Karlheinz Fahlbusch

Stellen wir uns vor, wir würden im Jahr 1895 auf die Stadt zufahren. Mit einer Kutsche oder einem Automobil, das natürlich auch Lampen hatte. Dafür wurde Calciumcarbid in Karbidlampen mit Wasser versetzt, mit dem es zu brennbarem Ethin reagierte. Das Ethin wurde angezündet und verbrannte mit heller Flamme. Und das weitaus heller als Petroleum. Von einer beleuchteten Stadt dürfte man wohl wenig gesehen haben.

Straßenlaternen wurden mit Petroleum betrieben

Kein Wunder: Eine Straßenbeleuchtung im heutigen Sinn gab es noch nicht und dass Halogenstrahler die Jakobuskirche anstrahlen, das war damals undenkbar. Im Gegensatz zu größeren Nachbarstädten wie Sigmaringen oder Saulgau (damals noch ohne den Titel „Bad“) sorgte in Pfullendorf kein Gasometer für Lampenenergie. Die wenigen Straßenlaternen wurden wohl mit Petroleum betrieben. Dieser Stoff ist bereits aus der Antike bekannt. Auch in den Häusern hingen Petroleumlampen und natürlich wurden auch noch Kerzen und Talglichter verwendet. Das alles würde der Mensch des 21. Jahrhunderts wohl als „idyllisch“ oder „romantisch“ bezeichnen, aber so richtig praktisch war das nicht. Sicher sehnten sich die Pfullendorfer nach einer Möglichkeit, dass Helligkeit einfacher erzeugen könnte.

Als man den Strom nicht mehr selbst produzierte, verlor das alte Gebäude seine Bestimmung und wurde abgerissen. Dampfkessel und Motoren ...
Als man den Strom nicht mehr selbst produzierte, verlor das alte Gebäude seine Bestimmung und wurde abgerissen. Dampfkessel und Motoren wurden verschrottet. | Bild: Fahlbusch, Karlheinz

Der Strom kam im Sommer 1897 in die Linzgaustadt

Und die kam dann am 1. Juli des Jahres 1897. Vor fast genau 123 Jahren glühten abends erstmal rund 1 500 elektrische Lampen. Und der Strom kam nicht von einem großen Konzern, von der Sonne oder einem Wasserkraftwerk. Er wurde in der Vorstadt erzeugt. Dort stand gegenüber dem Stadtsee und der damaligen Vorstadtmühle das Elektrizitätswerk.

Das Spital investierte in das Elektrizitätsnetz

106 350 Mark und 36 Pfennige kosteten der Dampfkessel, die Motoren und die Batterien. Bezahlt hat das nicht die Stadt, sondern das Spital. Auch in den Folgejahren kam der Löwenanteil der Kosten für den weiteren Ausbau des Elektrizitätsnetzes vom Spital. So wurden 1898 nochmals 14 618, 17 Mark in eine moderne Infrastruktur investiert. In dem lesenswerten Buch „Im Dienst des Nächsten – Das Spital Pfullendorf 1257 bis 2018“ schreibt Stadthistoriker Peter Schramm: „Dank des Spitals war Pfullendorf am Ende des 19. Jahrhunderts aus dem Dornröschenschlaf erwacht.“ Und das sogar im bildlichen Sinn. Denn jetzt gab es nicht nur Licht in den Straßen und Wohnungen, sondern auch eine moderne Antriebsenergie für die Maschinen in den Werkstätten.

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Umfrage zeigt Skepsis der Bevölkerung

Dabei hätte das ganze durch den Starrsinn so mancher Stadtbewohner beinahe gar nicht stattgefunden. Denn die Stadtverwaltung hatte im Mai 1895 eine Umfrage gestartet. Man wollte feststellen, wie hoch der Bedarf für Stromanschlüsse überhaupt war. Die Bevölkerung sollte „wegen der Anzahl der anzumeldenden Glühlampen Entschließung treffen“, wie es heißt.

Stadtobrigkeit investierte in Pfullendorfs Zukunft

Ein Elektrotechniker wurde angekündigt, der zu beratenden Gesprächen in die Häuser kommen sollte. Da die Stadt damals noch sehr klein war, genügte da ein einziger Mann. Lag es an seiner Beratung oder an der Skepsis so mancher Linzgauer gegenüber dem neumodischen Kram, das Interesse war deutlich geringer als erwartet. Es ist den Stadtoberen hoch anzurechnen, dass sie sich trotzdem für die Zukunft entschieden.

Das Licht ging zuerst in den Straßen und Wirtschaften an

Als das neu erstellte Elektrizitätswerk erstmals Strom lieferte wurden zunächst damit vor allem die Straßen und die Wirtschaften mit Licht versorgt. Im Hotel „Schwanen“, dem damals vornehmsten Hotel im Ort (es gab sogar fließend warmes Wasser) gab es sogar eine Eröffnungsfeier. In der Zeitung war damals zu lesen, dass „die Elektrischen“ sämtliche Räume prächtig geziert hatten und auch noch ein großes Programm ausführten. Im ehemaligen Hotel befindet sich heute das Café Moccafloor. Aus den Steckdosen kam vermutlich schon der heute übliche Wechselstrom, statt des vorher genutzten Gleichstroms.

Das für damalige Zeiten hoch moderne Elektrizitäts- und Wasserwerk stand da, wo sich heute die Stadtwerke und die Regionalnetze Linzga ...
Das für damalige Zeiten hoch moderne Elektrizitäts- und Wasserwerk stand da, wo sich heute die Stadtwerke und die Regionalnetze Linzga befinden. Bezhalt hatte alles das Spital. | Bild: Fahlbusch, Karlhein

Die Wechselspannung kam kurz vor der Jahrhundertwende

Denn ab 1890 hatte die Wechselspannung ihren Siegeszug angetreten. Mit dem Strom hielt auch die damals hoch moderne Kommunikationstechnik des Telefons Einzug in Pfullendorf. Im Jahr 1904 gab es bereits 16 Teilnehmer.

Skeptiker gibt es in allen Generationen

Heute hat nahezu jedes Gebäude einen Telefonanschluss. Beim Glasfaseranschluss für das Internet hapert es noch teilweise, aber auch da stehen die Zeichen auf Zukunft. Wie übrigens zu Beginn des Stromzeitalter in der ehemaligen Reichsstadt, gibt es auch heut noch Skeptiker, die meinen, dass sie „so ein neumodisches Zeug“ nicht brauchen und ihr Haus vom weltweiten Informationsaustausch noch abkapseln.

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Heute steuern Computer das Stromnetz in der Stadt

Vor allem in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde viel in das Stromnetz investiert. Die Versorgungssicherheit ist hoch und wenn mal der Strom ausfällt, dann dauert das in der Regel nur ganz kurze Zeit, bis wieder alles funktioniert. Dafür sorgen die Regionalnetze Linzgau, eine Gesellschaft, die von den Stadtwerken, die den Strom verkaufen, und den EnBW getragen wird, der das Stromnetz gehört. Das heutzutage alles per Computer steuerbar ist, das versteht sich von selbst. „Eine große Schalttafel mit Schaltern und Lämpchen gibt es nicht mehr“, schmunzelt Abteilungsleiter Netzbetrieb Strom Manual Dippel im Betriebsgebäude der Regionalnetze, das sich unterhalb des ehemaligen Elektrizitätswerkes im Mühlweg befindet.

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Jahreszahl 2020 oder keine: So wird heute das Stromnetz gesteuert. Abteilungsleiter Netzbetrieb Strom Manuell Dippel hat jeden Schaltpunkt und jede Trafostation von der Steuerungszentrale aus im Blick. | Bild: Fahlbusch, Karlheinz

Erneuerbare Energien sind heute wichtig

In den Leitungen fließt übriges jede Menge Strom aus erneuerbaren Energien. So wurden im Jahr 2019 über 20 000 Kilowattsunden aus Windenergie eingespeist, die an Land erzeugt wird. Auch vom Windpark in Hipfelsberg. Dazu kommen rund 15 600 Kilowattstunden aus Biomasse, über 5 000 Kilowattstunden Sonnenstrom und knapp 1 200 Kilowattstunden aus Anlagen zur Kraft-Wärme-Kopplung. Man ist also gut aufgestellt für die Zukunft. So wie im Jahr 1895.