Erdogan Yilmaz sitzt auf der Couch im Wohnzimmer seiner Wohnung in der Villinger Alemannenstraße und lächelt freundlich. Doch die ausgestreckte Hand zur Begrüßung ergreift er nicht. Der 52-Jährige kann seine Arme nicht heben. Er leidet an der unheilbaren Muskelerkrankung Amyotrophe Lateralsklerose – ALS.

Die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist eine neurologische Krankheit, die das zentrale und periphere Nervensystem betrifft. Dabei sterben die Nervenzellen, die für die Steuerung der Muskulatur verantwortlich sind, nach und nach ab. Ohne ihre Signale können die Muskeln nicht mehr richtig arbeiten, was zu einer zunehmenden Muskelschwäche und letztlich zum Verlust der Bewegungsfähigkeit führt.

„Der Neurologe hat gesagt, diese Krankheit ist wie Sterben auf Raten“, beschreibt Erdogan Yilmaz den Moment, als er vor zwei Jahren die Diagnose erfuhr.

Erst fehlte die Kraft in den Armen

Bereits ein Jahr davor spürte der Staplerfahrer bei Continental in Villingen, dass ihm die Kraft in den Armen fehlte. Es folgte eine Operation an den Sehnen mit anschließender Rehabilitation.

Der Sport hat alles verschlimmert

„Dort sollte ich viel Sport machen – das hat alles noch verschlimmert“, beschreibt Erdogan Yilmaz die Folgen der Fehldiagnose. Jede Belastung der Muskeln führt zum Abbau von Nervenzellen. Nach der Rehabilitation ging es Erdogan Yilmaz schlechter als vorher.

Ein Jahr nach den ersten Symptomen wurde Erdogan Yilmaz an einen Neurologen überwiesen. Nach der Untersuchung des Nervenwassers war die Diagnose klar: Amyotrophe Lateralsklerose.

Amyotrophe Lateralsklerose

ALS ist bisher nicht heilbar, aber die Lebensqualität kann im Verlauf mit Medikamenten und Therapie beeinflusst werden. Die durchschnittliche Überlebenszeit nach der Diagnosestellung beträgt drei bis fünf Jahre.

Letztliche Todesursache ist häufig eine Lungenentzündung, weil die Atmung zunehmend beeinträchtigt wird. „So eine blöde Krankheit“, erklärt Erdogan Yilmaz hilflos.

Für die Familie bricht eine Welt zusammen

Für die Familie ist mit der Diagnose ALS eine Welt zusammengebrochen. „Die Anfangsphase war wirklich schlecht“, erinnert sich Ehefrau Yonca Yilmaz. Die 44-Jährige war zwei Monate in stationärer Behandlung im Vinzenz-von-Paul-Hospital in Rottweil. „Ich konnte lange gar nicht darüber sprechen“, beschreibt sie den Umgang mit der Krankheit.

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Jetzt arbeitet die Produktionsmitarbeiterin nachts von 22 Uhr bis 6 Uhr, um ihren Mann tagsüber pflegen zu können. Den Alltag bewältigt die pflegende Ehefrau mit Hilfe von Medikamenten und der Unterstützung durch Familie und Freunde.

Erdogan Yilmaz kann sich nicht einmal an der Nase kratzen

„Er kann sich noch nicht einmal die Nase kratzen, wenn es ihn juckt“, beschreibt sie die körperlichen Beeinträchtigungen. Auch in den Beinen verliert der Vater und Großvater zunehmend Kraft und Sensibilität.

Kater Bolut ist ein Lichtblick im Leben von Erdogan Yilmaz.
Kater Bolut ist ein Lichtblick im Leben von Erdogan Yilmaz. | Bild: Ina Klietz

Es gibt nach Angaben der Familie unterstützende Therapien, die das Fortschreiten der Krankheit verlangsamen und die Symptome lindern können. Die Kosten würden jedoch nicht von der Krankenkasse übernommen, sondern seien privat zu bezahlen.

Deshalb hat Schwiegersohn Efendi Erol mit Yonca Yilmaz und den Kindern Sena, Selinay und Enes-Malik einen Spendenaufruf auf dem Internetportal GoFundMe gestartet. Denn zur Finanzierung der bisherigen Therapie hat die Familie nach eigenen Angaben schon ihr Auto verkauft und alle finanziellen Reserven aufgebraucht.

„Wir wünschen uns nichts sehnlicher, als Erdogan seine verbleibende Zeit schön und würdevoll zu gestalten,“ erklärt die Familie. Es geht um Lebenszeit und Lebensqualität.

Und zur ganz alltäglichen Lebensqualität gehört insbesondere eine barrierefreie Wohnung, die allerdings bezahlbar sein muss. Denn die derzeitige Wohnsituation macht den Alltag für den Schwerkranken noch zusätzlich schwierig. Bis zur Erdgeschosswohnung sind sechs Stufen zu bewältigen. Das Bad ist eng und nicht behindertengerecht.

Für einen gesunden Menschen ist dies ein schönes helles Bad, für einen Rollstuhlfahrer allerdings bietet es deutlich zu wenig Platz zum ...
Für einen gesunden Menschen ist dies ein schönes helles Bad, für einen Rollstuhlfahrer allerdings bietet es deutlich zu wenig Platz zum manövrieren. Erdogan Yilmaz braucht eine behindertengerechte Wohnung mit ausreichend großem Bad und einer barrierefreien Dusche. | Bild: Yonca Yilmaz

Er hofft auf eine gute Zeit mit der Familie

„Ich bin sehr gläubig“, erklärt der Muslim, wie er mit dem Wissen um seine begrenzte Lebenszeit umgeht. „Mit meiner Ehefrau und den Kindern hatte ich ein schönes Leben“, erinnert er sich dankbar. Was ist sein größter Wunsch? „Eine gute Zeit mit der Familie“, hofft Erdogan Yilmaz.