Im vergangenen Jahr sind in Deutschland 23 Kinder unter zehn Jahren ertrunken. Immer wieder fällt dabei das Stichwort „stilles Ertrinken“. Was hat es damit auf sich?

Bei Kindern geht Ertrinken meist so leise vonstatten, dass andere es nicht mitbekommen. Bei einem Erwachsenen sind womöglich noch Blubbergeräusche zu hören. Das bekommt man aber auch nicht mit, wenn es rundherum laut ist. Bei kleinen Kindern bindet das verzweifelte Strampeln so viel Kraft, dass sie sich nicht mehr oben halten können, die schreien nicht um Hilfe. Auch junge Männer ertrinken übrigens oft, vor allem, wenn Alkohol im Spiel ist und sie sich beweisen wollen. Wenn sie dann beispielsweise einen Wadenkrampf bekommen, kriegen sie Panik, versuchen, sich mit Strampeln oben zu halten, aber das verbraucht mehr Energie, als dass es etwas nutzt. Wenn man dann noch Wasser schluckt, wächst die Panik, die Kraft schwindet – und man geht unter.

Wenn Sie sich im Schwimmbad umsehen: Wie viele Leute können wirklich schwimmen?

Ich würde sagen, von den älteren Leuten können es mehr als von den Jüngeren. Mal ins Spaßbad gehen und die Rutschen runtersausen ist eben nicht „Schwimmen“. Wenn ich an die Grundschule meiner Kinder denke: Da konnten in der dritten und vierten Klasse etwa die Hälfte der Kinder nicht schwimmen. Meine Frau hat zuletzt zusammen mit zwei weiteren Trainerinnen Intensivkurse gegeben und wir konnten in knapp zwei Wochen 40 Seepferdchen abnehmen. Ein ganz großes Problem ist, dass letztes Jahr viele Kurse ausgefallen sind und zugleich die Trainingsmöglichkeiten fehlen, weil Bäder schließen. In Schwenningen beispielsweise wurde schon vor Jahren das Bad der Neckarschule zugeschüttet, ebenso das Außenbecken im Neckarbad. Auch in den Schulen findet Schwimmunterricht kaum noch statt. Wir erleben fünfte Klassen, in denen ein Drittel der Kinder nicht schwimmen kann.

Manja und Johannes Guhl in ihrem Element: im Lehrschwimmbad der Schwenninger Friedenschule. Manja Guhl ist bei der DLRG als Trainerin, ...
Manja und Johannes Guhl in ihrem Element: im Lehrschwimmbad der Schwenninger Friedenschule. Manja Guhl ist bei der DLRG als Trainerin, ihr Mann als Ausbilder und Bezirksarzt aktiv. | Bild: Martina Brinkmann



Was ist der gefährlichste Irrtum, dem Eltern aufsitzen können?

Dass Schwimmhilfen aus dem Supermarkt, seien es nun Schwimmflügel, Reifen oder Ähnliches, Kinder tatsächlich sicher schwimmen lassen. Auf der Verpackung steht im Kleingedruckten zwar immer, dass man die Kinder dennoch beaufsichtigen muss. Aber viele Eltern glauben trotzdem, dass die Kinder nicht untergehen. Wenn du von der Luftmatratze rutschst, fällst du eben trotzdem ins Wasser. Und es reicht nicht, zweimal ins Freibad zu gehen und zu glauben, das Kind sei nun Wasser gewöhnt und könne schwimmen.

Das könnte Sie auch interessieren

Wo genau liegt bei Schwimmhilfen das Problem?

Sie halten einen nur bedingt über Wasser. Der Schwimmflügel kann außerdem vom Arm rutschen, kaputt gehen. Die Schwimmhilfen, die der Schwimmclub oder auch wir in der DLRG benutzen, sind aus Schaumstoff: Schwimmbretter oder die Pullboys, eine Trainingshilfe, die man sich zwischen die Beine klemmt, um die Armtechnik zu trainieren. Aus diesen Schwimmhilfen entweicht keine Luft und sie gehen auch nicht unter. Das Allerwichtigste ist und bleibt, dass Eltern die Kinder am Wasser nicht unbeaufsichtigt lassen, vor allem nicht an Seen. Erst kürzlich hatten wir am Kirnbergsee die Situation, dass vier- oder fünfjährige Kinder mit Schwimmflügeln an den Armen ins Wasser geschickt wurden, während die Erwachsenen am Grill standen. Ein Wachgänger der DLRG hat die Eltern darauf aufmerksam gemacht. Einsichtig waren die wenigsten.

Wie lange haben Nichtschwimmer eine realistische Chance zu überleben? Und was sind dann die Folgen?

Wer einen Ertrinkungsunfall überlebt, trägt häufig schwere Behinderungen davon, weil das Gehirn zu lange nicht mit Sauerstoff versorgt war. Nach sieben bis acht Minuten nimmt die Wahrscheinlichkeit des Überlebens rapide ab. Je länger die Person unter Wasser war, umso größer sind die Schäden. Und je wärmer das Wasser, umso schneller geht es. In einem kühlen Bergsee stehen die Chancen weitaus besser, denn in der Kälte werden die Körperfunktionen heruntergefahren. Einen Unterkühlten versucht man sehr lange zu reanimieren. Wir haben mal ein Kind vier Stunden lang erfolgreich reanimiert – es hat keinen bleibenden Schaden davongetragen.

Was raten Sie Eltern, die verzweifelt auf der Suche nach einem Schwimmkurs sind?

Rundum alles abklappern, es immer wieder probieren und nach freien Plätzen fragen. Und versuchen, das Kind ans Wasser zu gewöhnen. Ganz wichtig: Das Seepferdchen macht aus einem Kind noch keinen sicheren Schwimmer. Von diesem sprechen wir ab dem bronzenen Schwimmabzeichen.