Zuhören, miteinander sprechen: Für Giovanni Maio, Mediziner, Philosoph und Ethikprofessor sind dies die Kernkompetenzen der Heilberufe. Er ging in einem Vortrag im Rahmen des VS-Forums der Frage nach, wie menschlich Medizin zwischen Digitalisierung und Leistungsdruck sein kann.
600 Gäste
Der Einladung des SÜDKURIER-Medienhauses waren 600 Gäste gefolgt, die in der Villinger Tonhalle gebannt dem einstündigen Vortrag Maios lauschten. Im Anschluss gab es eine Gesprächsrunde mit Ulrich Fink, dem ärztlichen Direktor des Schwarzwald-Baar-Klinikums und SÜDKURIER-Redaktionsleiter Norbert Trippl.

Vorschuss für Patienten
Eindrucksvoll schilderte Giovanni Maio, warum das Zuhören so wichtig ist: Der Arzt höre dem Patienten zu, ohne im Vorfeld zu wissen, was er sagt. „Ich gebe ihm damit einen Vorschuss, ich setze ihn auf ein Podest, er fühlt sich wahrgenommen.“ Allein durch das Zuhören habe der Patient das Gefühl, nicht auf eine Nummer reduziert zu sein, sondern etwas Besonders. Nur so könnten Arzt und Patient eine Vertrauensbeziehung aufbauen: „Das darf nicht nur eine Vertragsbeziehung sein.“ Für den Patienten müsse nicht nur die richtige Lösung gefunden werden, es muss „die passende“ sein.

Gespräch kann heilen
Noch mehr Bedeutung misst Maio dem Gespräch bei: „Das kann heilend sein.“ Ärzte müssten vor allem Geduld mitbringen und den Patienten verstehen, ihn ganzheitlich wahrnehmen. Wichtig sei es, dem Patienten zu vermitteln, dass er trotz seiner Krankheit ein gutes Leben führen kann.
Wie funktioniert der Alltag?
In der Gesprächsrunde wollte Norbert Trippl wissen, wie sich dies denn im Klink-Alltag überhaupt umsetzen lasse. „Man muss die Wirklichkeit sehen“, so Maio. Ärzte und Pfleger nähmen sich die Zeit für die Patienten, „trotz der Strukturen“. „Aber sie müssen ständig gegen ihre Bewertung ankämpfen und gegen den Verdacht, nicht effizient genug zu sein.“
Frustrierte Ärzte
Die Heilberufe seien zu stark eingetaktet, Ärzte seien frustriert und demotiviert, so Giovanni Maio. „Pfleger stimmen mit den Füßen ab, sie gehen einfach und die Kliniken suchen händeringend Personal.“ Ärzte dürften nicht danach bewertet werden, was sie erlösen, so Maio unter lautem Applaus des Publikums. Seiner Meinung nach seien falsche Anreize da und die Bewertungsmodi der Kliniken seien falsch. Die Pauschalen würden dazu führen, dass mehr Eingriffe durchgeführt werden und weniger Zeit für die Patienten übrig bleibe.

Ulrich Fink betonte, dass am Klinikum die Ärzte bei ihrer Arbeit nicht an das Geld und den Erlös denken würden. Lautes, protestierendes Raunen im Publikum war die Folge dieser Bemerkung. Fink brach im Gesprächsverlauf eine Lanze für das Engagement aller Beschäftigten im Klinikum.

Bei der Diskussion gab es immer wieder Zustimmung für Maio. Selbst bei den Publikumsfragen gab es oft zustimmende Anmerkungen, etwa von Sigrid Zwetschke, die in Donaueschingen eine Selbsthilfegruppe für Patientinnen leitet. Maio wurde nach Veranstaltungsende für seinen Auftritt vielfach beglückwünscht. Der in Italien geborene Denker erwies sich dann auch als echter Charmeur.