Im ersten Moment klingt die Sache einfach nur absurd: Refugio, das psychosoziale Zentrum für Flüchtlinge, mahnt die Dolmetscherin Firdevs Ezer ab, weil sie sich an einem heißen Juli-Tag ein Glas Wasser nehmen möchte und sich deswegen an Schränken zu schaffen macht. Doch was sagt die Rechtslage eigentlich zu Fällen wie diesen?
Anruf bei Markus Fink. Der Jurist ist Mitinhaber der Villinger Kanzlei Heimburger-Schlenker-Fink und als Fachanwalt auf Arbeitsrecht spezialisiert. In seinem Berufsalltag hat er schon mehrfach Fälle auf den Schreibtisch bekommen, bei denen sich Streitigkeiten am Arbeitsplatz an vermeintlichen Kleinigkeiten entzündeten. „Bagatellfälle“ nennen die Juristen sie oft – weil es hier eben um keinen großen Wert oder Schaden geht.
Im Refugio-Fall hat sich der Streit daran entzündet, dass Firdevs Ezer sich zunächst Wasser aus dem Kühlschrank holen wollte sowie danach ein Glas, um sich alternativ Leitungswasser einzulassen.
„Zum wiederholten Mal waren Sie in Räumen, die ganz deutlich als privat gekennzeichnet sind, waren eigenmächtig an den Schränken samt Kühlschrank, um sich selbst zu bedienen“, heißt es am Tag darauf in der Abmahnung, die die Flüchtlingsorganisation an Ezer schreibt.
Streit um echte Kleinigkeiten
Er hat Arbeitnehmer in solchen Geschichten rund um Kleinigkeiten aller Art vertreten, aber auch Arbeitgeber, erzählt Markus Fink. „Da kommt es durchaus vor, dass es arbeitsrechtliche Maßnahmen gibt, die der Normalbürger nicht versteht.“
Eins aber, so sagt der Experte, sei in vielen dieser Fälle ähnlich. „Oft gibt es eine Vorgeschichte, die nur die beiden Parteien kennen.“ Diese führe dann sehr häufig dazu, dass selbst Kleinigkeiten das Fass zum Überlaufen bringen.
War dies im Schluck-Wasser-Fall von Villingen vielleicht so? Firdevs Ezer selbst bestreitet dies, will die stellvertretende Geschäftsführerin, die später die Abmahnung schicken wird, nur flüchtig vom Sehen kennen. Refugio selbst dagegen äußert sich erst gar nicht zum Hergang.
Wichtig ist immer: Was wurde vereinbart?
Zum Fall von Refugio kann Markus Fink naturgemäß keine Auskunft geben. Hierzu fehlt ihm das Hintergrundwissen.
Was tatsächlich erlaubt ist oder auch nicht, lasse sich pauschal ohnehin nicht sagen, erklärt Markus Fink. „Es kommt bei jedem Fall immer darauf an, was zwischen den Arbeitsvertragsparteien vereinbart ist“, betont er.
Im Umkehrschluss heißt dies: Was nicht abgesprochen wurde, ist eigentlich nicht selbstverständlich und kann Konsequenzen haben.

Etwa das Thema Handy, nennt Markus Fink ein Beispiel. Wer sein privates Mobiltelefon bei der Arbeit laden möchte, muss strenggenommen vorher fragen. Schließlich wird hier Strom auf Kosten des Arbeitgebers verbraucht.
Kleinlich? Wer es nicht tut, dem können jedenfalls arbeitsrechtliche Konsequenzen drohen. „Man darf sich nicht bedienen wie in einem Selbstbedienungsladen“, stellt der Rechtsanwalt klar. „Das mag kleinkariert sein, aber man muss einfach vorab fragen, was erlaubt ist.“
Nicht jeder geringe Verstoß reiche aber direkt aus für eine Kündigung, betont Arbeitsrechtler Fink. Im Arbeitsrecht gelte immer die Frage der Verhältnismäßigkeit.
Beispiel: Ein seit Jahrzehnten unbescholtener Mitarbeiter etwa könne nicht ohne Weiteres sofort entlassen werden, nur weil er eine Büroklammer mitgenommen hat.
„Gesetz und Rechtsprechung sehen hier eine abgestufte Reaktionsmöglichkeit des Arbeitgebers vor: In der Regel beginnt diese mit einer Ermahnung, gefolgt von einer Abmahnung – und erst bei wiederholtem oder schwerwiegendem Fehlverhalten kommt eine Kündigung in Betracht.“
Jeder Einzelfall ist anders
Letztlich, so Fink, komme es jedoch immer auf die Schwere der Pflichtverletzung und die konkreten Umstände des Einzelfalls an. Nur anhand einer sorgfältigen Abwägung könne beurteilt werden, welche arbeitsrechtliche Maßnahme angemessen und rechtlich zulässig sei.
Zurück zum Schluck Wasser wie bei Dolmetscherin Firdevs Ezer. Die Situation klingt zwar zunächst tatsächlich nach einer Lappalie. Andererseits dürfte im Laufe des Vertragsverhältnisses einiges an kühlem Nass zusammenkommen, so Markus Fink. Ob dann immer noch einer „Bagatelle“ gesprochen werden kann, könnten nur die Gerichte abschließend klären.