Wer ist der ominöse dritte Mann? Vermutlich werden Gericht und Polizei den zweiten, damals maskierten Haupttäter nicht mehr aufspüren, nachdem der erste Haupttäter sich standhaft weigert, dessen Identität preiszugeben. Damit verdüstert der 31-Jährige allerdings seine Urteilsprognose erheblich.
Am Landgericht Konstanz wird derzeit der handfeste Streit zweier Männer mit einem 28-Jährigen verhandelt, den die Staatsanwaltschaft als schweren Raubüberfall wertet. So lautet auch die Anklage auf besonders schweren Raub in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung.
Zahlreiche mutige Zeugen
Der reine Tathergang ist aufgeklärt, auch dank zahlreicher Zeugen, die die Auseinandersetzung am 2. September vergangenen Jahres gegen 20.15 Uhr auf offener Straße an der B-33-Ortsdurchfahrt von Markdorf mitbekommen hatten: Drei Männer waren aus Friedrichshafen nach Markdorf gefahren, um dort den 28-Jährigen wegen unbeglichener Schulden offenbar aus Drogengeschäften zur Rede zu stellen. Sie parkten ihr Auto in der benachbarten Marienstraße, der 31-Jährige und der maskierte Unbekannte stiegen aus und passten den 28-Jährigen an der Straße ab. Ein dritter Mann, ein 25-Jähriger, der am ersten Verhandlungstag ebenfalls auf der Anklagebank sitzt, war der Fahrer, er blieb im Auto zurück.

Wie mehrere Zeugen am Dienstag im Schwurgerichtssaal des Landgerichts aussagten, sei der Streit auf dem Gehweg rasch eskaliert. Der 28-Jährige habe sich mehrfach lautstark entschuldigt, die beiden Männer hätten dann auf ihn eingeschlagen, einer der beiden ihm Pfefferspray ins Gesicht gesprüht. Möglich, dass die mutigen Zeugen noch Schlimmeres verhindert hatten: Ein 44-Jähriger rannte auf das Trio zu, die beiden Männer flüchteten dann zum wartenden Auto, der Angegriffene blieb auf dem Gehweg sitzen, er wurde später notärztlich behandelt.
Die Flucht endet im Wald
Die beiden Angreifer warfen sich ins Auto, der Fahrer wendete und fuhr über den Schießstattweg davon. Eine Zeugin fotografierte das Auto, bei eingeschalteter Innenbeleuchtung waren der Fahrer und der 31-Jährige gut zu erkennen, das Kennzeichen gab sie sofort an die Polizei weiter. Eine andere Zeugin verfolgte das Fluchtfahrzeug bis kurz vor Raderach, wo es in einen Waldweg abbog. Sie hätten bemerkt, dass sie verfolgt wurden, sagte der 31-Jährige.
Das folgende Geschehen ist fast filmreif: Der 31-Jährige und der maskierte Mittäter stiegen aus, der Fahrer fuhr weiter nach Friedrichshafen zur Adresse des 31-Jährigen. Dort wechselte er in das Auto der Verlobten des 31-Jährigen, für das er die Fahrzeugschlüssel von diesem bekommen hatte, und fuhr zurück nach Raderach. Dort wurde er jedoch von der Polizei, die unverzüglich die Fahndung eingeleitet hatte, gefasst, noch bevor er den Waldweg, wo seine Kompagnons auf ihn warteten, erreicht hatte.

Der 31-Jährige wurde am Folgetag an seinem Arbeitsplatz in Friedrichshafen vorläufig festgenommen. Von dem maskierten Mittäter hingegen fehlt heute noch jede Spur. So klar der Tathergang auch ermittelt ist, so unklar bleiben am ersten Verhandlungstag die Hintergründe. Das liegt vor allem daran, dass sich die beiden Angeklagten nicht sonderlich mitteilsam zeigten und das Opfer sich wiederum in Widersprüche verhedderte und sich bei zentralen Fragen des Gerichts auf sein fehlendes Erinnerungsvermögen berief: Er sei am Tatabend unter Drogen gestanden und nach der Tat habe er Panikattacken gehabt, sagte er.
Tatvorwurf des besonders schweren Raubes wackelt
Aus diesem Puzzle muss das Gericht unter dem Vorsitz der beiden Richter Joachim Dospil und Karoline Krüger nun vor allem zwei elementare Fragen beantworten: War der Einsatz von Gewalt bei der Tat geplant und wurde der Fahrer zuvor eingeweiht und war es tatsächlich ein Fall von schwerem Raub?

Der 25-jährige Fahrer sagte, assistiert von seinem Verteidiger Henning Stutz, aus, er sei von dem 31-Jährigen lediglich gefragt worden, ob er ihn nach Markdorf fahren könne. Er habe dort „etwas zu erledigen“, habe ihm sein Kumpel gesagt. Der 31-Jährige hatte seinen Führerschein bereits vor Jahren wegen Fahrens unter Drogeneinfluss verloren. Diese Version bestätigte auch der 31-Jährige im Zuge seiner Aussage. Staatsanwalt Lukas Mitsch hingegen zeigte sich auch am Ende des ersten Verhandlungstages überzeugt davon, dass der 25-Jährige eingeweiht war.
Dospil und Krüger müssen nun bis zur Urteilsverkündung am Freitag bewerten, welche der beiden Versionen glaubwürdiger ist. Gehen Sie davon aus, dass der Fahrer nicht wusste, was geplant war, dürfte er mit einer Bewährungsstrafe davonkommen, eventuell nur für eine Beihilfe zu gefährlicher Körperverletzung. Eng würde es für ihn hingegen, sollte das Gericht überzeugt sein, dass er eingeweiht war.
Noch enger wird es für den 31-jährigen Haupttatverdächtigen. Und das entscheidet sich auch an der Frage danach, ob an jenem Septemberabend tatsächlich ein besonders schwerer Raubüberfall geschehen war. Denn in der Anklageschrift hieß es, die beiden Angreifer hätten dem Geschädigten bei dem Streit auch das Smartphone und den Geldbeutel entwendet, was wegen des Einsatzes von Gewalt als schwerer Raub gelten würde. Von dieser polizeilichen Aussage am Tag nach der Tat wollte der 28-Jährige vor Gericht jedoch plötzlich nichts mehr wissen.

Zwar hätten ihm danach zwei 50-Euro-Scheine gefehlt, die er in der Hosentasche gehabt habe, den Geldbeutel habe er aber später zu Hause wieder gefunden. Die Scheine könnten ihm auch aus der Tasche gefallen sein. Tatsächlich konnte die Mutter des Tatopfers das Handy am Tag danach orten – irgendwo zwischen Markdorf und Raderach. Diesen Umstand klärte der 31-jährige Hauptangeklagte auf: Er habe das Handy an sich genommen, nicht, weil er es stehlen wollte, sondern um zu verhindern, dass der Geschädigte damit die Polizei anrufen würde. Das Handy habe er auf halbem Wege zwischen Markdorf und Raderach aus dem offenen Autofenster geworfen. Gefunden wurde es nicht mehr.
„Das ist nie und nimmer ein Raub“, betonte sein Verteidiger Gerd Pokrop in seinem Schlussplädoyer. Damit bliebe nur noch die gefährliche Körperverletzung übrig und damit auch nur eine Bewährungsstrafe für seinen Mandanten. Sein Mandant habe zudem eine günstige Sozialprognose, er habe Familie und eine Arbeit. Maximal zwei Jahre plädierte Pokrop in Richtung Gericht.

Richter Dospil macht Druck: Wer war der vermummte Mittäter?
Richter Dospil, der schon zuvor in der Verhandlung mehrfach ungehalten wegen der Aussagen des Hauptangeklagten war, quittierte dies mit hochgezogener Augenbraue. „Bei Ihren zwölf Vorstrafen sehe ich da schwarz, da müssen Sie schon was liefern“, wandte er sich an den 31-Jährigen. Was er wohl meinte: Gibt der Angeklagte die Identität des vermummten und flüchtigen Mittäters nicht preis, werde es kaum etwas werden mit der Bewährung.
Die wiederum sieht Anwalt Pokrop auch dann nicht aus der Welt. Denn sein Mandant habe in einem Täter-Opfer-Ausgleich dem Geschädigten 3500 Euro überwiesen und sich mehrfach entschuldigt. Tatsächlich war das Geld am Tag vor Prozessbeginn auf dem Konto des Tatopfers eingegangen. „Eher wenig überzeugend“, wie Dospil fand.
Das Tatopfer hingegen hatte dem 31-Jährigen dafür noch den roten Teppich ausgerollt: Das Geld und die Entschuldigungen seien „ehrenwert“, sein Kontrahent stelle sich seiner Verantwortung. Er habe sogar seinen Vater und ihn unter Tränen zum Essen eingeladen. „Für mich ist das damit erledigt“, sagte er. Er wünsche dem Angeklagten alles Gute. Der wiederum hatte das Schlusswort: Er bereue die Tat zutiefst. „Und, ja, ich habe Angst, dass ich meinen kleinen Sohn lange nicht mehr sehen werde.“ Am Freitag wird das Urteil verkündet.