Frau Hennes, wenn man hochrechnet, dass die Betreuungszeiten etwa um 20 Prozent gekürzt wurden, dürften etwa 3000 Lehrkräfte fehlen. Deckt sich diese Zahl in etwa mit denen des Schulamtes?
Hennes: Dies ist differenziert zu betrachten, da nicht an allen Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren (SBBZ) im Land Baden-Württemberg die Stundentafel gekürzt wurde. Im Schulamtsbezirk Konstanz fehlen zahlreiche Lehrkräfte in der Sonderpädagogik. Es können jedoch nicht beliebig Stellen neu ausgeschrieben werden, da Lehrkräfte in Elternzeit Stellen besetzen und diese nach ihrer Rückkehr in den Beruf auch wieder benötigen. Daher werden Stellen vorübergehend mit Krankheitsvertretungskräften besetzt. Das Land Baden-Württemberg hat nicht nur die Studienplatzzahl erhöht, sondern fördert auch den Direkteinstieg in die Sonderpädagogik und den horizontalen Laufbahnwechsel von Lehrkräften.
Da es für Lehrerversorgung, Räumlichkeiten und Betreuungskräfte unterschiedliche Zuständigkeiten gibt, hätte die Initiative Aufschrei gerne einen Ansprechpartner – quasi als Koordinator.
Hennes: Durch die Gesetzgebung gibt es verschiedene Zuständigkeiten. Die verschiedenen Institutionen sind in engem Austausch miteinander. Für die Eltern stehen beratend die Lehrkräfte sowie die Schulleitung zur Verfügung.
Die Elterninitiative Aufschrei fordert eine möglichst baldige Rückkehr zu 34 Wochenstunden an den SBBZ. Wie schätzen Sie die Situation im kommenden Schuljahr ein?
Nadja Hennes: Die Stundentafel wird aufgrund der aktuellen Unterrichtsversorgung im kommenden Schuljahr gekürzt bleiben. Es besteht die Hoffnung, dass mittelfristig durch die Maßnahmen des Kultusministeriums eine Verbesserung der Unterrichtssituation herbei geführt werden kann. Kurzfristig zur Überbrückung schlägt die Elterninitiative eine Zusammenarbeit mit Musikschulen oder Lebenshilfe-Organisationen vor.
Halten Sie so was für realistisch?
Hennes: Es ist nicht die Aufgabe des Schulamtes in diesem Bereich aktiv zu werden, sondern die Aufgabe im Rahmen der Betreuung des Schulträgers. Über das Programm Lernen mit Rückenwind können die Schulleitungen Kooperationspartner wie zum Beispiel die Musikschule und Einzelpersonen befristet beschäftigen. Hier sind die Schulleitungen in der Verantwortung.
Von vielen Lehrkräften werde die Freiburger Gegend bevorzugt, haben sie jüngst angemerkt. Das hat mich verwundert. Die Bodenseegegend ist doch eigentlich eine attraktive Gegend ist?
Hennes: Ja eigentlich! Aber in der Praxis Lehrereinstellung eben nicht.
Es heißt, dass manch Sonderpädagoge frustriert den Lehrerberuf verlässt. Was sagen Sie dazu?
Hennes: Das deckt sich nicht mit meinen Kenntnissen. Wir haben hoch engagierte Lehrkräfte an unseren SBBZen, die sich täglich den Herausforderungen an ihren Schulen stellen. Es gibt selten Kündigungen des Beamtenverhältnisses. Gelegentlich wechseln Lehrkräfte in die Schweiz.
Es steht der Vergleich zu Gymnasien im Raum. Die Elterninitiative fragt sich, was wohl los wäre, wenn plötzlich 20 Prozent der Schulstunden an Gymnasien gestrichen würde. Etwas polemisch vielleicht, aber was entgegnet das Schulamt?
Hennes: Das Schulamt begrüßt ausdrücklich den Zusammenschluss der Eltern zur Elterninitiative, da Eltern gemeinsam eine starke Stimme in der Politik haben, was sich bei der Elterninitiative zum neunjährigen Gymnasium gezeigt hat. Das Kultusministerium rückt das Thema Inklusion gezielt in den Fokus über den Erlass „Entwicklungsräume Inklusion“. Wobei das Thema nicht nur eine schulische sondern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. Im Landkreis Konstanz sind inklusive Bildungsangebote seit mehr als zehn Jahren gut etabliert und ermöglichen die Eltern die Wahl des Bildungsortes.