„Packender Film zeigt Stadtgeschichte“ titelte der SÜDKURIER am 10. April 2014 in der Lokalausgabe St. Georgen. Ein gutes Jahr, bevor sich die Brandkatastrophe von 1865 zum 150. Mal jährte, fiel in der Bergstadt der Startschuss für ein außergewöhnliches Filmprojekt, das St. Georgen bis weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt machen sollte (siehe Infotext).

Vielfach ausgezeichnet

Mehr als 20 internationale Auszeichnungen hat der Kurzfilm erhalten, der unter der Regie der gebürtigen St. Georgenerin Stephanie Kiewel entstand, die damals im englischen Carlisle Film- und Fernsehproduktion studierte. Der Film war dabei der praktische Teil ihrer Abschlussarbeit.

Videokonferenz mit Stephanie Kiewel. Die 28-Jährige lebt inzwischen in Manchester und arbeitet aktuell für die BBC.
Videokonferenz mit Stephanie Kiewel. Die 28-Jährige lebt inzwischen in Manchester und arbeitet aktuell für die BBC. | Bild: Nathalie Göbel

Fünf Jahre nach der Premiere und sechs Jahre nach den Dreharbeiten ist Stephanie Kiewel, die mittlerweile in Manchester lebt, immer noch Fernsehgeschäft – und inzwischen auch angekommen. Nach Ende ihres Studiums jobbte sie erst einmal knapp drei Jahre in einem Tierfachgeschäft.

Jobs bei Fernsehproduktionen sind rar. „Ich hatte hier und da immer wieder kleinere Jobs“, erzählt sie bei einem Videotelefonat. Zum Glück sei ihr Chef im Tierladen sehr flexibel gewesen und habe ihr spontan frei gegeben, wenn ihr kurzfristig TV-Jobs angeboten wurden.

Film als Türöffner

„Funkenflug“ habe sich dabei immer wieder als Türöffner erwiesen. „Ohne den Film wäre ich heute nicht da, wo ich jetzt bin“, sagt sie. Als Glücksfall sollte sich im Frühjahr 2018 ein Kontakt aus dem Tiergeschäft erweisen. „Gib mir doch mal deinen Lebenslauf mit“, sagte ein Stammkunde eines Tages, erinnert sich Stephanie Kiewel. Der Stammkunde wiederum hatte eine Bekannte, deren Tochter gerade eine TV-Produktionsfirma aufbaute.

Der Feuerwehrchef und der Lehrer haben Mühe, Bäuerin Anna davon abzuhalten, in das brennende Haus zu rennen, um ihr Kind zu retten.
Der Feuerwehrchef und der Lehrer haben Mühe, Bäuerin Anna davon abzuhalten, in das brennende Haus zu rennen, um ihr Kind zu retten. | Bild: Roland Sprich

„Am Freitag hatte ich das Vorstellungsgespräch, am Montag die Zusage für meinen ersten Vollzeitjob für eine Dokumentation“, sagt die junge Filmemacherin. Ein Glückstreffer, sind die Stellen bei Film-, und Fernsehproduktionen doch rar. Vieles ergebe sich durch Kontakte. Von ihren 30 Kommilitonen der University of Cumbria seien gerade einmal drei tatsächlich beim Fernsehen gelandet, einer davon in Australien.

Stefan Eret wird von einer Maskenbildnerin eine Wunde an der Stirn geschminkt.
Stefan Eret wird von einer Maskenbildnerin eine Wunde an der Stirn geschminkt. | Bild: Roland Sprich

Den Job im Tiergeschäft hat die 28-Jährige inzwischen aufgegeben, sie ist bis Jahresende mit Aufträgen als Freiberuflerin eingedeckt. Die Coronakrise hat allerdings auch ihr eine Zwangspause verordnet. „Die Fernsehindustrie ist praktisch über Nacht kollabiert“, erzählt sie. Noch Ende März arbeitete sie an einer Entertainment-Produktion namens „Four in a bed“ (“Vier in einem Bett“), des Senders Channel 4. Dabei testen vier Gastgeber gegenseitig ihre Bed & Breakfast-Unterkünfte und bezahlen das, was sie für ihren Aufenthalt als fair erachten.

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Stephanie Kiewels Aufgabe war es, die gesamte Produktion zu koordinieren und dafür unter anderem Drehorte und Sehenswürdigkeiten auszusuchen. „Am Sonntag wären wir eigentlich zum Dreh losgefahren, am Freitag wurde alles abgesagt und ich hatte von jetzt auf gleich keinen Job mehr“, erinnert sie sich. Erst nach mehreren Wochen sei die staatliche Unterstützung eingetroffen. „Da habe ich schon fast wieder gearbeitet“, sagt sie.

Die Einwohner von St. Georgen bringen ihr Hab und Gut in Sicherheit. Hier schleppen Klaus Lauble und Ferdinand Haas eine Kommode durch ...
Die Einwohner von St. Georgen bringen ihr Hab und Gut in Sicherheit. Hier schleppen Klaus Lauble und Ferdinand Haas eine Kommode durch die Gegend. Immer und immer wieder, bis die Szene aus verschiedenen Einstellungen im Kasten ist. | Bild: Roland Sprich

Viele Freiberufler aus der Fernsehbranche hätten in Großbritannien kaum Hilfe bekommen. „Du musstest an einem bestimmten Tag gearbeitet haben, um etwas beantragen zu können“, schildert sie. Da Jobs für Fernsehproduktionen meist nur tageweise stattfinden, seien viele leer ausgegangen.

Lockdown in Großbritannien

Den inzwischen gelockerten Lockdown hat Stephanie Kiewel als sehr einengend erlebt: Wer nicht als „essential worker“ – in Deutschland „systemrelevant“ – galt, durfte das Haus ab Ende März nur noch für den Einkauf sowie für täglich eine Stunde Sport an der frischen Luft verlassen. „Teilweise wurden sogar die Autobahnen kontrolliert, ob man einen Passierschein des Arbeitgebers vorweisen konnte.“

Stephanie Kiewel bei Dreharbeiten zu der Doku „One pound house“ in Liverpool.
Stephanie Kiewel bei Dreharbeiten zu der Doku „One pound house“ in Liverpool. | Bild: Stephanie Kiewel/privat

Seit Kurzem ist die St. Georgenerin wieder am Start: Für die BBC arbeitet sie an dem Verbrauchermagazin „Rip off Britain“, bei dem es um Hilfe in allen Lebenslagen geht: Betrügerische Immobilienverkäufer wurden hier schon aufgedeckt, aber auch Abzockerei oder schlechter Kundenservice. „Da wird richtig investigativ recherchiert“, sagt Stephanie Kiewel. Ihre Erfahrungen als langjährige freie Mitarbeiterin des SÜDKURIER seien dabei sehr hilfreich.

Die deutsche Küche fehlt ihr

Den Kontakt zu ihrer Familie in Oberkirnach hält sie eigentlich mit Besuchen, zu Coronazeiten müssen Videochats reichen. „Das fühlt sich ein bisschen nach daheim an.“ Großbritannien, ihre Wahlheimat seit nunmehr fast acht Jahren, ist Stephanie Kiewel sehr ans Herz gewachsen. Die deutsche Küche aber vermisse sie extrem. Bei Besuchen zu Hause kommen deshalb stets familieneigene Spezialitäten wie Kartoffelsalat nach dem Rezept von Vater Herbert Kiewel auf den Teller.

Rund um das Filmprojekt

„Funkenflug –Chronik einer Katastrophe“ so der vollständige Titel des Films, wurde im Sommer 2014 gedreht. Am 19. September 2015, dem 150. Jahrestag des Stadtbrandes, feierte der Film in der Stadthalle St. Georgen Premiere.

  • Die Idee: Initiiert wurde „Funkenflug“ vom Verein für Heimatgeschichte, dem Theater im Deutschen Haus und der Feuerwehr St. Georgen, die mit einem besonderen Projekt an den 150. Jahrestag des Stadtbrandes erinnern wollten. Unterstützt wurde das Filmprojekt von der Volksbank Schwarzwald-Baar Hegau, der Bürgerstiftung, der Stadt St. Georgen sowie dem SÜDKURIER.
  • Das war geschehen: Am 19. September 1865 war in der oberen Gerwigstraße gegen 8.30 Uhr ein Feuer ausgebrochen. Vermutet wird, dass zündelnde Kinder das Feuer ausgelöst hatten. 22 Wohnhäuser und die Lorenzkirche brannten innerhalb weniger Stunden ab. Die Feuerwehr St. Georgen erhielt Hilfe von Mannschaften aus Villingen, Vöhrenbach, Furtwangen, Triberg und Hornberg. Die Brandopfer hatten zumeist alles verloren. Eine im ganzen Land Baden ausgerufene Sammlung brachte Spenden in Höhe von mehr als 10 000 Gulden.
  • Die Crew: Die Crew stammte zu einem Großteil aus England und setzte sich aus Stephanie Kiewels Kommilitonen von der University of Cumbria zusammen. Auch aus St. Georgen waren zahlreiche Helfer im Einsatz, darunter Mitglieder der Puppen- und Theaterbühne und vom Verein für Heimatgeschichte. Die Laiendarsteller wurden im Juni 2014 an zwei Tagen gecastet. Mit der Schauspielerin Esther Maaß war auch ein Profi mit dabei. Die Absolventin der Stuttgarter Theaterakademie übernahm die Rolle der Bäuerin Anna. Produziert wurde der Film von Ute und Helmar Scholz und Arno Schwarz.
  • Dreharbeiten: Die Dreharbeiten fanden Ende August 2014 in St. Georgen auf dem Baderhof sowie im Heimatmuseum Schwarzes Tor, in Kirchen-Hausen bei Geisingen, im Heidschnuckenhof in Hardt, im Bauernhofmuseum Mühlhausen, in Trossingen, Oberkirnach sowie im Alten Rathaus in Villingen statt. Das Drehbuch basierte auf dem mehr als 300 Seiten umfassenden Vernehmungsprotokoll.
  • Premiere: „Funkenflug“ feierte am 150. Jahrestag der Katastrophe, am 19. September 2015, mit 1300 Besuchern bei drei Vorführungen Premiere in der Stadthalle. Einen Tag zuvor fand vor 400 geladenen Gästen die Vorpremiere statt. Die DVD zum Film ist zum Preis von zwölf Euro im Internet unter
    http://www.funkenflug-film.de erhältlich.