„Wir werden weniger, älter und bunter“: Das ist die Zukunftsperspektive für den Schwarzwald-Baar-Kreis, wie sie Jürgen Stach knapp auf den Punkt bringt. Die Zahl der Einwohner und insbesondere der Altersaufbau der Bevölkerung wandeln sich markant. Der Sozialdezernent im Landratsamt umreißt damit den demografischen Wandel, also die laut Landrat Sven Hinterseh wichtigste strategische Herausforderung der kommenden Jahre für den Kreis. Dieser Wandel betrifft die Zukunft so ziemlich jeden gesellschaftlichen Bereich – Gesundheitsversorgung, Schulen, Familienmodelle, Wirtschaft und die ganz persönliche Lebensqualität. Der Landkreis verfolgt hier seit 2013 eine breit angelegte Strategie, um mögliche Folgen frühzeitig abfedern zu können.
- Weniger Einwohner: Seit 1999 gibt es im Schwarzwald-Baar-Kreis ein kontinuierliches Geburtendefizit. Es sterben also mehr Menschen, als im selben Jahr geboren werden. 1999 lag das Defizit noch bei 71 Geburten, es ist aber schnell dreistellig geworden. 2014 etwa fehlten 428 Geburten, um alle Sterbefälle desselben Jahres auszugleichen.
Geht man nur vom langjährigen Geburtendefizit aus, ist klar, dass die Bevölkerungszahl schrumpft. Das hat Folgen. Beispiel Bus- und Bahnangebote: „Der Nahverkehr finanziert sich heute hauptsächlich durch die Schülerverkehre“, sagt Jürgen Stach. Doch wie erhält man Buslinien, wenn mangels Schülern weniger Schulbusverbindungen gebraucht werden? In seiner Demografiestrategie setzt der Kreis auf eine größere Vielfalt von Mobilitätsangeboten: Rufbusse, Mitfahr-Gelegenheiten, von Bürgern betriebene Bus-Angebote zum Beispiel.
Beispiel Infrastruktur: Lohnt sich noch der Betrieb eines Einkaufsmarktes, einer Apotheke, einer Arztpraxis, wenn vor Ort mit der Einwohnerzahl auch die Nachfrage zurückgeht? Diese Frage stellt sich insbesondere in den ländlichen Kreisgebieten – die aber auch touristisch sehr attraktiv sind. Das ist wiederum einer der Ansatzpunkte der Demografiestrategie: Ein Ausbau touristischer Angebote soll zusätzliche Gäste anlocken, die wiederum etwa als Kunden in örtlichen Geschäften mithelfen, die Infrastruktur zu stärken.
- Höherer Altersdurchschnitt: Die Menschen leben erfreulicherweise immer länger dank leistungsfähiger Medizin und insgesamt besserer Arbeits- und Lebensbedingungen. Der Anteil der Älteren an der Bevölkerung steigt stetig an. 1995 betrug das Durchschnittsalter der Kreisbevölkerung noch 40 Jahre; es lebten 1123 Menschen im Alter von 90 und mehr Jahren im Kreis. 2014 ist man bei 44,5 Jahren Altersdurchschnitt angelangt – und die Zahl der 90-Jährigen und darüber erreicht 1915 Menschen. Seit 2009 leben im Kreis mehr über 65-Jährige als unter 20-Jährige.
Auch das hat Folgen. Beispiel Wohnen: Die kreisweite Strategie will neue Wohnformen etwa in Senioren-Wohngemeinschaften sowie neue Betreuungsmöglichkeiten für Pflegebedürftige fördern. Das soll helfen, die nachlassende Unterstützungsfunktion der Familien abzufedern, denn immer öfter leben Familienangehörige weit entfernt von einander.
- Buntere Gesellschaft: Das dürfte der spannendste Trend sein. Er könnte der Demografie zumindest in Teilen eine neue Tendenz geben. Denn: Die Zahl der Ein- und Zuwanderer wächst. Das hat nicht nur mit der Flüchtlingskrise zu tun (siehe Interview rechts). Nach knapp zehn Jahren stetigem Minus wächst die Einwohnerzahl im Schwarzwald-Baar-Kreis seit 2012 – zwar nur leicht, aber immerhin. Im Jahr 2011 war der Tiefpunkt mit einem Saldo von knapp 204¦000 Menschen erreicht, dann ergaben sich dreistellige Zuwächse, zuletzt 2014 um 668 Menschen. Damit wurde eine Zahl von wieder mehr als 206¦000 Einwohnern erreicht.
Damit wird die Vielfalt zunehmen – mit Blick auf Kulturen, Religionen und Muttersprachen. Die Zuwanderung sehen Politik, Verwaltung und Wirtschaft vor allem als Chance. In der Demografiestrategie hat sich der Kreis die Intergration von Migranten als eines der großen Ziele gesetzt. Ob die Maßnahmen, die das Einleben der Neuankömmlinge fördern sollen, diese am Ende zum dauerhaften Hierblieben bewegen werden, ist freilich kaum vorherzusagen.
. Interaktive Grafiken zur Bevölkerungsentwicklung sowie zur Zu- und Abwanderung im Kreis:www.suedkurier.de/plus
Landes-Statistiken
Das Statistische Landesamt Baden-Württemberg ist eine Landesoberbehörde. Es ist dem Ministerium für Finanzen und Wirtschaft untergeordnet. Sitz der Einrichtung ist in Stuttgart. Fast 600 Mitarbeiter arbeiten hier. Präsidentin ist seit 2007 Carmina Brenner. Ihr unterstellt sind ein Grundsatzreferat und sechs Abteilungen mit insgesamt 23 Referaten. Die Arbeit der amtlichen Statistik folgt den Grundsätzen der Neutralität, Objektivität und wissenschaftlichen Unabhängigkeit. Das Statistische Landesamt handelt im gesetzlichen Auftrag.
Warum Zuwanderung so vieles verändert
Werner Brachat-Schwarz, Referatsleiter für Bevölkerungs- und Gesundheitsstatistiken im Statistischen Landesamt, erläutert die Vorausrechnungen zur Bevölkerungsentwicklung
Herr Brachat-Schwarz, woher kommen die großen Unterschiede bei den Bevölkerungsprognosen für den Schwarzwald-Baar-Kreis?Es gibt unterschiedliche Modellvarianten. Die einfachste Vorgehensweise berücksichtigt nur die Tendenz bei den Geburten und Sterbefällen der vergangenen Jahre. Damit wird dann hochgerechnet, wie sich die Einwohnerzahl aus dem Bestand heraus entwickeln wird. Das ist insbesondere für Planungszwecke auf Ebene von Städten und Gemeinden schon hilfreich.
Nun bleiben Menschen ja nicht immer am selben Ort – manche Leute ziehen auch weg, andere wandern zu.Genau. Diese Wanderungsgewinne und -verluste werden von den eigentlichen Prognose-Modellen mit berücksichtigt. Diese brauchen aber eine größere Datenbasis, weil das Wanderungsgeschehen sehr komplex ist und sich im Zeitablauf stetig ändert. Um dies zu berücksichtigen, führen wir im Abstand von zwei bis drei Jahren neue Vorausrechnungen durch. Eine solche Neuberechnung war im vergangenen Herbst wegen des Themas Flüchtlinge besonders wichtig: Da wandelte sich die Lage ja abrupt. Nun kommen viel weniger Flüchtlinge bei uns an als noch Ende 2015. Aber niemand kann sagen, ob und wie lange es dabei bleibt.
Für den Schwarzwald-Baar-Kreis ergibt sich, dass der zuvor anhaltende Bevölkerungsschwund seit 2011 gestoppt ist. Und dass seither die Einwohnerzahl wieder anwächst. Liegt das nur an der Zuwanderung?Ja, das ist ausschließlich auf Wanderungsgewinne zurückzuführen. Im Schwarzwald-Baar-Kreis ist die Einwohnerzahl zwischen 2002 und 2011 stetig zurückgegangen und steigt seither wieder an. Dabei spielt in der Statistik zwar auch der Zensus von 2011 eine Rolle, nach dem die Einwohnerzahl des Schwarzwald-Baar-Kreises – wie auch der meisten anderen Kreise Baden-Württembergs – nach unten korrigiert wurde. Wichtiger aber ist: Wir haben generell seit Jahren ein Geburtendefizit im Landkreis – die Zahl der Gestorbenen liegt also kontinuierlich über der Zahl der Neugeborenen. Es leben aber – wie gesagt – aufgrund der gestiegenen Zuwanderung trotzdem immer mehr Menschen hier.
Die Flüchtlinge tragen sicherlich zum Wachstumstrend bei. Aber wir gehen davon aus, dass nicht alle Menschen beispielsweise aus Syrien hier bleiben werden, wenn der Bürgerkrieg einmal beendet sein wird. Viele werden wohl wieder in ihre Heimat zurückkehren. Diese Wahrscheinlichkeit haben wir übrigens in unsere Bevölkerungsprognosen schon einberechnet, vor allem ausgehend von den Erfahrungen mit den Bürgerkriegsflüchtlingen aus Ex-Jugoslawien in den 90er Jahren.
In den Prognosen ist also eine wahrscheinliche Rückkehr vieler Syrer schon einkalkuliert – und dennoch sagen die Prognosen einen Bevölkerungszuwachs durch Zuwanderung für den Schwarzwald-Baar-Kreis voraus. Woher kommen diese Neubürger?Die meisten kommen aus der Europäischen Union. Rund zwei Drittel aller Wanderungsgewinne im Land – die beispielsweise 2014 insgesamt fast 90000 Menschen betrugen – sind auf EU-Zuwanderung zurückzuführen. Das Gros der Immigranten sind Europäer, zum Beispiel Rumänen, Italiener und Kroaten. Aus Europa siedeln sich bei uns also insgesamt weit mehr Menschen an als aus dem Nahen Osten.
Fragen: Jürgen Dreher