Wie lebt es sich mit einem Elektroauto im Schwarzwald? Das ist die große Frage, die ich in einem Praxistest ergründen möchte. Immer wieder bin ich im Vorfeld auf skeptische Stimmen und hämische Kommentare gestoßen. Im Grunde kreisen die Bedenken immer um dieselben Fragen: Reichweite, Ladeinfrastruktur, Alltagstauglichkeit, Technik und Kosten – das alles vor dem Hintergrund der besonderen Anforderungen in unserer Region.

Harte Bedingungen im Schwarzwald
Denn während die Anforderungen in Großstädten für E-Autos vergleichsweise einfach sind, müssen Fahrzeuge bei uns auf dem Land höheren Anforderungen im Hinblick auf Reichweite und Straßenverhältnisse genügen. So müssen wir im Schwarzwald-Baar-Kreis größere Strecken zurücklegen. Dabei geht es oft auch auf die Autobahn in Richtung Stuttgart oder Bodensee. Zudem ist der Schwarzwald ein Mittelgebirge – irgendwo geht es immer bergauf.
Also mache ich mich auf, diesen Bedenken auf den Grund zu gehen. Dazu leihe ich mir ein Testfahrzeug des japanischen Herstellers Nissan. Für den Test stellt Nissan das Fahrzeug dem SÜDKURIER unentgeltlich zur Verfügung. Der Leaf ist das meistverkaufte Elektroauto der Welt. Mehr als 300 000 Exemplare des Kompaktwagens wurden bisher weltweit verkauft. Das sind fast sechs mal so viele E-Fahrzeuge wie in Deutschland überhaupt zugelassen sind und einer der Gründe, warum an dieser Stelle kein deutsches Auto getestet wird. In der Zwischenzeit bleibt mein innig geliebter BMW, der von einem in Verruf geratenen Euro5-Dieselmotor angetrieben wird, schweren Herzens in der Tiefgarage – dient allerdings aufgrund seiner fast identischen Fahrleistungen ab und an als Vergleich.

Ein paar Kennzahlen vorab: Der Nissan Leaf ist 4,49 Meter lang. Er wird von einem 150 PS und 320 Newtonmeter Drehmoment starken Elektromotor angetrieben hat ein stufenloses Automatikgetriebe. 100 km/h schafft der Leaf aus dem Stand in 7,9 Sekunden, die Höchstgeschwindigkeit wird bei 144 km/h abgeregelt. Die offizielle Reichweite der 40 Kilowattstunden großen Batterie beträgt nach dem neuen WLTP-Testzyklus 270 bis 285 Kilometer. Den Leaf gibt es ab 31 950 Euro zu kaufen. Der Testwagen mit Vollausstattung hat einen Listenpreis von 42 100 Euro.
Leistung kostet Reichweite
Die zwei Wochen mit dem Nissan Leaf beginnen an einem Montagabend im September mit einem fast leeren Akku vor der SÜDKURIER-Redaktion in der Villinger Bickenstraße. Nach einer kurzen Einweisung führt mich die erste Fahrt in den Feierabend und zu meinem Wohnort in St. Georgen. 24 Kilometer Reichweite verspricht mir das Display im Armaturenbrett noch verbunden mit der Aufforderung, den Wagen aufzuladen. Nach Hause sind es exakt 17 Kilometer – und 150 Höhenmeter bergauf.

Die ersten Meter im Elektroauto sind ungewohnt. Völlig lautlos setzt sich der Leaf in Bewegung. Die einzigen Geräusche kommen vom Kopfsteinpflaster in der Bärengasse. Ansonsten fährt das Auto sich wie jedes Automatikauto. Gleich auf den ersten Metern läuft ein junger Mann mit Kopfhörern auf die Straße und es wird deutlich: Der Elektroautofahrer muss viel stärker auf Fußgänger und Radfahrer achten. Zwar gibt der Leaf bis 30 km/h einen Pfeifton von sich. Gegen die Beats aus dem Kopfhörer kommt dieser jedoch nicht an.

Nach dem ersten Schrecken macht der Leaf jedoch unerwartet viel Freude. Die 150 PS Leistung fühlen sich durch das unerwartete Drehmoment deutlich potenter an – an der Ampel lässt der kleine Leaf auf den ersten Metern selbst Verbrenner mit der doppelten Leistung stehen. Aber: Wie bei einem Benzin- oder Dieselauto auch kostet das Beschleunigen Energie. Kurz vor Mönchweiler springt die Reichweitenanzeige auf Null und mein Ruhepuls in die Höhe. Die erste Lektion beim Umstieg von Diesel auf Elektro lautet: Ein E-Auto muss anders gefahren werden als ein Verbrenner.

Ein Auto fast wie jedes andere auch
Der Nissan Leaf macht einen soliden Eindruck. Von außen deuten nur ein paar blaue Leisten und das E-Nummernschild auf den alternativen Antrieb hin. Die Verarbeitung ist für ein Mittelklasseauto okay, dürfte mit Blick auf den Listenpreis von gut 42 000 Euro jedoch besser sein. So wackelt die Mittelkonsole, wenn man sie mit dem Knie berührt.
Lob gibt es für die hervorragenden LED-Scheinwerfer und das informative Display hinter dem Lenkrad, das vielerlei Daten rund um das Auto liefert. Auch die Sicherheitsausstattung und der teilautonome Fahrassistent sind spitze. Scheinwerfer und Assistenzsysteme können mit denen der deutschen Premiumhersteller ohne Weiteres mithalten. Zudem ist der Elektromotor mit seinem furiosen Antritt ein großer Sympathieträger.
Besonders schön an kalten Schwarzwaldmorgen: Die Heizung ist nicht auf die Abwärme des Motors angewiesen und sorgt deshalb binnen einer Minute für ein mollig warmes Auto. Die Klimaanlage kostet übrigens wie beim Verbrenner etwa drei Prozent Reichweite. Eine schwache Vorstellung geben die Bremsen ab. Gut, dass die Bremsenergierückgewinnung das Auto bergab zusätzlich stark einbremst. Eine Katastrophe ist die Grafik des Navigationssystems. Die Schrift der Karte ist so klein, dass man sie vor allem nachts während der Fahrt kaum entziffern kann. Dennoch ist der Leaf ein sympathisches und gut durchdachtes Auto.

Haben Sie Fragen?
Wie lebt es sich mit einem Elektroauto im ländlichen Raum? Dazu war SÜDKURIER-Volontär Kevin Rodgers zwei Wochen lang mit einem rein elektrisch angetriebenen Nissan Leaf im gesamten Schwarzwald-Baar-Kreis und darüber hinaus unterwegs. 1500 Kilometer hat er dabei zurückgelegt. Alltagstauglichkeit, Reichweite, Ladeinfrastruktur, Langstrecken, Bergfahrten und Kosten – diese Fragen werden in einer Serie zur Elektromobilität in den kommenden Wochen beantwortet. Wenn Sie weitere Fragen zum Thema Elektromobilität haben, können Sie diese gerne per Mail an kevin.rodgers@suedkurier.de
direkt an den Autor richten. Im dritten Teil der Serie wird es um die Reichweite des Autos gehen. (kbr)