Andre Rempel macht eine erschreckende Beobachtung: Immer öfters werden Menschen mit russischen Wurzeln in den sozialen Netzwerken angegangen, gar bedroht. Der Zimmermann, der in Donaueschingen lebt, aber in der Region bis hinein in die Schweiz arbeitet, ruft jetzt dazu auf, dagegen vorzugehen: „Wir müssen unser gesellschaftliches Miteinander erhalten.“
Rempel, der ein eigenes kleines Unternehmen führt, zeigt eine Mitteilung auf seinem Handy vor. Sie ist von Beleidigungen gespickt, es ist davon die Rede, dass Russen aus Deutschland abhauen sollen. Damit sind Menschen wie er gemeint. Er lacht auf: „Ich bin Deutscher und zahle hier meine Steuern.“
Manchmal kann Rempel es nicht fassen. Er lebt schon so lange in der Region, zuerst in Trossingen, dann in Donaueschingen. Als Fünfjähriger ist er mit seinen Eltern aus Kasachstan hierher gekommen – wie so viele andere Familien.
In Deutschland leben viele russisch-ukrainische Paare, sein bester Freund sei mit einer Ukrainerin verheiratet. Sie jetzt alle „über einen Kamm zu scheren und zu verunglimpfen“, sei kaum nachzuvollziehen. Die Beschimpfungen seien nicht akzeptabel und treffen dann auch noch die Falschen.
Kinder besonders betroffen
Viele der Familien mit russischen Wurzeln schauen mit Sorge auf den Schulbeginn am Montag. Es sei leider nicht auszuschließen, dass ihre Kinder dann mit abfälligen Sprüchen konfrontiert werden. Das beunruhigt die meisten seiner Freunde und Bekannte enorm.
Hier hofft Rempel auf ein sensibles Vorgehen von Lehrern, Schulleitern, aber auch den Mitschülern, damit die Debatten nicht völlig aus dem Ruder laufen. Schon jetzt komme es auf Spielplätzen und bei öffentlichen Treffpunkten unter Jugendlichen zu teils unschönen Diskussionen, wenn das Thema auf den russischen Einmarsch in die Ukraine kommt.
Schlimme Worte auf dem Spielplatz
Rempel hat von einem Arbeitskollegen erfahren, mit dem er zusammenarbeitet und der mit seiner Familie in Waldshut-Tiengen lebt. Der Mann war zuletzt sehr niedergeschlagen, worauf ihn Rempel nach seinen Sorgen fragte. Da brach es aus dem Kollegen heraus. Seine Kinder würden selbst vom Fußballspielen ausgeschlossen.
Auf dem Spielplatz heißt es dann: „Mit Russen spielen wir nicht.“ Für Rempel waren nach eigenen Worten diese unter die Haut gehenden Schilderungen der Auslöser, nun selbst aktiv zu werden.
„Wir müssen unser gesellschaftliches Miteinander erhalten.“Andre Rempel, Unternehmer
Der Unternehmer selbst hat ebenfalls schon mit seinen beiden Töchtern gesprochen. Sie sind hier geboren und aufgewachsen, sie können mit Putin gar nichts anfangen. Sie seien zwar zweisprachig erzogen worden, also auch mit Russisch, um ihnen „einen Hauch von Russland mitzugeben“.
Sie verstehen die Sprache gut, sprechen sie aber kaum, weil sie schon im Kindergarten schief angeschaut wurden, wenn sie sich in Russisch verständigten. Ihnen hat Rempel geraten, diplomatisch zu sein und bedächtig zu reagieren.
Andere Eltern, so hat er gehört, wollen auch noch ein Gespräch mit den Schulen suchen. Kinder dürften auf keinen Fall gemobbt und diskriminiert werden. Er hofft darauf, dass alle Seiten sich um einen Ausgleich bemühen. Die Zeiten seien schwer genug, findet Rempel. Daher sollten sich zumindest hier die Menschen mäßigen.
Er verweist auch darauf, dass freikirchliche Gemeinden gerade in der Region bereits in der Ukraine-Hilfe engagiert seien. Die Mitglieder, manche mit russischen, andere mit ukrainischen Wurzeln, sammeln für Transporte, laden Sprinter voll und fahren an die Grenze, um zu helfen. Zwar weiß auch er, dass von Menschen mit russischen Wurzeln vereinzelt Verständnis für Putins Angriffskrieg geäußert werde: „Doch das sind die wenigsten, die Mehrheit sieht dies völlig anders.“