen. Auf der Strecke gebe es regelmäßig Unfälle. Jürgen Derdus, der Verteidiger der Angeklagten, verwahrte sich resolut gegen die Suggestion einer automatischen Fehlleistung seiner Mandantin. Sie hätte in ihrer Annahme, überholen zu können, „situationsbedingt versagt“, so der Verteidiger vor Gericht. Im Übrigen sei ihre Hemmschwelle nach dem Unfall sehr viel größer geworden, der Vorgang hätte ihr deutlich zu schaffen gemacht und sie kurz danach, wie von ihr selbst bestätigte, Panikattacken gekriegt. Sie sei danach stets bedacht im Verkehr unterwegs gewesen. Zudem verwies er darauf, dass seine Mandantin auch vor dem Unfall nicht negativ im Straßenverkehr aufgefallen war und keine Eintragungen im Verkehrsregister in Flensburg habe.

Wortgefecht der Anwälte

Der Anwalt lieferte sich auch mit der Staatsanwältin ein Wortgefecht, die an ihrer Deutung des Unfallgeschehens unverrückbar festhielt. Sie prangerte an, dass die junge Frau nicht nur ein aufgestelltes Überholverbotsschild übersehen, grob fahrlässig und rücksichtslos gehandelt hätte, nannte ihren Fahrstil bei „physikalisch begrenzter Sicht von 40 Metern“ eine „Harakiri-Aktion“. Der zufolge hätte sich die Angeklagte mit diesem Überholmanöver als unfähig zum Führen eines Fahrzeugs erwiesen. Neben einer Geldstrafe von 800 Euro forderte die Staatsanwältin eine weitere Entziehung der Fahrerlaubnis von sieben Monaten.

Richter lässt Milde walten

„Das passt zu ihrer Motivlage nicht, es wäre selbstmörderisch“, entgegnete Richter Kuschnereit in seiner Urteilsbegründung, er könne der jungen Frau beim falschen Überholen keine böswillige Absicht, keine Rücksichtslosigkeit oder Gleichgültigkeit als Eigenmotiv unterstellen. Zuvor hatte schon der Vertreter der Jugendbeihilfe vor Gericht ein Urteil nach dem Jugendstrafrecht empfohlen und auch auf das sehr soziale Engagement der jungen Frau in ihrer Freizeit verwiesen.

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Die Angeklagte hätte aus dem Unfallgeschehen die richtigen Schlüsse gezogen, resümierte Richter Kuschnereit in seinem Urteil. Sie habe aus ihrem Fehlverhalten gelernt. Richter Kuschnereit gab ihr noch im Gerichtssaal den Führerschein zurück, der ihr vor zweieinhalb Monaten von der Behörde entzogen worden war.