Die erste Fledermaus kam aus Donaueschingen. Die Anruferin sagte damals am Telefon, sie habe „etwas Ekliges“ gefunden und in die Mülltonne geworfen. Ellen Claaßen, Inhaberin einer privaten Vogelauffangstation in Villingen, hatte erwidert, dass sie sich damit strafbar mache – Fledermäuse stehen unter Artenschutz. Kurze Zeit später lag die Fledermaus bei ihr auf dem Tisch. Nicht größer als ein Daumennagel war das Tier. Claaßen griff zum Telefon und rief Stefan Walther von der Arbeitsgemeinschaft Fledermäuse in Tübingen an.
Er hat das Tier am nächsten Tag abgeholt. „Jungtiere“, sagt Walther, „versuchen wir großzuziehen und wieder auszuwildern“. Von den Findlingen bringen sie im Schnitt 70 Prozent durch. Das größte Problem? Die Menschen. Genauer: deren Fütterungsversuche. Wenn eine Fledermaus einmal mit Quark oder Kondensmilch gefüttert wurde, gehen die Überlebenschancen gen null. „Das ist gut gemeint, aber am Ende tödlich“, sagt Walther.
Als bei den Claaßens die zweite Fledermaus vor der Tür saß, hatte Stefan Walther Urlaub. Sie mussten es selbst versuchen. Nur 24 Stunden später hatten sie die zweite Fledermaus bei sich. Danach begannen sie aufzurüsten. Sie besuchten Kurse und lernten, wie man die Tiere am besten füttert. Lernten, dass eine Plastik-Pinzette besser ist als eine aus Metall, so können der Maus keine Zähne ausgeschlagen werden. „Wenn wir es schon machen“, sagt Claaßen, „dann richtig“. Sie hat ein Start-Up-System zusammengestellt, dazu gehören neben Mineralien und einer Vitaminpaste ein kleiner Bastkorb. „Für die Babys“, sagt sie und nimmt eines der Taschentücher aus dem Korb.
Darin wickelt sie die kleinen dann ein. Ebenfalls neu im Angebot: Mehlwürmer. Für ihre Vögel hatten sie die schon, damals noch in Haferflocken gelagert. Fledermäuse fressen jedoch nur gut genährte Würmer. Seitdem bekommen die Würmer Bio-Karotten, Vollkorntoast und mehr Bewegungsfreiheit.
Unterscheiden kann Claaßen die Fledermausarten noch nicht auf Anhieb. „Bis ich eine in der Hand hatte, wusste ich nicht, dass es Zugfledermäuse gibt“. Als eine Zweifarbenfledermaus das erste mal kam, war sie überrascht, wie groß die Tiere sein können. „Das war ein richtiger Moppel“, sagt sie. In der Schuhschachtel hat der Moppel dann sogar angefangen zu knurren. Gefüttert wurde er mit „Drohnenbrot“, wie sie sagt. Männlichen Bienen also. Sie haben die Maus am Ende lebend übergeben können. Damals noch in einem Provisorium, inzwischen haben sie eine geräumige Transportbox gebaut. Das Gehäuse haben sie, was noch fehlt: Armiergewebe. Daran kann sich die Fledermaus im Inneren festhalten. Claaßen hat einen Aufruf gestartet, eine ganze Rolle zu kaufen würde sich nicht lohnen.
Das Telefon klingelt bei Hans-Peter Straub, ehrenamtlicher Fledermaussachverständiger und angestellt bei der Unteren Naturschutzbehörde des Landratsamtes, meistens im Sommer. Meistens in der Wochenstubenzeit der Fledermäuse. Dann sind die Jungtiere oft zu groß, um auf die Jagd mitgenommen werden zu können und fallen schon mal aus dem Nest.
Rund 20 Anrufe bekommt er im Jahr. Die Dunkelziffer der gefundenen Fledermäuse liege jedoch weitaus höher. Viele werden bei Umbauarbeiten gefunden. „Das erfahren wir nicht immer“, sagt Straub. Eigentlich müssten die Tiere gemeldet und für ein Ersatzquartier gesorgt werden. Probleme wie in Blumberg im Tunnel der Sauschwänzlebahn, gebe es hier indes nicht.
In der kleinen privaten Auffangstation von Ellen Claaßen behandeln sie und ihr Mann Ralf Claaßen rund 300 Vögel im Jahr, darunter 200 Wildvögel. Allein fünf Kilogramm Aufzuchtfutter benötigt sie für die kleinen Vögel. Dazu kommen Tierarztbesuche und Materialkosten. Rund 5000 Euro sind es im Jahr. Vögel sind Ellen Claaßens Leidenschaft. Fledermäuse beginnt sie langsam zu mögen: „Es sind einfach tolle Tiere“, sagt sie. „Sie haben einen Charme, dem ich erlegen bin.“