Herr Noltemeyer, Sie fliegen in wenigen Wochen nach Kalkutta, um zu helfen. Warum engagieren Sie sich bei German Doctors?
Ich möchte schon seit vielen Jahren einmal im Ausland helfen. Ich hatte mich auch einmal beim IKRK (Internationales Komitee vom Roten Kreuz) gemeldet. Einmal hätte ich ins Kosovo gehen können, da begann aber just die Hochphase des Kosovokriegs, so dass der Einsatz abgesagt wurde. Auch hätte ich in die Ukraine gehen können, da ging es aber um die Evaluation von Krankenhausausrüstung wie EKG- oder Ultraschallgeräten.

Und Sie möchten lieber mit Menschen arbeiten, anstatt medizinisches Gerät zu katalogisieren.
Genau. Ich wollte keine Büro- oder Behördentätigkeit, also habe ich mich irgendwann beim IKRK abgemeldet. German Doctors kümmert sich um die Ärmsten der Armen und ist an Orten, wo die Menschen keine medizinische Versorgung haben. Anders als bei Ärzte ohne Grenzen geht es dabei aber nicht in akute Krisengebiete. Und man geht nur sechs Wochen, nicht drei Monate. Allerdings gibt es auch Langzeitärzte. In Kalkutta sind das zwei Ärzte, von denen der eine bereits seit 15 Jahren dort ist. Neu hinzugekommen ist eine Gynäkologin. Das ist sehr wichtig, denn Indien ist ein sehr prüdes Land, die Untersuchung einer Frau ist schwierig. Auch Männer sind sehr schamhaft.

Wie bereitet man sich auf die Gegebenheiten vor?
Ich habe einen Vorbereitungskurs in Würzburg absolviert, das war ganz aufschlussreich. Dort waren erfreulicherweise auch relativ viele junge Leute. Dann gab es noch ein Projektseminar, das hat mir meinen Bammel schon etwas genommen.
Vor was hatten Sie Angst?
Indien ist für mich eine völlig fremde Lebenswelt. Es hat so etwas Mystisches, davor hatte ich immer ein bisschen Angst. Freunde von mir, die bereits für German Doctors in Kalkutta waren, haben kürzlich die Altersgrenze für Einsätze – 75 Jahre – erreicht. Sie jammern schrecklich, dass sie nun nicht mehr dort hindürfen, das will doch was heißen (lacht).
Wie muss man sich die Arbeit vorstellen?
Es sind immer sechs Ärzte gleichzeitig dort. Morgens wird alles in einen Sprinter gepackt und man fährt in die Slum-Ambulanzen, wo man in gemieteten Räumen arbeitet. Jeder Arzt hat etwa 70 bis 80 Patienten am Tag zu betreuen. Ein Dolmetscher ist immer dabei. Englisch ist zwar eine der Amtssprachen in Indien und sehr viele sprechen es, aber das indische Englisch ist für Ausländer nur schwer verständlich. Man hat einen acht-Stunden-Tag und ist gehalten, auch pünktlich Feierabend zu machen, denn es arbeiten ja nicht nur wir Ärzte, sondern auch Krankenschwestern mit. Diese übernehmen dort sehr zentrale Aufgaben. Bei 70 bis 80 Patienten am Tag bleibt außer der Untersuchung nicht viel Zeit. Kommt jetzt zum Beispiel eine Mutter mit einem unterernährten Kind, muss sie ja alles erklärt bekommen, über Ernährung, über das Stillen, das alles ist Aufgabe des Pflegepersonals. Ich werde wohl viele Kinder behandeln, doch es geht häufig auch um Zivilisationskrankheiten wie Bluthochdruck, Diabetes, aber auch um Fehl- und Unterernährung und Wurmkrankheiten. Außerdem leiden viele Menschen an Tuberkulose.

Und die Patienten kommen dann einfach zu den Ambulanzen.
Genau, Termine gibt es nicht, die Menschen hätten sowieso kein Telefon. Jeden Morgen trifft man eine Auswahl, welche Patienten an diesem Tag am dringendsten behandelt werden müssen. Die anderen bekommen ein Kärtchen und dürfen am nächsten Tag kommen. Wir machen auch Hausbesuche, um zu überprüfen, ob die Patienten auch wirklich bedürftig sind, denn German Doctors behandelt kostenlos. Indien hat ein relativ gutes Gesundheitssystem – aber nur für diejenigen, die es sich leisten können, da privat bezahlt werden muss. Daher sollen auch wirklich nur die Armen behandelt werden.
Ein Land der krassen Gegensätze also.
Ja, absolut. Einerseits hat man Metropolen wie Kalkutta, die stolz darauf sind, ihre U-Bahn mit eigener Technik gebaut zu haben und unglaublich kompetente IT-Fachkräfte, andererseits gibt es auch ganz entsetzliches Leid.
Und worauf freuen Sie sich am meisten?
Ich vermute, das wird so sein wie hier: Darauf, dass ich Patienten helfen kann. Ich glaube, man bekommt unheimlich viel zurück – und da reicht schon ein Lächeln als Dank.
Zur Person
Norbert Noltemeyer ist 70 Jahre alt und kam nördlich von Frankfurt zur Welt. Der Mediziner ist Internist und betrieb 30 Jahre lang zusammen mit einem Kollegen eine Hausarztpraxis in Schwenningen. Vor zwei Jahren wurde sie aufgegeben, die Suche nach einem Nachfolger blieb erfolglos. Norbert Noltemeyer wird für die Organisation German Doctors nach Indien reisen. In seiner Freizeit engagiert sich der Mediziner stark im kirchlichen Bereich. Die Projekte der Organisation German Doctors, werden von vielen Prominenten unterstützt. Darunter auch von Schauspielerin Maria Furtwängler, die auch selbst Ärztin ist und bereits für German Doctors im Einsatz war. Informationen im Internet gibt es unter http://www.http://german-doctors.de (ath)