Villingen-Schwenningen – Am Mittwoch entscheidet der Gemeinderat über die Wohnraumstrategie, in der erfasst ist, wie viele Sozialwohnungen die Stadt künftig braucht und wie es gelingen könnte, diese schnell zu bauen. Rund 1000 solcher Wohnungen fehlen in der Doppelstadt. Der Technische Ausschuss hat sich zwar mehrheitlich dafür ausgesprochen, dass in Zukunft eine Quote von 30 Prozent Sozialwohnungen auf städtischen Grundstücken realisiert werden muss. Diese Quote aber auch auf private Grundstücke auszudehnen, lehnte eine Mehrheit zumindest im Ausschuss aber ab. So lasse sich aber die gewünschte Zahl an Sozialwohnungen nicht erreichen, erklärt Henning Keune, der Leiter des Stadtentwicklungsamtes.
- Reaktion der Wohlfahrtsverbände: Die Wohlfahrtsverbände, die täglich mit Menschen zu tun haben, die verzweifelt auf der Suche nach günstigem Wohnraum oder einer für ihre Verhältnisse passenden Wohnung sind, sehen mit Sorge, dass die Wohnraumstrategie aufgeweicht wird. "Das ist nicht sehr sozial gedacht", so Michael Stöffelmaier, Geschäftsführer des Caritas-Verbandes Schwarzwald-Baar. Er ist der Meinung, dass auf dem Wohnungsmarkt viel Geld zu verdienen ist und auch private Investoren ihren Beitrag zum Sozialen Wohnungsbau leisten sollten. Es ist das drängendste Problem, mit dem sich Menschen hilfesuchend an die Wohlfahrtsverbände wenden. "Oft ist die Not so groß, dass wir sogar schon Mitarbeiterwohnungen mit Klienten belegt haben", schildert Stöffelmaier die Problematik. Allerdings braucht er die Wohnungen auch dringend, um überhaupt Mitarbeiter zu finden.
- Krasse Fälle: Angelika Neidhard-März, Geschäftsführerin des Diakonischen Werkes, ist der Meinung, dass es der Markt nicht richten wird, womit ja die FDP ihre Ablehnung des Papiers begründet. "Menschen in prekären Lebenssituationen haben keine Lobby und darum ist diese Wohnraumstrategie so wichtig." Luitgard Schmieder von der Diakonie spricht von einer großen Verzweiflung vieler Menschen, die oft seit Monaten eine Wohnung suchen. "Das sind ältere Leute, denen der Partner gestorben ist und sie alleine die Wohnung nicht finanzieren können. Eine kleinere zu finden, ist aber aussichtslos." Sie berichtet von einem krassen Fall, wo ein Mann, der mit seiner Familie in einer Ein-Zimmer-Wohnung lebt, aus Platzmangel auf dem Balkon schläft. "Im Winter rollt er sich im Windfang wie eine Katze zusammen", erzählt Luitgard Schmieder betroffen. Eine größere Wohnung für die dreiköpfige Familie habe sich trotz aller Anstrengungen noch nicht finden lassen.
- Wohnung als Grundbedürfnis: Reinhold Hummel von der Diakonie Schwenningen weiß von Fällen, wo ältere Menschen vor der Entscheidung stehen, entweder Essen zu kaufen oder die Wohnung zu heizen. "Das ist bitter, das mit ansehen zu müssen." Wenn das Grundbedürfnis, eine Wohnung zu haben, nicht erfüllt sei, könne man alle anderen Probleme nicht lösen. "Die Wohnung ist der unterste Baustein einer Pyramide, wenn es hier gravierende Probleme gibt und dieser Stein wackelt, kippt die Pyramide."
Quote für alle ist notwendig, um Ziel von 1000 Sozialwohnungen zu erreichen
Die statistischen Zahlen, auf denen die Wohnraumstrategie aufbaut, sind von Frank Bonath (FDP), massiv in Zweifel gezogen und als nicht aktuell kritisiert worden. Der SÜDKURIER hat bei dem Leiter des Stadtentwicklungsamtes, Henning Keune (Bild) nachgefragt, wie die Zahlen zustande kommen und warum mit Zahlen von 2014 gearbeitet wird.
Warum werden für die Berechnung der Bedarfe an sozial gefördertem Wohnraum keine aktuellen Einwohnerzahlen verwendet?
In der Statistik wird wegen der Vergleichbarkeit mit gleichen Stichtagen gearbeitet. In den meisten Fällen ist dieser Stichtag der 31. Dezember, manchmal der 30. Juni eines Jahres. Alle anderen Zahlen bauen darauf auf. Da seit 2016 an der Wohnraumstrategie gearbeitet wird, haben wir auf die Zahlen zum 31.12.2014 zurückgegriffen, die von 2015 lagen zu diesem Zeitpunkt noch nicht vor. Allerdings haben wir natürlich eine Anpassung an aktuelle Zahlen vorgenommen, nur bei den Basisdaten nicht, das ist nicht möglich. Wir haben weiterhin die Flüchtlingszahlen noch draufgerechnet, da diese bisher nicht berücksichtigt waren. Zum 31. Dezember 2017 weicht die tatsächliche Einwohnerentwicklung nur um circa 100 Einwohner von unserer Vorausberechnung ab.
Warum kann die Belegungsdichte bzw. Haushaltsgröße des Schwarzwald-Baar-Kreises vom Statistischen Landesamt nicht unmittelbar auf VS angewendet werden?
Die Doppelstadt hat eine komplett andere Bevölkerungsstruktur als die Gemeinden des Landkreises. Im Kreis gibt es beispielsweise mehr Familienhaushalte, in VS sind es mehr Ein- oder Zwei-Personen-Haushalte. Dies hat auch Herr Bonath berücksichtigt. Bei der Wohnraumstrategie geht es allerdings nur um die großen Stadtbezirke Villingen und Schwenningen, in den gesamtstädtischen Zahlen des Statistischen Landesamtes sind aber auch die Ortschaften berücksichtigt. Dort gibt es in absehbarer Zeit aber keine Wahrscheinlichkeit, größere Mietwohnungsbauprojekte zu realisieren.
Wie hoch sind die Fördergelder für die Errichtung von Sozialwohnungen?
Das lässt sich pauschal nicht sagen, bislang gab es nur zinsvergünstigte Darlehen für die Investoren, seit 2017 können sie auch Zuschüsse beantragen. Eine Förderung hängt auch von der Laufzeit ab, also wie lange eine Wohnung als Sozialwohnung gebunden wird (10, 15, 25 oder 30 Jahre). Je länger die Zweckbindung, desto höher der Zuschuss. Die L-Bank ermittelt dann die Fördersumme auf Grund der Kalkulation des Investors. Wenn ein Investor Sozialwohnungen baut, muss er sicher anders kalkulieren, es kann aber auskömmlich gestaltet werden.
Wäre es möglich, mit einer Quote von 30 Prozent öffentlich gefördertem Wohnungsbau den vorhandenen Bedarf abzudecken?
Wenn die Wohnraumstrategie so umgesetzt wird, mit einer Quote von 30 Prozent auf privaten und städtischen Grundstücken, dann könnten wir den von uns ermittelten Bedarf von rund 1000 neuen Sozialwohnungen decken. Ist die Quote nur bei städtischen Grundstücken zu erfüllen, wird uns das nicht gelingen. Grundsätzlich haben wir unsere Berechnungen sowieso schon mit konservativen Zahlen durchgeführt, um auf jeden Fall einen überhöhten Bedarf zu vermeiden.
Fragen: Claudia Hoffmann