Einen glatten Freispruch hat ein 58-Jähriger vor dem Amtsgericht Sigmaringen erwirkt, dem in der Anklageschrift eine derbe verbale Entgleisung gegenüber einem Mitarbeiter der Stadt Pfullendorf vorgeworfen wurde. „Es gab keine Beleidigung, das Ganze hat offensichtlich nicht stattgefunden“, so Amtsrichterin Kristina Selig in ihrer Urteilsbegründung. Der Angeklagte bekannte, von den polizeilichen Ermittlungen vor drei Jahren sehr überrascht gewesen zu sein: „Die Sache ist frei erfunden und entbehrt jeglicher Grundlage.“ Sämtliche Vorhaltungen gegen ihn seien „völlig aus der Luft gegriffen“. Und er würde es als eine Anmaßung empfinden, dass sich die Staatsanwaltschaft überhaupt darauf eingelassen hat.

Angeblich etwas gehört

Ein Beschäftigter, der mittlerweile Pensionär ist, hatte den Selbstständigen aus einem Pfullendorfer Teilort angezeigt. Darin versicherte dieser Zeuge eidesstattlich, von der Beleidigung des Angeklagten gegen einen städtischen Mitarbeiter vernommen zu haben, beide sind zugleich Wohnungsnachbarn. Als höchst fragwürdigen Zeitraum des angeblichen Tathergangs gab der Zeuge damals zwischen 1. und 24. Dezember 2019 zu Protokoll.

Belastungszeuge wird zwangsvorgeführt

Zum Prozess musste der besagte Hauptbelastungszeuge von der Polizei zwangsvorgeführt werden. Selbst im Aushang vor dem Gerichtssaal waren alle Angaben zum Fall und den daran Beteiligten bis auf die Uhrzeit geschwärzt worden. Es sollte offenbar für den Zeugen oder etwaige Helfershelfer keine vorwarnenden Hinweise geben, zumal dieser Zeuge den bisher angesetzten Terminen seit 2020 bis zuletzt Ende Mai dieses Jahres trotz jeweiliger Gerichtsvorladungen stets ferngeblieben war. Was wiederum heftige Spekulationen über dessen Motive auslöste. Wollte er einen Meineid vermeiden?

Widersprüche in der Aussage

„Zuletzt war ich in München“, sagte der 66-Jährige nun im Zeugenstand aus und beklagte sich über zu viel Papierkram. Für seine Versäumnisse habe er die Strafen bezahlt. Den Wortlaut seiner gemachten Anzeige könne er jetzt nicht mehr zusammenbringen, es sei zu lange her. Seine Einschränkung begründete er auch damit, dass er „viel Psychopharmaka“ schlucken müsse, das Gericht wisse darüber Bescheid. Zum Vorfall seiner angezeigten Beleidigung befragt, rückte er vom Dezember auf den Hochsommer 2019 ab – „es war sehr heiß“ auf einer Baustelle gewesen, die sich in Wohnhausnähe des Angeklagten befand. Dort tätige Gartenbauarbeiter hätten ihm von einem heftigen Streit erzählt, bei dem der Angeklagte den selbst nicht anwesenden städtischen Mitarbeiter derb beschimpft und ausfällig verunglimpft haben soll. Es sei ursächlich wohl um Beschädigungen von Leitungen einer Sprenkelanlage gegangen.

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Zuvor hatte der Angeklagte die Seriosität des Zeugen bereits stark bezweifelt und das Gericht darauf aufmerksam gemacht, dass er selbst diesen Mann im Dezember 2019 gesehen habe, als dieser dem städtischen Mitarbeiter einen Privatbesuch abstattete. Auf richterliche Nachfrage bestätigte der Zeuge, nach einer Vereinbarung aus rein persönlichem Interesse am Baustil dessen Haus besichtigt zu haben. Den städtischen Mitarbeiter würde er aber gar nicht näher kennen und er habe auch keinen Kontakt zu ihm, betonte der 66-Jährige vor Gericht. Der städtische Mitarbeiter sollte als zweiter Zeuge aussagen, ließ sich aber wegen eines unverrückbaren geschäftlichen Lehrgangs vor Gericht entschuldigen.

Zeuge mit etlichen Vorstrafen

Ronny Stengel, der Erste Staatsanwalt, machte nach abgeschlossener Beweisaufnahme nicht viel Federlesens mit den äußerst widersprüchlichen Aussagen des einzigen Zeugen. Er sei zur Überzeugung gelangt, dass dieser „nicht glaubwürdig“ sei und er somit keine Anklage unterstützen könne. Beim Blick in dessen Strafregister listete Richterin Kristina Selig stattliche 15 Eintragungen auf, die letzte war auf März dieses Jahres datiert. Sie nannte Delikte wie Diebstahl und Urkundenfälschung, am häufigsten stand der 66-Jährige jedoch wegen Betrugs und Beleidigungen vor dem Kadi.

Gelogen, dass sich die Balken biegen

„Das war ein ziemlich langer Leidensweg in einem Strafverfahren, das immer auf der Kippe stand“, zog Verteidiger Franz Dichgans sein Resümee nach dem erfolgten, von ihm und dem Staatsanwalt geforderten Freispruch. Er sei davon überzeugt, dass der Zeuge „gelogen hat, dass sich die Balken biegen!“ Sein freigesprochener und unbescholtener Mandant zog beim erteilten Schlusswort ein eigenes Fazit und machte diesbezügliche Andeutungen: „Der Drahtzieher des Übels hat sich der Sache entzogen!“