Hannah Schedler

Stress vor Klausuren, Korrekturen bis tief in die Morgenstunden hinein oder eine Klasse von möglicherweise lauten und unkonzentrierten Schülern: mit solchen Herausforderungen haben Lehrer zu tun. Anders war es lange Zeit bei Uwe Becker, denn er war zunächst zwölf Jahre lang Militärpfarrer bei der Bundeswehr, bevor er 2016 ans Lehrerpult der kaufmännischen Schulen und des Fürstenberg-Gymnasiums in Donaueschingen wechselte. Doch wie kam es dazu?

„Meinen Glauben fand ich während meines Konfirmandenunterrichts. Davor hatte ich nicht viel mit Religion am Hut“, sagt der 59-Jährige. Er habe als Jugendlicher den Sinn des Lebens gesucht und damals keine Antwort auf diese Frage gefunden. „Die Beziehung zu Gott hat mir damals Zuflucht gegeben. Nun begleitet mich mein Glaube durch das Leben“, sagt Becker.

Deswegen studierte er von 1980 bis 1987 Theologie in Karlsruhe. Im Rahmen des Vikariats – der praktischen Vorbereitung auf den Beruf des Pfarrers – kam er für jeweils ein Jahr in die Gemeinden in Furtwangen und Bad Dürrheim. Ab 1991 war Becker Pfarrer in Engen. „Dort kam ich auch schnell in Kontakt mit der Feuerwehr“, wodurch sich Becker 1994 zum Fachberater der Seelsorge weiterbildete: „Ich war bei einem der ersten Kurse in Baden-Württemberg dabei“, erinnert er sich. Denn die Zeit bei der Feuerwehr sei prägend gewesen, vor allem der Umgang mit dem Tod und Verletzten. „Der barmherzige Samariter war mein Vorbild. Als Pfarrer konnte ich nicht an Verletzen vorbeilaufen“, sagt er. Ab diesem Zeitpunkt hatte Becker seine Berufung gefunden: um Menschen in Not wollte er sich kümmern.

In Tarnfarben und Militärkleidung: Uwe Becker vor einer Fahrt in die Innenstadt von Kunduz, Afghanistan.
In Tarnfarben und Militärkleidung: Uwe Becker vor einer Fahrt in die Innenstadt von Kunduz, Afghanistan. | Bild: privat

In Deutschland war die Seelsorge damals kaum ausgebaut: „Deswegen bin ich 2001 für drei Monate in die USA geflogen, um mich auch im Krisenmanagement ausbilden zu lassen. In Deutschland gab es das noch nicht“, so Becker. Ziel war der Weltkongress für Stress-, Trauma- und Belastungsstörungen in Baltimore.

Ein Tag vor seinem Flug sagte der Anbieter seiner Bleibe in den Vereinigten Staaten aufgrund eines Herzinfarktes ab. Becker ist trotzdem geflogen, denn: „Ich hatte das Gefühl, Gott schickt mich.“ Im Flugzeug habe er dann gebetet. „Ich lernte eine Frau kennen; bei ihr durfte ich dann erst mal übernachten“, schildert er die Situation.

Gebetet habe er auch während der Zugfahrt zum Kongress. Dabei lernte er ebenfalls eine Frau kennen, bei der Becker übernachten durfte. „Es stellte sich sogar heraus, dass diese Frau mit dem Ausrichter des Kongresses befreundet war.“ An Zufälle glaubt Becker nicht mehr: „Da ist einfach zu viel passiert.“

Zurück in Deutschland arbeitete Becker als Notfallseelsorger für Polizei, Feuerwehr und Schulen im Hegau. Becker erinnert sich noch gut an das Flugzeug-Unglück 2002 in Überlingen. Aufgrund von Personalmangel war der Fluglotse nicht am Arbeitsplatz; zwei Maschinen mit demselben Kurs sind kollidiert. 71 meist junge Menschen starben. Die Zürcher Seelsorge habe Kontakt mit Becker aufgenommen: „Ein Mann wollte die Absturzstelle besichtigen; er hatte alles verloren: seine Frau und Kinder.“ Becker habe ihn begleitet und ihm Beistand geleistet. Der Mann habe später den verantwortlichen Fluglotsen umgebracht. Becker unterstützte 2003 auch Schulen rund um Lindau, denn ein Regionalzug mit Schülern war dort verunglückt.

Nur einmal trägt Uwe Becker ein Talar, die übliche Kleidung eines Pfarrers: während einer Konfirmation von deutschen Konfirmanden in ...
Nur einmal trägt Uwe Becker ein Talar, die übliche Kleidung eines Pfarrers: während einer Konfirmation von deutschen Konfirmanden in Fort Monroe, Virginia. | Bild: privat

Zu dieser Zeit wurde in Immendingen ein Militärpfarrer gesucht. „Ich habe für einen neuen Weg gebetet und ich hatte das Gefühl, Gott schickt mich“, so Becker. Er wurde angesprochen, ob er Interesse habe, denn „die Auslandseinsätze verlangen viel von der Psyche der Soldaten ab“. Zudem habe Becker bereits Erfahrungen mit kritischen Situation gesammelt: „Als Pfarrer ist Leben und Tod eng miteinander verbunden.“

Zuständig war Becker für die Stützpunkte Donaueschingen, Immendingen und Pfullendorf. Becker begleitete zwischen 2006 und 2010 während fünf Einsätzen die Bundeswehr in Afghanistan, in Kundus und Feyzabad. „Als Pfarrer muss man keinen Zivildienst leisten; ich war auch nicht unbedingt fasziniert von Waffen, aber ich hatte das Gefühl, dass ich am richtigen Platz war“, sagt er. Die Einsätze seien sinnvoll gewesen, denn die Bundeswehr habe dort Aufbauarbeit geleistet, um das Land zu stabilisieren: „Die Armut dort zu sehen, das war ein prägendes Erlebnis; man hat gespürt, dass die Bevölkerung dankbar war.“

Doch es kam auch zu Zwischenfällen: das deutsche Lager wurde beschossen und angesprengt: „Die Einsätze sind nicht ohne Risiken, da wird man nachdenklich“, erklärt er. Becker begleitete auch Donaueschinger Angehörige im Rahmen einer Trauerreise nach Afghanistan – ein Soldat kam wegen eines Anschlags ums Leben.

Zuständig für 1500 deutsche Soldaten in den USA

„Meine Frau und ich hatten die Möglichkeit, von 2010 bis 2015 im Rahmen der Militärseelsorge in den Vereinigten Staaten zu leben“, sagt Becker. Das habe er dann auch gemacht. Seinen Dienstsitz hatte er in der Nähe von Washington, D.C.; er reiste aber durch das ganze Land, denn er war für 1500 deutsche Soldaten im Auslandseinsatz tätig.

Ein fremdes Land und Gepflogenheiten seien herausfordernd gewesen: „Amerikaner sehen zwar gleich aus wie wir, aber sie ticken anders.“ Dennoch habe er das Gefühl gehabt, es sei sein Weg. „Der Pfarrer ist für die Soldaten und deren Familien ein Stück Heimat und ein Anker.“ Taufen, Konfirmationen, Hochzeiten und Beerdigungen seien ein Teil der Arbeit gewesen. Gern denkt Becker an die Weih­nachts­gottesdienste: „Wir sind mit einem Auto voller deutschen Christstollen durch die USA gereist und haben gemeinsam mit den Soldaten und deutschen Familien Gottesdienste gefeiert.“

Vor dem Start einer Fahrradtour durch den Shenandoah-Nationalpark in Virginia.
Vor dem Start einer Fahrradtour durch den Shenandoah-Nationalpark in Virginia. | Bild: privat

Den Umgang mit Krisensituationen habe er in seinen Ausbildungen gelernt. „In Zeiten zwischen Leben und Tod stellt man sich essentielle Fragen, da hat mir mein Glaube geholfen“, sagt er. „Ich hatte das Gefühl, Gott ist bei mir und dieser Weg ist sein Wille für mich.“ Becker ergänzt mit einem Schmunzeln: „Das klingt jetzt aber sehr fromm.“

Arbeit mit jungen Menschen macht ihm Freude

Auf einmal war Uwe Becker Lehrer. „Als Militärpfarrer ist man Beamter auf Zeit; das sind maximal zwölf Jahre, die man dienen kann“, erklärt er. Anfang 2016 habe Becker ein weiteres Semester Theologie studiert, um „auf dem Laufenden zu bleiben“. Und er habe bereits nach der Konfirmation Jugendarbeit gemacht: „Es ist schön, mit jungen Menschen zusammenzuarbeiten.“ Deswegen unterrichte er in Donau­eschingen. Heute lebt Becker in Hausen vor Wald. An die kraftraubende Militärtätigkeit denke er aber gern zurück. „Der Schulunterricht macht mir schließlich auch Spaß“, sagt er. Und Gott habe immer den richtigen Weg für ihn.