Könnte man den sprichwörtlich vom Herzen fallenden Stein plumpsen hören, hätte mitten in der Nacht das Treppenhaus gebebt, als Nikol Katic ihren verlorenen Geldbeutel im Briefkasten fand. „Ich bin so unendlich glücklich“, sagt sie.

Student aus Chile

Der ehrliche Finder, dem die 35-Jährige ihr Glück verdankt, heißt Jorge. Der junge Mann aus Chile studiert am Schwenninger Campus der Furtwanger Hochschule. Er möchte seinen Nachnamen nicht in der Zeitung nennen, und auch ein Foto möchte der bescheidene 22-Jährige nicht von sich machen lassen. Er will mit seiner guten Tat nicht angeben.

Eine Selbstverständlichkeit

Für ihn war die Rückgabe des Geldbeutels keine große Sache, wie er Nikol Katic bei einem persönlichen Treffen gesagt hat. Im Gegenteil: „Für ihn war es völlig undenkbar, das Portemonnaie nicht zurückzugeben“, sagt die Villingerin. Der junge Mann ist gläubiger Christ und engagiert sich stark in einer Freikirche in Schwenningen. Genau der richtige Finder für einen Geldbeutel, den seine Besitzerin gedanklich schon abgeschrieben hatte.

Diesen Zettel hat Jorge zusammen mit dem Geldbeutel in Nikol Katics Briefkasten geworfen.
Diesen Zettel hat Jorge zusammen mit dem Geldbeutel in Nikol Katics Briefkasten geworfen. | Bild: Nikol Katic

Eigentlich, sagt Nikol Katic, verliert sie nichts. Die Personalreferentin hat ihr Leben und das ihrer Familie gut organisiert. Sie checkt lieber zweimal, ob Geldbeutel, Schlüssel und Handy noch da sind und ob die Haustür auch abgeschlossen ist.

Vergangenen Freitag hat sie zum ersten Mal etwas verloren. Ihr ist passiert, was vielen schon passiert ist: Sie hatte auf dem Weg zum Auto noch telefoniert, ihr Portemonnaie auf dem Autodach abgelegt, war eingestiegen und losgefahren. Im Geldbeutel: Bankkarten, Führerschein, Krankenkassenkarten, Personalausweis – und 1000 Euro in bar, die sie im Auftrag ihrer Eltern von deren Konto abgehoben hatte.

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Bemerkt hatte sie das Missgeschick erst, als es schon zu spät war. „Ein Alptraum“, sagt sie. „Ich war völlig aufgelöst.“ Der Freitagnachmittag war gelaufen. Anstatt sich aufs Wochenende zu freuen, berichtete sie ihrer Mutter weinend von dem Missgeschick, suchte zusammen mit ihrer Schwester die ganze Wegstrecke, die Bankfiliale und das Auto ab, erstattete Verlustanzeige bei der Polizei, ließ sämtliche Karten sperren und richtete sich darauf ein, einen Tag Urlaub zu nehmen, um sich um Dinge wie einen neuen Personalausweis zu kümmern.

Mit flauem Gefühl im Magen gingen Nikol Katic und ihr Mann Bernard am Abend noch zu einer Geburtstagsfeier, auch wenn ihr eigentlich nicht nach Feiern zumute war. „Wenn es wenigstens nur mein Geld gewesen wäre“, sagt sie. „Aber dann auch noch Geld, das mir gar nicht gehört.“

Das Happy End kam spätnachts, als Bernard Katic bei der Heimkehr noch in den Briefkasten schauen wollte. „Ich habe noch gesagt, lass das doch, da ist doch eh nix“, erinnert sich seine Frau.

„Bitte pass besser auf“

Von wegen: Zu diesem Zeitpunkt hatte Jorge den Geldbeutel und die ebenfalls vom Autodach gewehten Kontoauszüge schon längst bei ihr zu Hause eingeworfen. Dazu eine handschriftliche Notiz auf Englisch: „Hallo, mein Name ist Jorge. Ich habe deinen Geldbeutel gefunden, als du bei der Santander Bank losgefahren bist. Ich konnte dich nicht mehr erwischen, deshalb bringe ich ihn dir nach Hause. Lass mich bitte wissen, dass du ihn wieder hast“, schreibt er, dazu seine Handynummer. Und weiter: „Bitte pass besser auf. Alles ist noch drinnen, ich habe nur reingeschaut, um deine Adresse herauszufinden. PS: Ich habe noch gerufen, aber du hast es nicht bemerkt.“

Polizei macht wenig Hoffnung

Nikol Katic kann ihr Glück nicht fassen. „Man geht ja doch automatisch vom Schlechtesten aus.“ Auch bei der Polizei, wo sie die Verlustanzeige aufgab, habe man ihr gesagt, dass die Chancen schlecht stünden, vor allem angesichts des hohen Bargeldbetrags. „Ich hatte bestenfalls damit gerechnet, dass das Geld weg ist und nur der Geldbeutel abgegeben wird.“

Niemand zu Hause

Jorges Ehrlichkeit überwältigt die 35-Jährige. Er hatte sich noch am Abend von einer Freundin nach Villingen fahren lassen und vergebens an der Haustür geklingelt – doch die Katics waren auf besagtem Geburtstagsfest. Deshalb warf er das Portemonnaie in den Briefkasten.

Finderlohn wird gespendet

Zwei Tage später trafen sich Jorge und die überglückliche Nikol Katic in Schwenningen. Einen Finderlohn in Höhe von 100 Euro musste sie ihm regelrecht aufdrängen. „Er wollte es erst gar nicht nehmen. Jetzt will er das Geld der Freikirche spenden, in der er sich engagiert“, sagt Nikol Katic. Auch Tage später ist sie von der Ehrlichkeit des jungen Mannes überwältigt. „Ich glaube wieder an die Menschheit“, sagt sie. „Und Jorge wünsche ich alles Glück der Welt.“