Der Singener Einzelhandel kommt einfach nicht zur Ruhe und muss einen nächsten Tiefschlag wegstecken: Nachdem bereits Heikorn vor einigen Wochen angekündigt hatte, das Modegeschäft zum Anfang des kommenden Jahres zu schließen, und auch die Nachricht von der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens von Sport Müller im SÜDKURIER bekannt wurde, muss der nächste Traditionsbetrieb schließen. Wie Reiner Wöhrstein, Geschäftsführer des gleichnamigen Fotostudios, gegenüber der Lokalredaktion mitteilt, wird er sein Geschäft im Cano aufgeben und voraussichtlich Ende Oktober schließen – sollte bis dahin kein Nachfolger gefunden werden.

Der Schritt dahin sei für ihn kein leichter gewesen, aber am Ende unausweichlich, wie der sichtlich betroffene Einzelhändler im Gespräch betont. „Letztes Jahr haben wir noch 75 Jahre Foto Wöhrstein gefeiert. Doch die Zeiten haben sich dramatisch geändert. Der Strukturwandel hat die Fotobranche – und damit auch uns – tief erschüttert“, sagt er.

Reiner Wöhrstein beantragt Insolvenz

Und diese Erschütterung hat für Reiner Wöhrstein Folgen. „Ich musste die Reißleine ziehen“, betont er. Was dies bedeutet: Der Singener Unternehmer hat einen Insolvenzantrag beim Amtsgericht in Konstanz eingereicht. Dies bestätigt Insolvenzverwalter und Rechtsanwalt Thorsten Schleich, der Wöhrstein durch das vorläufige Insolvenzverfahren begleiten wird, wenn es denn eröffnet wird. „Unsere Aufgabe ist es nun, den Betrieb aufrecht zu erhalten“, so Schleich.

Vor fünf Jahren zog Foto Wöhrstein ins Cano ein. Die Mitarbeiter des Geschäftes sind über die kommenden Schritte bereits informiert worden.
Vor fünf Jahren zog Foto Wöhrstein ins Cano ein. Die Mitarbeiter des Geschäftes sind über die kommenden Schritte bereits informiert worden. | Bild: Lara Reinelt

Gleichzeitig soll nach einem Nachfolger für Reiner Wöhrstein gesucht werden. Denn eines steht fest: Reiner Wöhrstein scheidet aus dem Unternehmen bis Ende Oktober aus. So lange solle auch der Betrieb weitergeführt werden, betont Schleich. Laut Wöhrstein sei die Anzahl an Gläubigern mit zwei Firmen überschaubar. „Das sind keine Millionenbeträge“, betont er im Gespräch.

Wie Reiner Wöhrstein berichtet, seien die Mitarbeiter bereits über das Verfahren informiert. „Die Löhne der Angestellten sind bis Ende Oktober durch das Insolvenzgeld gesichert“, schildert Rechtsbeistand Schleich. Insolvenzgeld ist eine Leistung der Bundesagentur für Arbeit, die Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers erhalten, wenn ihre Löhne nicht gezahlt werden.

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Reiner Wöhrstein nennt gleich mehrere Gründe, die sein Aus besiegelt haben. Er bezeichnet es als den Siegeszug des Smartphones. „Die Digitalisierung hat den herkömmlichen Kameras den Garaus gemacht“, sagt er. Was er damit meint? Vor knapp zehn Jahren seien weltweit noch 100 Millionen Kameras verkauft worden. Heute sind es nur noch vier Millionen Stück. „Ein Urlauber mit einer klassischen Kamera ist ein Exot geworden“, fasst er es zusammen.

Zudem habe die gesamte Branche – und damit auch er – extreme Umsatzeinbrüche zu verzeichnen, die Auswirkungen der Corona-Pandemie seien noch heftig zu spüren und die Anforderungen der Hersteller hinsichtlich der Lagerhaltungen kämen erschwerend hinzu. Wöhrstein nennt ein Beispiel: Als das Cano vor fünf Jahren eröffnete, habe auch er seinen neuen Standort eröffnet. Ganze fünf Tage lang.

Corona und Umsatzverluste von 1,8 Millionen Euro

Dann kam Corona und er musste schließen. „Die drei Jahre der Corona-Krise waren wohl der härteste Kampf und eine lange Zeit temporärer Schließungen. Das brachte extreme Umsatzverluste.“ Wöhrstein beziffert diese mit 1,8 Millionen Euro, welche er niemals habe aufholen können. „Zulasten unseres Eigenkapitals haben wir praktisch alles aufgebraucht“, sagt er. Den Online-Handel bezeichnet der Singener Unternehmer zudem als todbringende Tatsache für seine Branche: „Wir sind dort mit Preisen konfrontiert, die zum Teil unter den Einkaufspreisen liegen.“ Zudem würde der Beratungsklau voll zuschlagen. Laut Wöhrstein würden sich fast 70 Prozent der Kunden lokal vor Ort beraten lassen und dann im Internet kaufen.

Kaum noch Passbilder und der Umsatz schrumpft weiter

„Und dann kam die Gesetzesänderung zum Passbildwesen dazu“, ergänzt Wöhrstein. Seit dem 1. Mai sind nur noch digitale Passfotos gültig. Dafür stehen dann eigene Fotoautomaten im Bürgerbüro. Das ist nicht nur eine von vielen Veränderungen für Bürger, sondern auch ein Einschnitt für Fotostudios. Die dürfen zwar weiterhin Passbilder für den Ausweis machen, müssen sie aber digital hochladen. „Wir machen knapp 70 Prozent unserer Gesamtrendite mit dem Passbildgeschäft“, so Wöhrstein. Diese würden nun größtenteils wegfallen. „Die Auswirkungen sind mitentscheidend für das Finale unserer Firma!“

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Reiner Wöhrstein wird seinem Geschäft also Ende Oktober den Rücken kehren. „Ich habe 50 Jahre lang mit Freude mein Fotofachgeschäft und ein Fotostudio geführt. Ich gehe trotz der traurigen Lage mit erhobenem Haupt vom Spielfeld“, sagt er. Wie und ob es mit dem Fotostudio unter neuer Regie weitergehen wird, steht derzeit nicht fest. Der Mietvertrag im Einkaufszentrum Cano laufe noch fünf Jahre. Laut Insolvenzverwalter Schleich würde allerdings ein Sonderkündigungsrecht im Zuge eines Insolvenzverfahrens bestehen, das es Wöhrstein ermögliche, nach drei Monaten zu kündigen.