Ein lauer Herbstabend. Die Blätter schmücken sich in farbprächtiger Hülle. Die Luft wird langsam kühl. Die Sonne kämpft ein erbittertes letztes Mal gegen die Kälte des Winters an. Trotz des sinkenden Thermometers lockt es die Menschen in die Stadt, womöglich ein finales Mal in diesem Jahr.
Auch wenn die Temperatur keinesfalls mehr schweißtreibend ist, zieht es die Menschen an die Theke, selbstverständlich mit einem frisch gezapften Bier in der Hand. Und in diesen Zeiten natürlich mit dem nötigen Corona-Abstand.
Liegt es wohl am Durst – trotz der kälteren Jahreszeit – oder doch an dem wohltuenden Geschmack des Getränks selbst? Wir im Süden lassen uns es eben gut gehen. Fast paradiesisch klingt dieses Szenario. Nur fließen hier nicht Milch oder Honig, sondern Weizen oder Pils.

Wenn da nur nicht der Lärm der motorisierten Bierkutsche das Spreu im Weizen der Kulisse wäre. Oder die Aussicht auf den einen oder anderen Bierbauch, der an die Begleiterscheinungen des zu häufigen Genusses erinnert.
Der Philanthrop in der Not
Verantwortungsvoller Genuss gehört dagegen zum Leben dazu: der Humpen während des Pokalderbys, das Feierabendbier mit Kollegen, oder die Halbe beim Blasorchesterkonzert des Musikvereins. Das Bier ist der treue Freund und Helfer in der Not – ein Philanthrop durch und durch.
Ein Blick auf das Reinheitsgebot bestätigt die Bedeutung des Biers für das Land, denn es besteht seit 1516. Deutscher wird es wohl nicht. Ein Leben ohne Bier ist für unser Volk wohl unvorstellbar. „Mit nichts vergeuden die Deutschen mehr Zeit als mit dem Biertrinken“, wie es Bismarck schon erkannte.
Doch kann man etwa so weit gehen, dass Hopfen, Gerste und Malz ein Teil unserer DNA sind? Sicher ist: Bier durchdringt alle Gesellschaftsschichten: Jugendliche, Beamte, Akademiker und nicht zuletzt Politiker. Denn Bier ist auch ein identifizierendes Wahlkampfaccessoire. Das wurde nicht zuletzt durch Gerhard Schröders „Hol mir mal ‚ne Flasche Bier!“ klar.

Das Bier schafft, was Generationen von Politikern nicht geschafft haben: Es formt ein Gemeinschaftsgefühl und verbindet die Deutschen – von Ost nach West, von Nord nach Süd – als hätte es nie eine Mauer gegeben. Die goldene Flüssigkeit prägt das deutsche Selbstverständnis, es ist Teil der Identität und stärkt die Demokratie. Weltkulturerbe eben.
Doch sollte man Bierpatriotismus nicht unterschätzen. Denn die regionale Karte besteht aus Bierhochburgen: von Fürstenberg über Löwenbräu bis hin zu Rothaus. Der Wettbewerb unter den Marken gleicht einem erbitterten Kulturkampf. Während im Leben die inneren Werte zählen, geht es beim Bier um den Inhalt der Flasche. Die Bierwahl ist beinahe wie ein Fingerabdruck. Von der heimatlichen Brauerei zur Identifikation mit einer bestimmten Region – diese Entscheidung sagt mehr über uns Menschen aus, als uns lieb ist – möglicherweise eine Loyalität bis ans Lebensende. Gerade, wenn die Brauereien der Region einen Wettbewerb um Leben und Tod führen. Letztlich kommt es ja auf den Genuss an. Pils, Hefeweizen, Radler: Geschmäcker sind verschieden. Und dank dem Alkoholfreien muss auch niemand mehr verzichten.
Das Grundnahrungsmittel Bier
Ironischerweise wurde der Bierbrau im großen Stil von Mönchen aufgezogen – mit dem Ziel, auf diesen Genuss während der Fastenzeit nicht mehr verzichten zu müssen. Die Regel lautete schließlich: „Was flüssig ist, bricht kein Fasten.“
Dem Hopfensmoothie werden zudem isotonische Eigenschaften zugesprochen. Vitaminreich und nährstoffreich ist er auch noch. Laut Wissenschaftlern fördert er zudem die seelische Gesundheit, indem Dopamin ausgeschüttet und die Geselligkeit gefördert wird. Das perfekte Rundumgetränk also – eben ein Grundnahrungsmittel.
Bier ist und bleibt bodenständig sowie ehrlich, gerade in Zeiten von angesagten grünen Smoothies, modischen Aperol Sprizz oder dem extravaganten Gin Basil Smash – trotz den üblichen Vorurteilen ausgehend von Bierbauch oder einer heruntergekommenen Bierkneipe.
Weniger ist bekanntlich mehr
Auch wenn Bier ein gesellschaftlicher, kultureller und gesundheitlicher Allrounder ist – es gilt die übliche Prämisse: die Menge macht es. Auch wenn der Bierkrug als Glücksbringer, Siegessäule oder Gesundheitsgarant gesehen wird. Manchmal ist weniger mehr. Auch wenn sich das Wasser zufällig in Bier verwandelt. Frei nach Aristoteles: „Wir sollten das Leben verlassen wie ein Bankett: weder durstig noch betrunken.“
Denn wenn die Grenze des Ethanols erstmals überschritten ist, arbeiten die positiven Eigenschaften rückwirkend: So wird aus Glückseligkeit Gewalt, aus Sorglosigkeit Suchtverhalten und aus Freiheit Frust. Doch klar ist trotzdem: Bier löscht mehr als nur den Durst. Zum Wohl!