Seit 16 Jahren kümmert sich Joachim Spitz um Kinder und Familien in Not. Der Schwenninger Firmen-Chef beobachtet in der Pandemie, wie sich die Gesellschaft verändert, wie hart der Kampf um persönliche Vorteile eskalieren kann. Seine Prokids-Stiftung hat ihre vielfältigen Hilfsangebote angepasst. Und jetzt kommt auch noch Hilfe für die Helfer. Cem Yazici singt ein Benefiz-Lied für Prokids.

Der 53-jährige Joachim Spitz ist selbst Familienvater und vor nun fast zwei Jahrzehnten saß er eines Abends vor dem Fernseher in Schwenningen und sah eine Reportage über Kinder in Berlin, die nichts zu essen hatten. Joachim Spitz hat das keine Ruhe gelassen. Im Prinzip bis heute nicht. Er stellte rasch fest: Solche Fälle gibt es auch im Oberzentrum.
Lehrer schauen genau hin
Joachim Spitz sitzt Ende des Jahres 2021 in seiner Schwenninger Firma, die selbst schauen muss, wie sie durch die Coronawellen kommt. Sein Blick ruht aber nach wie vor auch auf jenen Menschen, die im Windschatten der Gesellschaft häufig übersehen werden.
Er nennt Beispiele. „Es gibt Kinder, die jetzt und heute an VS-Schulen kommen und dort zum Glück den Lehrern auffallen“, schildert er. „Da sitzen dann durchgefrorene Jungs bei Schneefall im Klassenzimmer in zerrissenen Stoffturnschuhen. Kinder ohne eine Winterjacke. Manche kommen ohne Schulzeug.“ Das Problem sei nun in den Corona-Monaten, dass diese Kinder meist nur noch zuhause oder an der Schule anzutreffen seien.
„Die Gefahr ist, dass keiner mehr die wirkliche Not sieht.“Joachim Spitz
„Sie können nirgends mehr hin, wegen der Ansteckungsgefahr fallen sie auch nicht mehr bei Eltern von Freunden auf, die dann bislang oft Hilfe angeschoben haben“, legt er ein Dilemma der Abstands-Regelungen offen. „Die Gefahr ist, dass keiner mehr die wirkliche Not sieht.“

Aktuell arbeitet er deshalb eng mit einigen Schulen zusammen. Bei Schreibwarengeschäften können Lehrer die Schulsachen auf Stiftungsrechnung besorgen. Die warme Jacke und die warmen Winterschuhe kommen dann je nach Bedarf auf anderen Wegen obendrauf.
Der Stolz der Betroffenen
„Es ist manchmal schon schwierig, beispielsweise, wenn Eltern zu stolz sind, um Hilfe anzunehmen und sagen: Mein Sohn braucht das sicher nicht.“ Spitz lässt durchblicken, dass in solchen Fällen gezielt versucht werde, die Hilfe so anzubieten, dass vor allem „die Eltern nicht bloßgestellt werden. Das ist oft das Entscheidende“, erklärt er.

Warmes Mittagessen in den Schulküchen bezahlt Prokids bis heute für ein paar Dutzend Kinder im Oberzentrum. Geprüft wird immer zurückhaltend im Hintergrund, dass kein Missbrauch der Angebote stattfindet. Spitz sagt klar, dass es solche Versuche zuhauf gibt und dass „ich keine Lust mehr habe, mich und die vielen Unterstützer ausnutzen zu lassen“.
Wer jetzt Hilfe braucht
„Uns geht es seit Corona vor allem darum, dort anzusetzen, wo echte Einnahme-Ausfälle in den Familien stattfinden. Wer Sozialhilfe bekommt, der erhält diese auch während Corona.“ Spitz weiß, dass er damit hart klingt. Seine Erfahrungen haben ihn auch in eine solche Schutzhaltung schlüpfen lassen.

Er freut sich zusammen mit seinen Teams, dass die Hilfe gezielt stattfinden kann. „Wir hatten zuletzt einen Busfahrer, der nicht mehr Bus fahren konnte, weil niemand mehr Bus fahren wollte. Bei dem Mann war es in der Familie schon vorher knapp und wenn dann Lohn fehlt, dann bricht oft alles rasch zusammen und es häufen sich schnell beachtliche Schuldenberge auf“, skizziert er.
Essenpakete für 40.000 Euro
Aber auch Kellner aus der Gastronomie und andere Berufsgruppen können hier derzeit auf Hilfe zählen. Die kommt so: „Wir haben zuletzt 40.000 Euro an Essenspaketen verteilen können, viele Familien konnten sich nicht genug Nahrungsmittel mehr kaufen.“
Und Joachim Spitz nimmt auch kein Blatt vor den Mund. Bei der Vergabe der Essenspakete sei „gezielt versucht worden, für angebliche Freunde und Bekannte weitere Pakete mitzunehmen. Wir wurden hier an den Ausgabestellen teils massiv bedrängt. Das waren Einzelfälle aber ich habe dann Security dazu beordert“, fasst er j seine Erlebnisse zusammen.
Die Tricks der Schamlosen
Ähnliche Szenen gab es bei der Prokids-Kleiderkammer. „Wir wissen von Fällen, wo Einzelpersonen tütenweise Klamotten für ihre Familie in Not abgeholt haben und später erkannten Spender von uns ihre Jacke bei Ebay wieder“, berichtet er von Personen, die bis heute versuchten, aus milden Gaben Umsatz zu generieren.
Das stille Glück des Helfers
Spitz ist aktuell glücklich, dass seine Weihnachtsaktion in Villingen und Schwenningen so gut lief. Wie jedes Jahr stellt er in viel frequentierten Einrichtungen der Stadt Weihnachtsbäume auf. An den Ästen hingen kleine Briefchen mit Kinderwünschen.
Wer helfen wollte, konnte sich einen dieser Wunschzettel mitnehmen, den Wunsch erfüllen und das heiß ersehnte Playmobil oder den Kinderbuggy zur Weitergabe bei der Stiftung abgeben. „Alle Wünsche sind von Bürgern aus VS erfüllt worden, nichts bleibt offen“, sagt Joachim Spitz. Und muss gerührt schlucken.

Er betreibt mit seinem Bruder die von seinen Eltern gegründete Schwenninger Druckerei, die aktuell wie viele Firmen um Aufträge ringt. Spitz kämpft betont für all jene weiter, die noch viel grlößere Probleme haben.
Was kommt nach Corona – und wie?
„Ob es nach Corona wieder so werden kann wie zuvor? Ich weiß es auch nicht“, sagt er im späten Dezember, während die Omikron-Virusvariante um sich greift. Vieles liegt auch bei Prokids auf Eis. Zum Beispiel die Kleiderkammer. „Wir haben keine Räume und zu wenig Helfer“, sagt er. „Stand heute werden wir nach dieser Welle aber wenigstens etwas für Babysachen wieder eröffnen, aktuell geht auch hier nichts.“ Auch die Kinderkrabbelgruppe trifft sich nicht im Elterncafé. Die Mütter seien zwar alle geimpft, die Kleinkinder aber noch nicht.

Das Erzählen über die Arbeit bewegt ebenso wie das Zuhören. Joachim Spitz zieht sich in seine Druckerei zurück. eine Schwenninger Firma lässt bei ihm geheim Hiddelisgutscheine drucken. Diese Wert-Schecks können beim örtlichen Einzelhandel eingelöst werden.
An diesem Abend muss die Lieferung bei Spitz noch expediert werden. Das Geheimprojekt erledigt er selbst. Er stürzt sich jetzt gezielt in seine Arbeit. Das lenkt ab von den vielen Emotionen, die bei Gesprächen über die Hilfsaktionen aufkommen.
Wer besondere Hilfe braucht
Wer ganz für sich oder für einen Bekannten still die Hilfe bei Prokids Hilfe anfragen möchte, der kann dies auf diese Weise tun: Gudrun Mauthe ist die Drehscheibe für den Erstkontakt. Sie arbeitet im Rathaus und ist über die Rufnummer 07721/820 erreichbar. „Einfach nach ihr fragen“, sagt Spitz.