Carsten Stahl sitzt in der Blumberger Eichbergsporthalle auf dem Kasten, und beginnt, den Realschülern eine Geschichte zu erzählen. Es ist die Geschichte eines zehnjährigen Jungen in der fünften Klasse einer Gemeinschaftsschule. Er hat rötliche Haare, viele Sommersprossen, ist etwas schwächlicher und etwas dicker.
An der Schule gibt es eine Gruppe von fünf Jungen im Alter von 13 bis 15 Jahren, die das Sagen hat, darunter der Anführer mit 15. Und sie mobben mehrere Schülerinnen und Schüler, vor allem aber mobben sie den zehnjährigen Jungen mit den rötlichen Haaren. Sie beleidigen ihn, schubsen ihn, treten auf ihn ein. Andere Schüler laufen an ihnen vorbei, kümmern sich nicht darum, sagen es auch nicht ihren Lehrern.
Eine Gruppe hat das Sagen
Es wird immer schlimmer. Der Junge hat Angst, kommt morgens extra schon später zur Schule, um nicht der Gruppe zu begegnen. Der Rektor meldet sich, der Junge sagt nicht, weshalb er später in den Unterricht kommt: weder den Eltern noch dem Rektor. Die Gruppe hatte nämlich gedroht, seine Mutter umzubringen, wenn er etwas sage. Es wird noch schlimmer, der Junge bleibt Zuhause unter der Kellertreppe in dem Mietshaus.
Eines Tages rennt der Junge vor der Gruppe davon, die ihn aber verfolgt, über Straßen durch einen Park und in eine Sackgasse. Am Ende eine drei Meter tiefe Baugrube, in die ihn der Anführer stößt. Er fällt auf harten Lehmboden, blutet am Kopf. Damit nicht genug, fordert der Anführer alle auf, sich um die Grube zu stellen und auf den Schüler zu urinieren, was dann geschieht. Es ist circa 16.30 Uhr.

Als die Gruppe weg ist, ruft der Junge nicht um Hilfe: weil er sterben will, so Carsten Stahl. Um 22 Uhr geht ein älterer Mann mit seinem Hund Gassi, der Hund schlägt an, der Mann alarmiert die Rettungskräfte. Der Junge kommt ins Krankenhaus, ist vier Tage im künstlichen Koma. Als er erwacht, fragt der Arzt, wie das passiert sei. Der Junge sagt, er sei in die Grube gefallen, er hat immer noch Angst.
"Der kleine Junge", Carsten Stahl hält einen kurzen Moment inne, dann brüllt er: "war ich!" Er fügt hinzu: "Ich war ein kleiner, zehnjähriger Junge, ich hatte niemandem etwas getan."
Opfer wird zum Täter
Jahre vergehen. Carsten Stahl wird selbst zum Täter. Drogen, Gewalt, er kommt in das Gefängnis. Als sein eigener Sohn vor viereinhalb Jahren eingeschult und schon nach zwei Tagen Opfer von Mobbing und Gewalt wurde, gründete das Projekt „Camp Stahl – Stoppt Mobbing". Das Ziel: „Mit Respekt, Mut und Toleranz gegen Mobbing, Gewalt, Drogen, Hass und Vorurteile.“