Seit rund einem Jahr herrscht wieder Leben im Roten Hans in der Sennhofstraße. Die kultige Donaueschinger Kneipe wird in diesem Jahr 130 Jahre alt. Am 4. Februar 1893 soll Johann Gaisser, genannt der rote Hans, das Gebäude damals erworben haben. So steht es auf einer Urkunde, eine Brauerei-Urkunde datiert auf den 5. Februar.

Was klar ist: Der Rote Hans hat im Laufe dieser Zeit einiges an Anekdoten und Geschichten erlebt. Und das hing oft auch mit den Wirten zusammen, bei denen es sich um ausgesprochene Donaueschinger Originale handelte. Oder vielleicht besser: handelt.

Gründer-Familie immer noch dabei

Den immer noch ist die Familie Gaisser im Roten Hans zugange. Dort wird nicht mehr geraucht, wie das früher der Fall war, es gibt italienische Küche und das Innere wurde zurecht gemacht. Pächter ist aktuell Giuseppe Luciano, der mit seiner Mutter und Schwester auch in der Küche steht. Inhaber ist Hans-Peter Gaisser, Enkel des Roten Hans. In der Gaststätte packt außerdem Christina Gaisser an. Sie ist eine Urenkelin des ersten Wirtes.

So sieht der neue Rote Hans aus Video: Simon, Guy

„Der Rote Hans war Gastwirt und Pferdehändler. Und ein begnadeter Sänger. Einfach ein Unikum, auch von seinem Körper her“, erklärt Hans-Peter Gaisser. Der rote Hans hatte nicht nur eine stattliche Leibesfülle, sondern auch einen Kropf. Eine Schwellung am Hals, verursacht durch eine vergrößerte Schilddrüse. Verursacht wird das meist durch chronischen Jodmangel. Früher ein häufiger auftretendes Problem.

So war der rote Hans

„Er hatte wohl ein großes Mundwerk, war aber schnell verschwunden, wenn dann was los war“, beschreibt sein Enkel. Sein Vater Bertl hat ihm als Kind vom Roten Hans erzählt. „Da kam wohl mal ein Freund vom roten Hans rein. Der bot ihm Pferde zum Kauf an, das wurde per Handschlag besiegelt. Ein guter Preis, dachte der Käufer. Im Stall warteten dann allerdings Schaukelpferde aus Holz“, sagt Hans-Peter Gaisser. Streit habe es dann nicht gegeben: „Die sind noch mal einen trinken gegangen, dann war das erledigt.“

Der Rote Hans, Johann Gaisser in der Bildmitte. Erkennbar ist er an seiner Kropf-Wucherung am Hals. Er ist Gründer des Gasthauses in der ...
Der Rote Hans, Johann Gaisser in der Bildmitte. Erkennbar ist er an seiner Kropf-Wucherung am Hals. Er ist Gründer des Gasthauses in der Sennhofstraße. | Bild: Familie Gaisser

Mit der Pferdekutsche sei der rote Hans auch ab und zu andere Wirtskollegen besuchen gegangen: „Auf der Heimfahrt soll er dann auf der Kutsche eingeschlafen sein. Das Pferd kannte ja den Weg und brachte ihn nach Hause.“

Dass der rote Hans auch bei anderen Wirten gerne zu Gast gewesen sein soll, zeigt auch diese Zeichnung von 1925, bei der das Konterfei ...
Dass der rote Hans auch bei anderen Wirten gerne zu Gast gewesen sein soll, zeigt auch diese Zeichnung von 1925, bei der das Konterfei von Johann Gaisser aufgeklebt wurde. | Bild: Simon, Guy

Er starb am 1. Juni 1934, nachdem er am Abend zuvor in seinem Wirtshaus mit Freunden noch Karten gespielt hatte. Nach dem roten Hans übernahm seine Tochter Martha das Wirtsgeschäft. Sie wurde von allen nur Märtel genannt. „Es kommen noch heute Gäste, die sie kannten und sich gerne erinnern“, sagt Christina Gaisser. Kamen junge Leute mit wenig Geld in die Kneipe, dann gab es das Bier für weniger oder umsonst. „Abgezogen hat sie die Rechnung dann schließlich beim Stammtisch.“

Martha Gaisser, genannt „Märtel“, war ein echtes Original als Wirtin des Roten Hans.
Martha Gaisser, genannt „Märtel“, war ein echtes Original als Wirtin des Roten Hans. | Bild: Franz Krickl

Äußerst beliebt war bei Märtel und ab 1964 bei Bertl und Christel Gaisser der Stammtisch im Roten Hans. „Stammtische sind Kultur. Das wird zwar belächelt, ist aber ein wichtiger Teil“, erklärt Hans-Peter Gaisser. Die Märtel war seine Tante, Bertl und Christl seine Eltern. „Hier waren bei Märtel wohl so viele am Stammtisch, das bereits in zweiter Reihe gesessen wurde“, sagt Christina Gaisser.

20 bis 25 Leute um den Tisch – und jeder habe etwas für das Vesper mitgebracht: „Der Bäcker das Brot und der Schlachthausverwalter die Würste, so dick wie ein Arm. Die Märtel hat sie dann gekocht“, erzählt ihr Neffe. Und wenn jemand einen Cafe trinken wollte, kam die Antwort: „Dann geh‘ doch zum Reiter.“ Im Teewasser schwammen so manches mal wohl Fettaugen. Damit wurden zuvor eben die Würste gekocht.

Feuriges Temperament

Märtel sei mit ihrem Temperament schnell an die Decke geschossen. „Im Sommer sind alle Geschäftsleute mit dem Auto in die Sennhofstraße gefahren und haben beim Reitstall geparkt. Die Märtel hat das gesehen und sich geärgert, dass sie nicht zu ihr kamen. Sie hat dann das Tor geschlossen und mit einer Kette versperrt – so mussten nachher doch alle kommen und nach dem Schlüssel fragen“, berichtet Hans-Peter Gaisser.

Damals und heute: Zwischen den beiden Bildern liegen rund 50 Jahre, es zeigt dieselbe Ecke im Gasthaus. Oben zu sehen ist Christina ...
Damals und heute: Zwischen den beiden Bildern liegen rund 50 Jahre, es zeigt dieselbe Ecke im Gasthaus. Oben zu sehen ist Christina „Christel“ Gaisser, Schwiegertochter vom Roten Hans, in den 1970er-Jahren. | Bild: Simon, Guy

Zu einer Fasnet habe man die Märtel nach Bräunlingen zum Umzug eingeladen. Als sie zurückkehrte, sei der Rote Hans voller Leute gewesen: „Die haben einfach die Fenster ausgehängt und sind rein. Die Märtel soll dann einfach in ihre Wohnung gegangen sein und hat sie machen lassen“, so Gaisser.

Viele Paare haben sich im Roten Hans kennen und lieben gelernt. Hans-Peter Gaisser will keine Namen nennen, weiß aber von fünf bis sechs Paaren, die noch leben. Ein geeigneter Ort für das Anbandeln dürfte der Bunker gewesen sein. Dabei handelte es sich um eine mit Sichtschutz abgetrennten Bereich direkt neben dem Kachelofen.

Das könnte Sie auch interessieren

1969 verstarb Märtel alleinstehend im November zu Martini. Bei der Beerdigung habe sie große Anteilnahme durch die Bevölkerung erfahren. „Sie waren alle mit Herzblut dabei. Bis es eben nicht mehr ging“, sagt Gaisser.

Jeder Wirt hat seine Geschichten

Geschichten zum dem Gasthaus haben sich in den 130 Jahren zu viele ereignet, um sie alle aufzuzählen. So etwa auch bei Uli Henssler, Wirt von 1986 bis 1999, dessen Frau aus dem Libanon kam: „Im Nebenzimmer war ein Beduinenzelt aufgebaut, es gab libanesisches Essen, die passende Musik. Die Leute kamen von weit her, um das zu erleben.“

Jetzt kommen Gäste von früher, aber auch jüngere Leute. Die Luft ist besser, „das schätzen besonders ältere Gäste“, sagt Christina Gaisser.

„Jeder Wirt hat seine Zeit auf seine Art geprägt“, sagt Gaisser, „und jeder hat eine Geschichte zum Roten Hans.“ Und die werden auch weiter entstehen. Die Geschichte vom Roten Hans, sie ist noch lange nicht zu Ende.