Karlheinz Fahlbusch

„Früher war alles schlechter“ heißt eine Rubrik in einem großen deutschen Nachrichtenmagazin. Dabei wird dargestellt, warum es uns trotz Kriegen, Krankheiten und Katastrophen immer besser geht. Vermutlich war von den Redakteuren noch keiner in der Pfullendorfer Hauptstraße. Zumindest ältere Pfullendorfer dürften das so empfinden.

Heutzutage ist es oft einsam in der Hauptstraße. Aber die Menschen schätzen durchaus, dass es jetzt Straßencafés gibt, wo man in Ruhe ...
Heutzutage ist es oft einsam in der Hauptstraße. Aber die Menschen schätzen durchaus, dass es jetzt Straßencafés gibt, wo man in Ruhe sitzen und sich unterhalten kann. | Bild: Fahlbusch, Karlheinz

Großes Angebot für den täglichen Einkauf

Was heute oft als „tot“ und „leer“ empfunden wird, das war noch in den 1970er Jahren die Pulsader der Stadt, wenn es um das Thema Einkauf ging. Das Angebot war groß und im Prinzip konnte man alles, was man brauchte, in der Hauptstraße bekommen. Da gab in der unteren Hauptstraße nicht nur Elektro Meise mit den vielen Fernsehern im Schaufenster und ebenso wie bei Elektro Stadelhofer am Marktplatz die Möglichkeit, Schallplatten über, damals natürlich noch kabelgebundene, Kopfhörer anzuhören, bevor man sich für einen Kauf entschied. Gleich daneben war die Buchhandlung Obrecht und auch das Tabakwarengeschäft Dindorf, das vor einigen Jahren verschwunden ist, offerierte hier sein großes Angebot. Denn damals war das Rauchen noch nicht verpönt und sogar bei den Sitzungen des Gemeinderates wurde dermaßen geraucht, dass die Räte oft ihr Gegenüber kaum noch erkennen konnten.

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Schreibwaren, Spielwaren, Stoffe und Schuhe

Schreibwaren Klaiber gab es schon und dort hatte man auch Modelleisenbahnzubehör im Angebot. Das gab es natürlich auch im Spielwarengeschäft Frey und viele andere Dinge, die Kinderherzen höherschlagen ließen. Nur wenige Meter daneben, wo heute Handyverträge offeriert werden, bot das Textilhaus Senn Stoffe und Kurzwaren an. „Da hast du alles bekommen, was man für das Nähen gebraucht hat“, erinnert sich Anneliese Lorber. Die 83-Jährige ist ein echtes Kind der Hauptstraße. Im Haus Nummer 23 ist sie aufgewachsen. Damals hatte ihr Vater noch ein Schuhgeschäft in den Räumen, wo heute der VdK-Ortsverband seine Räumlichkeiten hat. Da sitzt die Seniorin dann oft freitags mit anderen Damen beim Angebot „Strickliesel“ zusammen. Die Hauptstraße ist da immer wieder ein Gesprächsthema. Zwar seien die Häuser jetzt schön hergerichtet und es gebe Blumenkübel und Straßencafés, aber mit dem Einkaufen, da sehe es schlecht aus.

Anneliese Lorber, 83, ist ein echtes Kind der Hauptstraße. Im Haus Nummer 23 ist sie aufgewachsen. Damals hatte ihr Vater noch ein ...
Anneliese Lorber, 83, ist ein echtes Kind der Hauptstraße. Im Haus Nummer 23 ist sie aufgewachsen. Damals hatte ihr Vater noch ein Schuhgeschäft in den Räumen, wo heute der VdK-Ortsverband seine Räumlichkeiten hat. | Bild: Fahlbusch, Karlheinz

Zwei Metzgereien und mehrere Bäckereien

Gleich zwei Metzgereien gab es in der Hauptstraße und auch noch Bäcker mit eigener Backstube. Allgaier war der letzte Handwerksbetrieb, der im vergangenen Jahr den Backofen endgültig ausgehen ließ. Wo früher Bäckermeister Müller das Brot in den Ofen schob, da gibt es heute wenigstens noch die Filiale der Bäckerei Diener aus Überlingen. Am Marktplatz hatte sich ein Spar-Markt angesiedelt, wo man ein für Pfullendorfer Verhältnisse sehr großes Angebot zur Verfügung hatte.

Zum 750. Stadtjubiläum posierten Markus und Angelika Frey vor dem Textilhaus Senn in der Hauptstraße. Beim „Sennen-Balles“ ...
Zum 750. Stadtjubiläum posierten Markus und Angelika Frey vor dem Textilhaus Senn in der Hauptstraße. Beim „Sennen-Balles“ bekam die Hausfrau alles fürs Nähen. | Bild: Fahlbusch, Karlheinz

Weil nur wenige Haushalte zwei Autos zur Verfügung hatten und die Hausfrauen deshalb meisten zu Fuß zum Einkaufen gingen, konnte man sich die Waren auch abends nach Hause bringen lassen. Die Hauptstraße konnte übrigens noch komplett befahren werden und wer einen Parkplatz direkt vor einem Geschäft bekam, der war so richtig glücklich. An ein Parkhaus dachte da noch niemand und eine Fußgängerzone war auch nicht in Sicht. Es gab gleich mehrere Textilgeschäfte und auch kleinere Läden mit Lebensmitteln. Das Modehaus Ehren hatte sogar eine ehemalige Opernsängerin als Chefin.

Heute sind die meisten Geschäfte weg

Trotzdem machte sich der damalige Bürgermeister Hans Ruck schon damals Gedanken zur Attraktivität der Innenstadt. „Nachdem sich viele Geschäfte und auch das Gaststättengewerbe in dankenswerter Weise sehr angestrengt haben, Einkaufsmöglichkeiten und Dienste anzubieten, darf die Stadt nicht zurückstehen“, machte er bei der Bürgerversammlung am 12. Januar 1977 deutlich. Er versprach die Restaurierung von Baudenkmälern. Die gibt es noch heute. Die meisten Läden sind allerdings weg.

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Ein Name statt vormals drei

Die Bezeichnung Hauptstraße ist häufig. Gemeint ist damit meistens die Straße, die als wichtig betrachtet wurde und oft auch mitten durch einen Ort geht. In der Linzgaustadt ist das so. Heutzutage spricht man sogar von der „unteren“ und der „oberen“ Hauptstraße. Erstgenannte führt vom Stadteingang beim Bistro Cilentano zum Marktplatz. Weil es von dort nach oben in Richtung Obertor geht, dient die zweite Bezeichnung für den Rest der Straße. Das war aber keineswegs immer so. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden drei Gassen zur Hauptstraße vereinigt. So ging die Färbergasse vom damaligen Engelinstor am alten Kloster vorbei zum Marktplatz und war nach zwei hier ansässigen Handwerksbetrieben benannt. Vom Marktplatz bis zur Querverbindung Andreas-Rogg-Gasse/Garnmarktgasse hieß es dann Marktgasse, benannt den zwei Märkten, die hier abgehalten wurden: dem Obstmarkt beim heutigen Hechtbrunnen und dem auf dem heutigen Marktplatz. Und der Rest bis zum Obertor hieß Lammgasse, benannt nach dem Gasthaus, das heute noch immer dort steht. (kf)