1970 gab es in Deutschland über 20.000 Verkehrstote. 2019 lag die Zahl bei 3056, ein gewaltiger Rückgang. Einen bedeutenden Anteil daran haben sicherlich die Autos selbst. Sie sind über die Jahre immer sicherer geworden. Die Einbaupflicht von Sicherheitsgurten in Neuwagen wurde beispielsweise 1974 erlassen. Heute überwachen intelligente Systeme die Fahrt. Gefahren werden frühzeitig erkannt. Kommt es zum Unfall, werden blitzschnell, teilweise schon vor einem Aufprall, weitere Sicherheitsvorkehrungen aktiviert.
Ein Entwicklungsingenieur, dem zahlreiche dieser Innovationen im Bereich Fahrzeugsicherheit zu verdanken sind, stammt aus Villingen. Karl-Heinz Baumann war über 35 Jahre lang für Mercedes-Benz in Sindelfingen tätig und stand dem Unternehmen in seinem Ruhestand weiter als Berater zur Seite.
Werdegang
Am 11. Mai 1951 erblickte Baumann in Villingen das Licht der Welt und wuchs zusammen mit drei älteren Schwestern im Elternhaus in der Bleichestraße auf. Nach Zwischenstationen in Böblingen und Sindelfingen lebt er seit 1987 in Bondorf bei Herrenberg. In Villingen ist er aber noch regelmäßig zu Besuch bei seiner Mutter Paula Baumann, die mit 106 Jahren die älteste Bürgerin der Stadt ist.
Nach seinem Schulabschluss an der Bubenschule – ein Besuch weiterführender Schulen war in jener Zeit eher die Ausnahme – trat der damals 15-Jährige eine Lehre als Werkzeugmacher an. „Ich habe schon immer gerne gebastelt“, erinnert er sich. „Das war jedoch ein echter Kellerbetrieb. Ich habe mich da ausgenutzt gefühlt, war letztes Glied in der Kette“, blick Baumann auf schwierige dreieinhalb Jahre zurück, die jedoch, so ist er sich heute sicher, wichtig und prägend für seine weitere Laufbahn war.
Noch während der Ausbildung bildete er sich immer am Samstag an einer Schule in Schwenningen fort. Er holte die Mittlere Reife an der Hans-Kraut-Gewerbeschule nach. Es folgte kein geradliniger Weg, aber ein erfolgreicher: Wehrdienst in Immendingen, das Erlangen der Fachhochschulreife sowie ein Ingenieurstudium in Konstanz. Seine Diplomarbeit verfasste er bei der Firma Voith in Heidenheim, wo er erstmals in Kontakt mit einer Versuchsanstalt kam.
Karriere bei Daimler
1977 fiel schließlich der Startschuss seiner Tätigkeit als Ingenieur bei der damaligen Daimler-Benz AG in der Entwicklung von Personenwagen-Aufbauten im Bereich Unfallsicherheit. Ein Fachgebiet, das ihn nicht mehr loslassen sollte.

1986 wurde Baumann Gruppenleiter in der Abteilung der Karosserierohbau-Untersuchungen sowie Teamleiter für die passive Sicherheit von Personenwagen. Zum stellvertretender Abteilungsleiter im Bereich Karosserierohbau-Versuch wurde er 1994 ernannt, ehe 1997 der Aufstieg zum Senior Manager und Leiter für Strategien und Konzepte für passive Sicherheit sowie Kindersicherheit im Unternehmen anstand. „Man hat mir immer viel Freiraum gelassen“, ist Baumann dankbar. Nur so sei es für ihn möglich gewesen, kreativ zu arbeiten und neue Ideen zu entwickeln.
Überschlagsicheres Cabrio
Rund 250 Patente sind aus dieser Kreativität während seiner Zeit bei Daimler entsprungen. Cabrio-Fahrer kennen sicher Windschotts, welche Insassen vor zerzausten Haaren schützen. Baumann gilt zusammen mit Hans Götz als Erfinder. „Die Idee entstand im Rahmen der Entwicklung des ausklappbaren Überrollbügels “, erklärt der Tüftler.

Eine Erfindung, die wohl zu den bedeutendsten Entwicklungen Baumanns zählt und erstmals im Mercedes SL der legendären Baureihe 129 verwirklicht wurde und branchenweit Maßstäbe setzte. „Ich hatte mir damals überlegt, dass Überschläge verhältnismäßig langsam ablaufen“, erzählt er von dem Moment seines Geistesblitzes. In der Regel vergehen 0,4 Sekunden von ersten messbaren Anzeichen eines Überschlages bis zu dem für Insassen gefährlichen Aufschlag auf dem Dach.
Zeit genug, um einen Bügel mechanisch und reversibel auszuklappen. Als Auslöse-Signal kombinierte Baumann Informationen von Beschleunigungssensoren sowie von der Radauffederung, also der Moment, wenn das Rad den Bodenkontakt verliert. Heute übernehmen moderne Drehratensensoren diese Funktion. „Die gab es damals aber noch nicht.“ Der Ansatz, während und vor Unfällen regulierend und präventiv einzugreifen, gilt als weiterer Meilenstein Baumanns.

Vorbeugender Schutz
Er gilt daher als geistiger Vater des Mercedes-Benz Pre-Safe Konzeptes. Dabei geht es unter anderem darum, Insassen vor einem drohenden Zusammenstoß durch verschiedene Maßnahmen möglichst gut auf den bevorstehenden Aufprall vorzubereiten und zu schützen. Der ausklappbare Überrollbügel ist ein Beispiel dafür. Die Möglichkeiten sind jedoch weit vielfältiger. Bei Notbremsungen etwa werden automatisch die Gurte gestrafft, bei Schleudergefahr Stützpolster in den Sitzen aufgeblasen. Insassen werden so in eine günstige Position gebracht, um Knautschzonen zu vergrößern. Damit erhöht sich auch die Wirksamkeit anderer Sicherheitssysteme, wie zum Beispiel die der Airbags.
Smart
Als Daimler begann, das Mini-Auto Smart zu entwickeln, war Baumann und sein Team maßgeblich daran beteiligt, aus dem kleinen Mercedes-Modell ein sicheres Auto zu machen. „Keine leichte Aufgabe, aufgrund des geringen Gewichtes und fehlender Knautschzonen“, blickt Baumann zurück. Nach etlichen Crashtests und durch zahlreiche Innovationen gelang es seinem Team unter anderem die aufprallsichere Smart-Fahrgastzelle zu entwickeln. Baumann liebte genau solche Herausforderungen. Kleinwagen waren immer ein Steckenpferd von ihm. „Ein zufriedener Ingenieur, ist ein schlechter Ingenieur“, lautet sein Motto bis heute, im positiven Sinne.

Konzeptauto
Ein weiteres Lieblingsprojekt Baumanns waren und sind die Experimental-Sicherheitsfahrzeuge von Daimler, kurz EFS. Der 2009 vorgestellte Wagen trug Baumanns Handschrift. „Wir haben darin all das umgesetzt, was unserer Meinung und dem damaligen Entwicklungsstand nach ein sicheres Auto ausmacht“, erzählt der heute 70-Jährige stolz. Etwa ein Drittel der darin vorgestellten Innovationen sei heute Standard in Autos. Am aktuellen Modell aus dem Jahr 2019 war Baumman noch als Berater beteiligt.

Langsamer Ausstieg: Als der Ingenieur mit 61 regulär aus dem Unternehmen ausstieg, gründete er promt seine eigene Firma „KHBSafetyFirst – Konzepte und Fahrzeugsicherheit“. Dem Autobauer stand er fortan bis 2019 als Berater zur Seite und war als Dozent an der Technischen Universität Dresden tätig. „Ich habe mich noch jung gefühlt“, erinnert er sich. Ein Ende seines Schaffens von jetzt auf nachher kam für ihn nicht in Frage. Er zog einen langsamen Rückzug aus dem Arbeitsleben vor. Nach und nach widmet er sich nun anderen Aufgaben. In Starzach-Börstingen hat er ein altes Wohnhaus nach seinen Vorstellungen renoviert und umgebaut. Dort ist auch sein Büro untergebracht.
Ein Plus-Energiehaus ist es am Ende geworden, modern, schlicht, geradlinig und ohne viel Spielereien. „Typisch Ingenieur eben“, sagt er und schmunzelt. Eine Photovoltaikanlage sorgt für Stromüberschuss und speist seinen Smart sowie seine E-Klasse, Plugin Hybrid 300e. „Das beste Auto von Mercedes, das ich jemals gefahren bin, und das waren einige. 1,6 Liter pro 100 Kilometer, die restliche Energie kommt vom Dach“, berichtet er. Genau so stellt er sich auch die mobile Zukunft vor, eine Mischung aus kleinen E-Autos für Kurzstrecken und Hybridmodellen für größere Aufgaben. Und wenn Baumann nicht gerade im Auto sitzt, dann schwebt er gerne mit seinem Gleitschirm durch die Luft.

Langweilig wird dem Tüftler also nicht. Die Neugier nach Ideen und Lösungen treibt ihn noch immer an. Gerne würde er ein weiteres Haus nach seinen Vorstellungen gestalten. Und dann sind da auch noch seine drei erwachsenen Töchter sowie drei Enkelkinder. „Bald sind es sogar fünf Enkel“, freut er sich.