Schwarzwald-Baar – Sie ist Diplomingenieurin und stammt aus Durchhausen. In dem 900 Einwohner großen Ort ist 15 Kilometer vor Villingen-Schwenningen eine Frau aufgewachsen, die immer präsenter wird in der deutschen Wirtschaftswelt. Martina Merz saß bislang bereits dem einflussreichen Aufsichtsrat des Thyssen-Krupp-Konzerns vor. Die 56-Jährige steigt in der Weltfirma, die bei Rottweil den bekannten Aufzug-Turm betreibt, jetzt im operativen Geschäft ein – und zwar ganz oben.
Villingen-Schwenningen kennt Martina Merz aus ihrer Jugendzeit. Ihr Abitur baute sie 1982 mitten in Schwenningen am technischen Gymnasium. Mitschüler von damals erinnern sich sogar noch an sie. Kein Wunder: Junge Frauen waren damals rar gesät an dem akzentuiert technisch geprägten Lehrinstitut unweit des Eisstadions. An ihrem Gymnasium gelangte Martina Merz auch in ihre erste Führungsaufgabe – als Klassensprecherin.

Eine Handvoll Frauen und ansonsten Männer – das ist die Situation, in der sich Martina Merz bis heute öfters wiederfindet. In den so genannten Teppich-Etagen der großen Konzerne ist speziell sie aber längst etabliert. Nach der Schulzeit begann sie bei Bosch in Stuttgart. 1988 wurde sie Leiterin einer Gruppe in der Planung Elektronikfertigung – einem Team, in dem sie zuvor schon als Sachbearbeiterin tätig gewesen war. Als Vorgesetzte von einem halben Dutzend Kollegen, alle älter als sie, das prägte sie und ihr Führungsverständnis. Bei dem Automobilzulieferer Brose rückte sie 2001 ins Management. Schließsysteme wurden produziert und Martina Merz wurde Brose-Geschäftsführerin in Wuppertal und hatte damit die Verantwortung für 750 Mitarbeiter. Das waren Jahre, als Firmen in der Peripherie der großen Automobilhersteller auf Schrumpfkurs gehen mussten. Aus jener Zeit ist ein Satz von ihr überliefert, der auch ins Jahr 2020 passt: „Schwache Führungskräfte scheuen sich, kritische Themen anzusprechen.“ Andererseits gab sie vor Jahren zu Protokoll, dass sie auch gerne im Alltag ihre Führungsqualitäten weiterentwickle, etwa mit dem Blick auf junge Mütter. „Sie sind die idealen Führungskräfte: kompromisslos und zugleich von Zuneigung erfüllt.“
Aktuell überschlagen sich die Dinge bei ihr: Erst im Januar 2019 wurde Martina Merz an die Spitze des Aufsichtsrates von Thyssen-Krupp gewählt. Dem Gremium gehören Vorstandsvorsitzende von Dax-Konzernen und hochrangige Wirtschaftsexperten an. Und jetzt, im Herbst, da rauscht es nicht nur im Blätterwald, sondern auch in der Chefetage des Industriekonzerns. Martina Merz greift durch. Der Vorstandsvorsitzende wird von seinen Aufgaben entbunden und die Frau vom Heuberg übernimmt das Kapitänsruder selbst – vorübergehend für ein Jahr, wie die Fachpresse berichtet. Die Zentrale in Essen, weltweit 161 000 Mitarbeiter, 35 Milliarden Euro Umsatz und ein aktuell intern wie extern schwieriges Umfeld. Thyssen-Krupp hat gescheiterte Fusionsgespräche mit dem indischen Stahlgiganten Tata hinter sich. Seit Monaten wird der Börsenkurs des Unternehmens von Nachrichten getrieben, wonach die Abspaltung des Aufzugsbereichs bevorstehen soll. Der Aufzugsbereich, dessen herausragendes Symbol der Rottweiler Testurm darstellt, gilt als profitabel, andere Konzernsegmente rudern im Globalisierungsdruck um Marktanteile. Der Konzern, der 1999 aus der Fusion von Krupp und Thyssen entstanden war, wurde erst vor Monatsfrist zurechtgestutzt. Die Aktie wurde aus aus dem deutschen Aktienindex verbannt.

Diese Gemengelage wartet nun auf Martina Merz. Beim Konzern hofft ein Großaktionär auf eine Sonderdividende aus dem Verkauf der Aufzugssparte. Ob Martina Merz sich drängen lässt? Aus ihrer Zeit bei einem Bremsenhersteller ist zu ihr in Fachpublikationen notiert: „Sie hat sich nie bremsen lassen.“ Zudem gilt sie in Finanzkreisen als hoch geschätzt: „Liebling der Finanzinvestoren“ schreibt taktuell das Manager Magazin über sie.
Eine kluge und erfahrene Hand ist bei Thyssen-Krupp vonnöten. Für die Aufzugssparte soll sich ein finnischer Spezialanbieter als neuer Eigentümer interessieren. Was bedeuten würde: Rund um das Rottweiler Schwarze Tor sind vielleicht schon demnächst ganz neue Fremdsprachen-Kenntnisse zu empfehlen.