Nachdem bereits aus stationären Pflegeeinrichtungen Kritik am Gesetz zur einrichtungsgezogenen Impfpflicht laut wurde, melden sich jetzt auch ambulante Pflegedienste zu Wort.
Sechs Sozialstation aus der Region Schwarzwald-Baar haben sich am Freitag, 28. Januar, mit einem Brandbrief an Gesundheitsminister Karl Lauterbach, Minister für Soziales, Gesundheit und Integration Manne Lucha, an die Gesundheitsämter und die Landräte im Schwarzwald-Baar-Kreis und im Landkreis Tuttlingen, Abgeordnete im Bundes- und Landtag, an die Bürgermeister aller Kreisgemeinden sowie an die AOK Schwarzwald-Baar gewandt.
150 Pflegeverträge in Gefahr
Konkret fordern sie, die Pflege-Impfpflicht zurückzunehmen oder auszusetzen. Ansonsten drohe in der Region im Bereich der ambulanten Pflege ein Versorgungskollaps. Alleine in den sechs kirchlichen Pflegediensten sei die tägliche Versorgung und Unterstützung von bis zu 150 pflegebedürftigen Menschen und deren pflegenden Angehörigen in Gefahr.
Auf SÜDKURIER-Nachfrage erklärt Markus Leichenauer von der Sozialstation Blumberg so: „Wir müssten im schlimmsten Fall 150 Versorgungsverträge kündigen.“ So weit sei es noch nicht, aber man müsse jetzt endlich auf eine solche, mögliche Entwicklung aufmerksam machen. Die Zeit, sich auf den Stichtag 16. März einzustellen, sei knapp bemessen.
In dem Brandbrief wird vorgerechnet: „In unseren Einrichtungen sind insgesamt 485 Menschen beschäftigt. Durchschnittlich sind 90 Prozent geimpft und damit weit mehr als in der Bevölkerung! Die allermeisten Nicht-Geimpften haben angekündigt, uns zu verlassen. Einige warten auf den ‚Totimpfstoff‘.“
„Ab dem 16. März müssen wir dem Gesundheitsamt dann alle Mitarbeiter melden, die nicht geimpft sind.“Markus Leichenauer, Sozialstation Blumberg
Bleibt es bei der jetzigen Regelung, müssten die Einrichtungen womöglich bis zu 50 Mitarbeitern kündigen und das schon sehr bald. „Die Kündigungsfrist beträgt vier Wochen“, sagt Leichenauer mit einem unguten Gefühl, denn eigentlich versuche man seit Jahren mit Anreizen und guten Bedingungen Fachkräfte anzuwerben und zu halten.
„Ab dem 16. März müssen wir dem Gesundheitsamt dann alle Mitarbeiter melden, die nicht geimpft sind“, erklärt Leichenauer. Diese würden dann ein Beschäftigungs- oder Betretungsverbot erhalten. Bei bestehendem Arbeitsvertrag wären dann Freistellungen eine mögliche Folge.
„So ein Vorgehen würde viel Vertrauen zerstören“, da ist sich Leichenauer sicher. Verlorene Mitarbeiter später irgendwann wieder zu gewinnen sei sicher schwierig, sorgt er sich mit mit Blick in die Zukunft. Auch viele rechtliche Aspekte von möglichen Kündigungen seien bislang noch nicht vollständig geklärt.
Impfpflicht für alle
Im weiteren Verlauf ihres Schreibens fordern die Sozialstationen eine altersbezogene Impfpflicht, wie etwa für alle Menschen ab 18 Jahren. „Wir sind grundsätzlich für das Impfen“, betont Leichenauer gegenüber dem SÜDKURIER. Dass aber lediglich Pflege-Mitarbeiter verpflichtet werden, sei ungerecht und fördere das Abwandern der Mitarbeiter in andere Berufe und in Pflegejobs in der nahen Schweiz.
So werde diese ohnehin personalfragile und nach zwei Jahren Pandemie stark beanspruchte ambulante Pflege mit Ansage weiter geschwächt, heißt es im Brandbrief. Um das zu vermeiden, könne man sich auch eine allgemeine Impfpflicht vorstellen, fügt Leichenauer hinzu.
Akzeptanz droht zu kippen
Die Impfquote in der Belegschaft liege mit 90 Prozent deutlich über dem Wert in der Bevölkerung. Genau diese Berufsgruppe zum Impfen zu zwingen, sei der falsche Weg. Selbst bei geimpften Mitarbeitern drohe mittlerweile die Akzeptanz zu kippen. Viele würden sich nicht alle zwei Monate impfen lassen wollen.
Naben fehlenden Mitarbeitern wird ein weiteres Szenario angesprochen, das die Situation weiter verschärfen könnte. „Weniger stationäre Pflegeplätze können die Nachfrage nach ambulanten Diensten wachsen lassen. Das haben wir in der ersten Corona-Welle beobachtet, als es in vielen Heimen Aufnahmestopps gab und weniger Menschen einen solchen Platz suchten“, erinnert sich Leichenauer.
Eine erhöhte Nachfrage und geringeren Kapazitäten würde letztlich dazu führen, dass viele pflegende Angehörige mit der Versorgung am Ende alleine dastehen würden. Ein Problem, vor allem für berufstätige Menschen und in der Folge auch für Arbeitgeber.