"Ich weiß wirklich nicht mehr, was wir tun sollen, wir sind verzweifelt." Herr S. (Name der Redaktion bekannt) aus Schwenningen sitzt im Büro von Reinhold Hummel bei der Diakonie in Schwenningen. Er betreut die Familie mit vier Kindern im Alter von einem, fünf, sieben und neun Jahren seit längerer Zeit. Vor einem halben Jahr kam die Kündigung wegen Eigenbedarf und seitdem sucht die Familie händeringend eine neue Bleibe. Bislang ohne Erfolg.
"Ich habe bestimmt mehr als 150 Bewerbungen geschrieben und nur Absagen erhalten", erzählt der Familienvater mit leiser Stimme. Für Reinhold Hummel zeigt dieses Beispiel ganz klar, wie dramatisch die Lage auf dem Wohnungsmarkt in der Doppelstadt.
Im Oktober hat der Gemeinderat es mehrheitlich abgelehnt, künftig eine Quote von 30 Prozent Sozialwohnungen auf privaten Grundstücken vorzuschreiben. Die Räte wollen diese Quote nur für städtische Grundstücke, um Investoren nicht zu verprellen. Außerdem werde der Markt das richten.
Trotz der Anstrengungen kein Ausblick auf eine Wohnung
Dem widersprechen aber die Wohlfahrtsverbände entschieden: "Die Stadt muss Verantwortung übernehmen, der Markt richtet es nicht“, forderte beispielsweise Anita Neidhardt-März, Geschäftsführerin des Diakonischen Werks. Die Situation werde sich weiter verschärfen, es gebe auch in der Doppelstadt Wohnungsnot, wie das Schicksal von Familie S. zeigt.
Reinhold Hummel kann nicht verstehen, warum die sechköpfige Familie aus dem Kosovo keine Wohnung findet: "Der Mann lebt seit elf Jahren hier, arbeitet und verdient Geld, es gibt noch eine Aufstockung und die Frau kümmert sich um die vier Kinder." Die Diakonie sei hier "ohnmächtig": "Wir haben ja keine Wohnungen in der Hinterhand." Man könne der Familie nur zur Seite stehen, Tipps geben und immer wieder versuchen, Mut zuzusprechen.
"Unser ganzes Leben ist nur noch darauf ausgerichtet, eine Wohnung zu suchen"
Aber: "Wenn das Grundbedürfnis, eine Wohnung zu haben, nicht erfüllt sei, könne man alle anderen Probleme nicht lösen. "Die Wohnung ist der unterste Baustein einer Pyramide, wenn es hier gravierende Probleme gibt und dieser Stein wackelt, kippt die Pyramide."
Und bei Familie S. wackelt der Stein gewaltig: "Unser ganzes Leben ist nur noch darauf ausgerichtet, eine Wohnung zu suchen." Man müsse mit dem Frust umgehen, ständig Absagen zu bekommen und der zunehmenden Angst, auf der Straße zu stehen. Mittlerweile leiden auch die Kinder unter der angespannten Situation: "Sie weinen viel und sind nicht mehr so fröhlich wie früher", berichtet der Vater. Die Kinder sind auch ein Hindernis auf dem Weg zu einer anderen Wohnung, er bekomme oft zu hören: "Ein Hund wäre kein Problem."
Ende November sollte die Familie eigentlich aus der Wohnung raus sein, wie es jetzt weitergeht, weiß die Familie noch nicht. "Der Vermieter kann dann eine Räumungsklage anstrengen bei begründetem Eigenbedarf, ab da tickt die Uhr", so Hummel. Die Familie habe dann noch eine knappe Frist, dann könnte im schlimmsten Fall der Spediteur vor der Türe stehen und als letzter Ausweg bliebe die Obdachlosenunterkunft der Stadt.
Von Tag zu Tag wird die Hoffnung geringer
Dass die Familie einen Wohnberechtigungsschein hat, erschwert die Suche ebenfalls, da die Größe der Wohnung und die Miete genau vorgeschrieben sind. Die Wohnung darf nicht größer als 120 Quadratmeter sein und nicht mehr als 900 Euro warm kosten. Sonst gibt es keine Förderung. Aber Wohnungen in dieser Preisklasse sind fast keine auf dem Markt.
"Die meisten – selbst kleinere – kosten mindestens 1000 Euro oder mehr Warmmiete", erzählt der Familienvater. Bei seinem Verdienst könne er sich das unmöglich leisten. Auch bei den Baugenossenschaften und der Wohnungsbaugesellschaft steht die Familie auf Wartelisten, aber bislang hat sich nichts ergeben. Die Wbg habe der Familie eine nicht renovierte Wohnung angeboten, da wären 3000 Euro für die Sanierung fällig gewesen: "Und dieses Geld hat die Familie nicht."
In einer ähnlichen Lage ist Muhammed A. (Name der Redaktion bekannt) aus Villingen. Er hat zwar nur ein Kind, eine kleine Tochter, aber die dreiköpfige Familie lebt auf engstem Raum in einer Ein-Zimmer-Wohnung. Er nächtigt im Sommer auf dem Balkon und im Winter im Windfang. "Ich schlafe natürlich schlecht und bin den ganzen Tag gerädert." Seit 16 Jahren lebt er in der Doppelstadt und hat immer komplett alleine für seinen Unterhalt gesorgt: "Ich bin nie jemandem zur Last gefallen." Auch Muhammed A. hat eine geregelte Arbeit, er könnte eine Wohnung bezahlen, aber natürlich nur eine günstige Wohnung.
Optimal wäre für die Familie eine Drei-Zimmer-Wohnung. Die Diakonie Villingen betreut Muhammed A., seine Frau und die Tochter: "Aber wir sind mit unserem Latein auch am Ende, ich würde es mir so wünschen, dass die Familie eine Wohnung findet", sagt Diakonie-Mitarbeiterin Luitgard Schmieder. Das Problem: Der Mann wird als erstes von den Vermietern nach seiner Religion gefragt und: "Sie wollen gleich wissen, ob meine Frau ein Kopftuch trägt." Ja, sie trägt eins, aber aus freien Stücken, wie er betont. "Warum ist es wichtig, welcher Religion ich angehöre, wenn ich meine Miete regelmäßig bezahle", fragt er sich verwundert.
Die Wohnraumstrategie der Stadt VS und Reaktionen darauf
- Mit einer umfassenden Wohnraumstrategie wollte die Stadt 1000 neue Sozialwohnungen schaffen. Dafür sollte eine Sozialquote von 30 Prozent auf städtischen und privaten Grundstücken gelten. Der VS-Gemeinderat hat die Sozialquote für private Investoren, die neue Wohnungen bauen, abgelehnt. Damit ist ein Element der städtischen Wohnraumstrategie, bis 2020 rund 1000 neue Wohnungen allein im sozialen Wohnungsbau zu schaffen, weggebrochen. Die Quote gilt jetzt nur für städtische Grundstücke und so könne nach Meinung der Wohlfahrtsverbände die Not auf dem Wohnungsmarkt nicht gelindert werden.
- Die untragbare Situation auf dem Wohnungsmarkt hat die Mitglieder der Liga der freien Wohlfahrtspflege bewogen, eine Fragenbogen-Aktion zu starten. Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum betreffe auch zunehmend normal verdienende Familien und setze diese unter Druck. Um hier endlich Klarheit zu schaffen, wurde über die Beratungsstellen der Wohlfahrtspflege ein Fragebogen in Umlauf gebracht, der belastbare Zahlen zur Situation auf dem Wohnungsmarkt liefern soll.
- Der Mieterbund sieht in der Entscheidung des Gemeinderates auch einen Rückschlag für den sozialen Wohnungsbau. Die Wohnungsnot besonders im Bereich des preisgünstigen Wohnraums werde sich deutlich erhöhen. Auch werde es mehr Räumungsklagen geben, wenn sich die Mieter die Miete nicht mehr leisten können und keine günstigere Alternative finden. (cho)