Vor fast exakt einem Jahr hatte der SÜDKURIER Hinrich Bremer, den stellvertretenden Leiter des Lungenzentrums und Leiter der Pneumologie, schon einmal im Schwarzwald-Baar-Klinikum in Donaueschingen besucht. Damals wurden circa 60 Corona-Patienten behandelt. Die Kapazitäten des Klinikums waren stark ausgereizt, reichten aber noch aus.
Nun, kurz vor dem zweiten Corona-Winter, hat sich die Lage enorm verschärft. „Ich schlafe noch ausreichend viel und fühle mich fit. Aber nicht mehr ganz so fit, wie vor einem Jahr, als wir uns schon einmal getroffen haben“, sagt Bremer.
Zenit noch nicht in Sicht
Die Lage im Schwarzwald-Baar-Klinikum beschreibt der Arzt als kritisch und angespannt. Das habe zwei Gründe: Die Anzahl der Covid-Patienten sei mit 99 aktuell fast so hoch wie beim bisherigen Allzeithoch: „Aber damals waren politische Maßnahmen ergriffen worden, bei denen wir wussten, dass die Lage sich entspannen wird. Im Moment sehen wir von Tag zu Tag einfach nur stetig wachsende Zahlen.“ Das Klinikum rechnet daher mit wesentlich mehr Patienten in den kommenden Tagen. Bremer: „Wir sehen im Moment noch keinen Zenit, der erreicht wird und mit dem wir planen können.“
„Viele können nicht mehr.“Hinrich Bremer, stellvertretender Leiter des Lungenzentrums

Dazu komme, dass viele am Klinikum „extrem ausgelaugt“ sind: „Viele können nicht mehr. Wir haben in der Pflege einen hohen Krankenstand und damit wesentlich weniger Personal. Allein im Lungenzentrum fehlen 14 Pflegekräfte, die wir normal gehabt hätten. Dementsprechend gehen wir mit wesentlich weniger Personal in eine angespannte Situation.“
Das Klinikum und seine Mitarbeiter haben laut Bremer das Gefühl, dass der politische Diskurs gerade Vieles auf den Schultern der Menschen, die im Gesundheitswesen arbeiten, ablädt. Das Problem sei, dass das Virus gerade munter verteilt werde. Es gebe deswegen aus der Sicht des Pneumologen Gründe für, aber auch gegen einen erneuten Lockdown.
„Im Schwarzwald-Baar-Kreis sind nur 60 Prozent geimpft, das ist eine Katastrophe.“Hinrich Bremer, stellvertretender Leiter des Lungenzentrums
Bremer: „Es ist jetzt ganz entscheidend, welche politischen Weichen gestellt werden. Wir müssen keine neuen Werkzeuge erfinden. Die sind alle da, werden nur nicht angewendet. Es ist klar, dass Inzidenzen sinken können, wenn es Kontaktbeschränkungen gibt. Es ist auch klar, dass wir die Inzidenz beeinflussen können, wenn wir uns mit FFP2-Masken schützen. Der entscheidendste Punkt aber sind die Booster-Impfungen. Im Schwarzwald-Baar-Kreis sind nur 60 Prozent geimpft, das ist eine Katastrophe. In Bremen, wo bei den Erwachsenen über 90 Prozent geimpft sind, liegt die Inzidenz bei 114. Die haben das Problem nicht, das wir haben.“
Das muss die Politik jetzt machen
„Die nächsten Wochen werden darüber entscheiden, wie viel dieses Krankenhaussystem nicht nur hier, sondern in ganz Deutschland wird aushalten können. Wir sind an einem ganz kritischen Punkt, an dem nicht jeder Patient erwarten kann, zu der Minute die Leistung abrufen zu können, die er früher erwarten konnte, wenn er in ein Krankenhaus kommt“, sagt Bremer weiter.
Das Klinikum müsse mittlerweile seine Kräfte bündeln, geplante Eingriffe müssen hinausgezögert werden, um handlungsfähig zu bleiben. „Die Lage ändert sich von Tag zu Tag. Wir müssen ständig schauen, wie wir alle Patienten einigermaßen angemessen versorgen können.“
Patienten müssten aktuell noch nicht in andere Krankenhäuser verlegt werden. Bremer: „Außer, jemand muss an die Herz-Lungen-Maschine angeschlossen werden, dann müssen wir die Patienten verlegen, weil wir das hier nicht angeboten bekommen. Unsere Aufgabe als Schwerpunktklinikum ist es eigentlich, andere Krankenhäuser zu entlasten. Und diese Aufgabe können wir nur sehr begrenzt wahrnehmen. Wir müssen viele Anfragen ablehnen.“
Patientenverlegung wohl unausweichlich
Allerdings könne es auch am Schwarzwald-Baar-Klinikum bald soweit sein, dass Patienten aus Donaueschingen in anderen Krankenhäusern behandelt werden müssen. „Im Schwarzwald-Baar-Kreis haben wir mittlerweile ähnlich hohe Inzidenzen wie in Thüringen oder Sachsen. Wir werden natürlich nur verlegen, wenn wir unbedingt müssen. Aber wenn wir müssen, werden wir diese Maßnahmen ergreifen. Im Moment ist es noch nicht so, aber es ist absehbar, dass es so kommen wird.“
Die Inzidenz im Schwarzwald-Baar-Kreis aktuell liegt bei über 600, wegen Corona werden fast 100 Patienten stationär behandelt und auf der Intensivstation müssen zehn Patienten beatmet werden – obwohl es seit fast einem Jahr Impfungen gegen Corona gibt.
Ist die Impfung gar nicht wirksam?
„Die Delta-Variante ist weitaus ansteckender als der Wild-Typ oder der britische Typ. Außerdem nimmt der Impfschutz über die Zeit langsam ab. Gerade bei den älteren Menschen haben wir Impfdurchbrüche, weil die Impfung schon zu lange zurückliegt“, sagt Breme und fügt hinzu: „Bei Biontech verliert der Schutz etwa sechs Prozent pro Monat. Die jüngeren Patienten mit schwerem Verlauf sind zumeist ungeimpft. Der jüngste Covid-Patient bei uns momentan ist 19 Jahre alt.“
Um aus dieser Situation herauszukommen, sei die Booster-Impfung deswegen extrem sinnvoll: „Wenn wir die Impfung nicht hätten, wären wir in einem Katastrophenszenario“, sagt Bremer mit Nachdruck. Als Beispiel für den Nutzen der Drittimpfungen nennt Bremer Israel. Dort sei früh mit dem Boostern begonnen worden und Corona sei dort nun ein viel geringeres Problem.
Entwicklung bei der Behandlung von Covid-Patienten
Neben der Impfung, die im Vergleich zum SÜDKURIER-Besuch bei Pneumologe Bremer im vergangenen Jahr hinzugekommen ist, hat sich auch bei de medikamentösen Behandlung von Corona-Patienten einiges verändert: „Unser Konzept war schon früh das, was heute klinischer Standard in Gesamteuropa ist. Was wir allerdings anders machen, dass wir die Atemunterstützung wesentlich früher anwenden, als zu Beginn der Pandemie. Wir wissen, dass das sehr segensreich ist. Das ist auch die Domäne der Lungenabteilung.“
Außerdem habe man jetzt für die Frühform der Erkrankung eine monoklonale Antikörpertherapie zur Verfügung. Damit könne man schwere Verläufe sehr suffizient verhindern. Bremer: „Ganz entscheidend ist, dass Patienten so früh wie möglich zu uns kommen. Das ist allerdings schwierig, weil die meisten erst zu uns kommen, wenn das Zeitfenster für die Möglichkeit der Antikörpergabe häufiger leider schon überschritten ist. Wir wenden das aber mittlerweile jeden Tag an. Diese Möglichkeit hatten wir vor einem Jahr noch nicht.“ Standardisierter sei auch die Gabe von antientzündlichen Medikamenten.
Verläufe unvorhersehbar
Trotz der neuen Behandlungsmöglichkeiten sagt Bremer: „Man wird schon demütig. Es gibt Patienten, die sich innerhalb von zwei, drei Tagen ganz immens verbessern. Und dann gibt es Patienten, die sich innerhalb von kürzester Zeit massiv verschlechtern. Mit viel Erfahrung kann man das so heraussehen. Es gibt aber auch Verläufe bei jungen Patienten, für die Corona eine große Gefahr ist mit schweren Verläufen.“
Zu den unmittelbaren Patienten, kämen viele mit Post-Covid hinzu. Diese Menschen haben laut Bremer weiter Konzentrationsprobleme oder körperliche Gebrechen: „Auch wenn man das Ganze überlebt, ist das eine häufig leider sehr folgenreich verlaufende Erkrankung.“