Yatso muss sich noch überlegen, ob er heute Besucher empfangen möchte. Ein skeptischer Blick aus dunklen Augen, der Bulle bleibt lieber erst einmal auf Abstand. „Am besten, man setzt sich einfach hin“, sagt Stephan Peltzer, rupft ein paar Büschel Gras von der Weide und nimmt auf der Wiese Platz.

Wagyu-Kuh Mitsa auf der Weide der Familie Haas in Brigach. Die Tiere gelten als gutmütig – und sind neugierig, wenn Besuch kommt.
Wagyu-Kuh Mitsa auf der Weide der Familie Haas in Brigach. Die Tiere gelten als gutmütig – und sind neugierig, wenn Besuch kommt. | Bild: Nathalie Göbel

Wenig später überwiegt bei Yatso, dem sieben Jahre alten Wagyu-Rind, die Neugier. Yatso lässt sich das Gras schmecken, streicheln und die Fliegen vom Fell klopfen.

Hier, auf der Weide der Familie Haas im St. Georgener Ortsteil Brigach steht ein Teil der Wagyus von Stephan Peltzer. Jene Rinder, deren Fleisch zu den teuersten Sorten der Welt gehört. Insgesamt besitzt er etwa 70 Tiere, verteilt auf mehrere Höfe. Sieben bis acht davon werden pro Jahr geschlachtet.

Vom Start-up-Gründer zum Rinderzüchter

Hätte ihm jemand vor einigen Jahren gesagt, dass er sein berufliches Glück eines Tages mit der Vermarktung edlen japanischen Rindfleischs finden würde – Stephan Peltzer hätte wohl ungläubig den Kopf geschüttelt.

Rückblende: Mit zwölf Jahren lernt der gebürtige Villinger das Programmieren, mit 16 verkauft er seine erste Software. Noch als Schüler richtet er Netzwerke ein, programmiert Webseiten und baut während seines Studiums der Wirtschaftsinformatik eine Agentur auf.

2003 geht Yatego an den Start

2003 gründet er mit einem Partner im St. Georgener Technologiezentrum das Online-Kaufhaus Yatego, in einer Zeit, als Amazon noch nicht viel mehr als ein Online-Buchhändler ist.

Japanische Rinder vor Schwarzwälder Kulisse. Stephan Peltzer hat mit der Wagyus neue berufliche Erfüllung gefunden.
Japanische Rinder vor Schwarzwälder Kulisse. Stephan Peltzer hat mit der Wagyus neue berufliche Erfüllung gefunden. | Bild: Nathalie Göbel

Mit Yatego habe er sehr viel Geld verdient, blickt Stephan Peltzer zurück. Die Firma wuchs rasant und beschäftigte zu besten Zeiten 120 Menschen. In 12.000 Shops waren fünf Millionen Produkte gelistet.

Excel-Tabellen bringen keine Erfüllung

Konnte sich der begeisterte Programmierer anfangs noch in seiner Welt der Einsen und Nullen austoben (“Wir haben damals sogar die Server selbst gebaut“), hielten mit dem Firmenwachstum Stress, Druck und Excel-Tabellen Einzug in seinen Alltag. Selbst im Urlaub sei der Laptop stets im Gepäck gewesen: „Das war nicht die Erfüllung. Irgendwann war ich ausgebrannt, wollte das alles nicht mehr.“

Mit dem Verkauf endet der Druck

Mit dem Verkauf von Yatego im Jahr 2011 sei der Druck abgefallen, blickt Stephan Peltzer zurück. 2013 verließ er das Unternehmen endgültig. Mit dem Geld aus dem Firmenverkauf erwarb er ein Bauernhaus in Brigach, Baujahr 1906, das er anschließend sanierte und umbaute.

„Plötzlich wollte keiner mehr etwas von mir. Niemand rief an und ich musste auch nirgendwohin gehen.“
Stephan Peltzer

„Ich habe eineinhalb Jahre auf der Baustelle gelebt und mir die Hände dreckig gemacht. Das war genau das richtige“, erinnert er sich an diese Zeit zurück.

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Auf das Ende der Bauarbeiten folgte die Ernüchterung: „Ich fiel in ein Loch. Plötzlich wollte keiner mehr etwas von mir. Niemand rief an und ich musste auch nirgendwohin gehen.“ Und da waren immer noch die fünf Hektar Wiese rund um den Hof, mit denen man eigentlich etwas Sinnvolles anstellen könnte. Zum Beispiel Rinder halten und deren Fleisch vermarkten.

Katja und Stephan Peltzer in ihrem umgebauten Bauernhaus, Baujahr 1906.
Katja und Stephan Peltzer in ihrem umgebauten Bauernhaus, Baujahr 1906. | Bild: Nathalie Göbel

Eine besondere Rasse sollte es sein, wenn es schon nur fünf Tiere wären, so Peltzers Überlegung: Wagyus. Fünf Tiere seien ihm für den Aufwand aber auch zu wenig erschienen. Mit sechs Rindern – zwei Kühen, einem Zuchtbullen und drei kastrierten Männchen – begann letztlich die Zucht.

Da passte es gerade, dass Petra und Wolfram Haas aus Brigach die Milchviehhaltung auf ihrem Hof aufgegeben hatten. „Unsere Melktechnik war veraltet und wir hätten auch im Stall investieren müssen“, erinnert sich Wolfram Haas.

Wolfram Haas im Mai 2022 inmitten der Kuhherde. Die Landwirtsfamilie aus Brigach hat die Milchviehhaltung aufgegeben. Auf ihren Flächen ...
Wolfram Haas im Mai 2022 inmitten der Kuhherde. Die Landwirtsfamilie aus Brigach hat die Milchviehhaltung aufgegeben. Auf ihren Flächen stehen nun Rinder von Stephan Peltzer. | Bild: Roland Sprich

Legehennen sichern den Lebensunterhalt

Damit das wiederum wirtschaftlich darstellbar gewesen wäre, hätten sie den Milchviehbestand auf etwa 50 Tiere erhöhen müssen, wo zuvor nur 15 bis 20 Tiere gehalten wurden. So sehr vergrößern wollte die Landwirtsfamilie den Milchviehbestand aber auch nicht, zumal sie ihren Lebensunterhalt in erster Linie mit ihrem Geflügelhof verdient.

Rinder mähen zuverlässig

Als Stephan Peltzer auf ihn zukommt und anfragt, ob er nicht seine Wagyu-Rinder in Pension nehmen würde, muss Haas nicht lange überlegen. „Wir hatten tatsächlich die Idee, Rinder zu mästen, weil wir die Flächen haben. Die extreme Hanglage bietet sich hervorragend dafür an, von Tieren abgeweidet zu werden“, sagt Wolfram Haas. Eine Win-Win-Situation für ihn und Stephan Peltzer.

Die große Portraitaufnahme von Ruko hängt im Haus der Peltzers. Das Wagyurind war eines der ersten aus Stephan Peltzers Herde. Auf dem ...
Die große Portraitaufnahme von Ruko hängt im Haus der Peltzers. Das Wagyurind war eines der ersten aus Stephan Peltzers Herde. Auf dem Wehrle-Bild heißt Ruko übrigens „Ulrich“ – weil die Tiere Namen in alphabetischer Reihenfolge bekamen. | Bild: Nathalie Göbel

Mittlerweile bekommt Peltzer schon Anfragen von Landwirten, die sich der Wagyu-Vermarktung anschließen möchten. Er und seine Frau kümmern sich um den Webshop und die Vermarktung des Fleischs, das tiefgekühlt per Kurier versandt wird. Die Landwirte kümmern sich gegen Bezahlung um die Tiere.

Rukos Schädel hat Stephan Peltzer aufgehoben. Rukos Schlachtung war die erste, die Peltzer mit erlebt hat. Ein emotional aufwühlender ...
Rukos Schädel hat Stephan Peltzer aufgehoben. Rukos Schlachtung war die erste, die Peltzer mit erlebt hat. Ein emotional aufwühlender Moment, erinnert er sich. | Bild: Nathalie Göbel

Eines ist Stephan Peltzer wichtig: Er ist bei jeder Schlachtung dabei. Das sei er den Tieren schuldig. Die erste Schlachtung, bei der mit dem Ochsen Ruko eines der ersten Tiere der Herde getötet wurde, sei ihm und seiner Frau sehr nahe gegangen. Ein Metzger der Überlinger Fairfleisch GmbH kommt dazu auf den jeweiligen Hof. Transportstress zu einem Schlachthaus bleibt den Wagyu-Rindern erspart.

Geschäftsmann mit Sinn stiftender Tätigkeit

Ganz aus dem Geschäftsmann-Modus kommt Stephan Peltzer nicht heraus. „Schon jetzt zeichnet sich ab, dass ich wieder zunehmend der Manager werde“, sagt der 46-Jährige mit Blick auf Webshop und Vermarktung. Mit einem Unterschied: „Früher habe ich den Leuten dabei geholfen, besser shoppen zu gehen. Jetzt habe ich eine sinnvolle Tätigkeit.“