Herr Diehl, was machen eine Covid-Erkrankung und ihre Folgen mit der Seele eines Menschen?
Covid reißt die Menschen schnell aus ihrem Alltag. Relativ schnell sind Fieber und Kraftlosigkeit da, viele können den Alltag nicht bewältigen, bis sie sich einigermaßen stabilisiert haben. Ganz besonders trifft es natürlich diejenigen, die in der Klinik intensivmedizinisch behandelt und zum Beispiel intubiert werden müssen. Sie berichten von Hilflosigkeit und dem Gefühl, völlig ausgeliefert zu sein und von massiven Ängsten, die sich um die Frage ‚Überlebe ich das überhaupt?‘ drehen.
Dazu kommen Fragen wie: Wer kümmert sich jetzt um meine Familie und die Kinder? Kann ich anschließend wieder arbeiten? Wird das Krankengeld reichen? Wenn finanziell ohnehin auf Kante genäht ist, kommt da sehr schnell auch Existenzangst hinzu. Wir haben aktuell in der Reha Patienten, die im April 2020 erkrankt waren.
Die Espanklinik macht sich politisch, beispielsweise auf Landesebene, für die Einrichtung von Long-Covid-Ambulanzen stark. Warum braucht es solche Ambulanzen?
Es braucht dezentrale Anlaufstellen, von denen die Menschen aus schnell an die jeweilige Fachrichtung weitergeleitet werden, beispielsweise an einen Neurologen. Wir wissen bis heute von 205 Symptomen, die nach einer Covid-Erkrankung auftreten können, angefangen von Atmungs- und Verdauungsproblemen bis hin zu Schwierigkeiten im kognitiven Bereich.
Dafür brauchen wir Zentren, die wissen, um was es geht. Die Patienten sind nach einer Covid-Erkrankung oft vielfältig eingeschränkt. Das bildet die Versorgerlandschaft nicht ab. Oft werden die Menschen auch nicht ernst genommen. Hinzu kommt der Fachärztemangel. Zwar finden Erstgespräche mit Patienten statt, doch für Folgetermine gibt es häufig lange Wartezeiten.
Über welche Beschwerden klagen Long- oder Post-Covid-Patienten am häufigsten?
Typische Beschwerden sind Atemnot und eine Belastungsintoleranz, aber auch Muskelschmerzen, Schlafstörungen, Kopfschmerzen und Schwindel kommen häufig vor. Ein großes Problem ist das chronische Fatigue-Syndrom, bei dem die Menschen unter völliger Erschöpfung leiden und für das es bis heute keine Therapie gibt (Das chronische Fatigue-Syndrom kommt auch bei anderen Viruserkrankungen wie zum Beispiel dem Pfeifferschen Drüsenfieber vor, Anm. d. Red.).
Die große Frage ist ja auch, wie man die Menschen wieder zurück ins Arbeitsleben begleitet. Die Firmen sind nicht darauf eingerichtet, dass man sich bei Erschöpfung beispielsweise mal kurz hinlegen kann. Das gibt es vielleicht bei einem hippen Startup-Unternehmen, aber nicht in normalen Betrieben.
Also müssen sich auch Personalabteilungen auf den Umgang mit Covid-Spätfolgen einstellen?
Ja, absolut! Ich habe erst vor Kurzem eine Fortbildung für die Führungsebene eines großen regionalen Unternehmens geleitet, wo es genau darum ging: Wie sind die Verläufe der Erkrankung? Wie geht es einem Menschen, der womöglich Nahtoderfahrungen gemacht hat? Wie gliedere ich jemanden nach einer schweren Covid-Erkrankung wieder ein? Man darf trotz allem nicht vergessen: Die meisten werden wieder gesund. Die Zahl derjenigen Patienten, die an Post-Covid leiden, liegt bei 13 bis 15 Prozent.
Dennoch müssen Führungskräfte Bescheid wissen. Schon allein, um die Menschen nicht direkt zu überfordern. Die gleiche Leistung wie vor der Erkrankung ist oft nicht möglich. Viele berichten nach ihrer Wiedereingliederung, dass sie nach der Arbeit nur noch auf das Sofa wollen, weil sie schlichtweg nicht zu mehr in der Lage sind. Das mag für ein, zwei Monate okay sein, aber ein Dauerzustand ist das nicht. Menschen brauchen den Ausgleich, brauchen Hobbys. Wenn sie das nicht mehr schaffen, kommt die Lebensqualität abhanden.
Hätten Sie zu Beginn der Pandemie gedacht, dass das Thema eine solche Brisanz erreichen würde?
Nein. Erst, als wir mit den ersten Genesenen in der Klinik Kontakt hatten, dämmerte uns, was da auf uns zukommen könnte. Und es ist noch viel schlimmer gekommen, als wir es uns hätten vorstellen können. Ich meine, da sitzen erwachsene Menschen vor Ihnen und weinen erstmal eine Stunde nur, weil sie einfach nur fertig sind.
Es ist auch viel Unwissen und Ignoranz mit im Spiel. Natürlich spielt die Psyche eine Rolle und es kommt nicht alles durch Corona. Doch wenn man seinen Alltag als Spätfolge von Covid nicht mehr bewältigen kann, weil die Kraft fehlt, belastet das natürlich psychisch enorm.